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Magnolia
USA 1999
Regie: Paul Thomas Anderson. Mit Tom Cruise, Julianne
Moore
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Das ganze Leben ist ein Quiz
"Magnolia" von P.
T. Anderson ist ein rares Kino-Wunder
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Das ganze Leben ist ein Quiz,
und wir sind nur die Kandidaten. Die Entscheidungen, die wir treffen,
können richtig oder falsch sein, Sieg oder Niederlage, Erfolg oder Scheitern
bestimmen. Mal gewinnen wir, mal verlieren wir. Und die nächste Frage
kommt bestimmt. Paul Thomas Anderson wählt für seinen neuen Film
"Magnolia" eine erfolgreiche Quizshow als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte.
So wie bei "What do kids know" zwei Generationen gegeneinander antreten,
so hat auch das Leben einen Graben zwischen Eltern und Kindern gezogen, der
kaum zu überwinden ist.
"Verlass mich nicht, du Arschloch", faucht Frank
T. J. Mackey (Tom Cruise) seinem sterbenden Vater zu. Der Sohn, der mit seinem
alten Herrn, dem reichen Fernsehmagnaten Earl Partridge (Jason Robards) gebrochen
hat, als der die todkranke Mutter verließ, weint hemmungslos - seiner
Liebe und seines Hasses wegen. Zwischen der kokainabhängigen Claudia
(Melora Walters) und ihrem Vater, dem Quizshowmoderator Jimmy Gator (Philip
Baker Hall), ist keine Versöhnung möglich. Gator steht am Ende
ganz allein, krebskrank, von seiner Frau verlassen, vor den Scherben seines
Lebens. "Man muss entscheiden, was man vergeben kann und was nicht", sagt
der Polizist Jim Kurring (John C. Reilly), der gemeinsam mit Claudia einen
anderen Weg für die Liebe suchen will. Keine Geheimnisse, keine Lügen.
Nichts hoffen, was man nicht erwarten kann. Nichts zerstören, weil es
keine falschen Hoffnungen gibt. Keine Angst mehr
haben.
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Alles anders
machen als Gator, der seine Frau betrogen hat, als Partridge, der seine Frau
verlassen hat, als sie ihn am nötigsten brauchte. Auf dem Sterbebett
ruft der Earl nach ihr und gesteht seinem Pfleger Phil (Philip Seymour Hoffman):
"Nichts bereue ich mehr. Ich habe meine Liebe ziehen lassen. Ich habe meine
Liebe ruiniert." Phil versucht den verlorenen Sohn zu finden, auf dass sich
Earl Partridge mit ihm und seiner toten Frau versöhne. Earls zweite
Frau Linda (Julianne Moore) zieht unterdessen ziellos durch die Nacht. Des
Geldes wegen hatte sie Partridge geheiratet, ihn hintergangen und
gedemütigt. Nun entdeckt sie ihre Liebe zu dem sterbenden alten Mann
und weint um die vergeudeten Jahre. Bevor sie auch nur einen Pfennig des
Vermögens erbt, will sie lieber fliehen - und sei es in den
Tod.
An unerfüllter Liebe leidet auch Donnie Smith
(William H. Macy), ehemaliger Star-Kandidat von Gators Quizshow. Das gefeierte
Wunderkind verkauft heute Elektronik, doch hat seinen Weg in die Welt der
Erwachsenen niemals gefunden. "Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen,
doch sie nicht mit uns." In seine Fußstapfen tritt der hochbegabte
Teenager Stanley Spector (Jeremy Blackman), der wie einst Donnie für
seinen ehrgeizigen Vater bei "What do kids know" Fernsehruhm und gutes Geld
erlangen soll. "Du musst netter zu mir sein, Dad", bittet der Sohn. Doch
Dad befiehlt seinem kleinen Versager, ins Bett zu gehen. Die Fortsetzung
des alten Dramas ist
vorgezeichnet.
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Eltern und
ihre Kinder, Frauen und Männer. Die zwei großen Themen des
Zwischenmenschlichen sind auch die großen Themen von "Magnolia".
Unglaublich virtuos verbindet Drehbuchautor und Regisseur Anderson die Wege
von neun Haupt- und zahlreichen Nebenfiguren an einem ereignisreichen Tag
im kalifornischen San Fernando Valley. War "Boogie Nights" vor zwei Jahren
ein eindrucksvoller Einblick in das Talent des erst 30-jährigen Regisseurs,
so ist "Magnolia" sein ganz großer Wurf, ein filmisches Wunder, wie
man es nur alle paar Jahre erleben darf. Seit Robert Altman uns 1993 in seinem
Meisterwerk "Short Cuts" für drei Stunden am Leben von 22 verletzten
Seelen in Los Angeles teilhaben ließ, hat es keinen so reichen Film
mehr gegeben. Reich an Geschichten, an Momenten, an unvergesslichen Figuren,
reich an Würde, Witz und Weisheit gleichermaßen.
Auch Anderson braucht über drei Stunden
für "Magnolia", auch bei ihm ist keine Szene und keine Einstellung
überflüssig. Dennoch ist seine Herangehensweise eine andere:
optmistischer, stilistisch modernen und ein wenig versponnener. Schließlich
lässt Anderson seinen Off-Erzähler gleich zu Anfang von wahren
Wunderdingen berichten, von unglaublichen, ja unglaubwürdigen, schrecklichen
Ereignisse der Geschichte. Ein Sporttaucher, der von einem Wasser tankenden
Löschflugzeug aus dem See gefischt und im Brandgebiet abgeworfen wird.
Ein Selbstmörder, der während des Falls vom Hochhausdach von einer
Gewehrkugel getroffen und getötet wird. Zufälle, die keine sind.
"Solche Dinge passieren andauernd", berichtet der Erzähler. Sie fallen
nicht als groteske Skurrilitäten aus dem Rahmen des Lebens, sondern
sind untrennbarer Bestandteil unseres Schicksals. Es sind die
sprichwörtlichen Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich jeder rationalen
Erklärung
entziehen.
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Dieser witzige, befremdende Prolog von "Magnolia"
erweist sich im Nachhinein als perfider Trick. Er dient nur zur Vorbereitung
des waghalsigen Finales, das wohl eines der ungewöhnlichsten Ereignisse
darstellt, die je auf Leinwand gebannt wurden. Teil des Tricks ist auch die
leise Selbstironie, mit der Anderson den gebührenden Abstand vom
großen Stoff, hält, damit sein Film nicht von der eigenen
Inhaltsschwere und Bedeutung erdrückt wird. Als Pfleger Phil über
eine obskure Sex-Bestellhotline nach Partridges verlorenem Sohn sucht,
beschwört er mit dem Telefonisten auch den Zuschauer: "Ich weiß,
das klingt verrückt. Ich weiß, das klingt wie die Szene im Film,
wo der Typ versucht, den lange verloren geglaubten Sohn aufzustöbern.
Aber das ist wirklich die Szene."
Diese Ironie hat nichts mit Arroganz gegenüber
den Figuren zu tun. Dazu liebt Anderson sie zu sehr, mit all ihren
Schwächen und Dummheiten. Allesamt tragen sie in sich ein tiefes
Mitgefühl, eine große, menschliche Fähigkeit mitzuleiden
und mitzukämpfen. "Ich habe viel Liebe zu geben", sagt das ehemalige
Quiz-Kid Donnie Smith. "Ich weiß nur nicht, wohin damit." In der
schönsten Szene des Films singen er und die anderen Hauptfiguren an
ihrem jeweiligen Aufenthaltsort - im Auto, beim Einbruch, auf dem Sterbebett
- ein paar Zeilen eines Liedes mit. "Wise up", eine Ballade der amerikanischen
Songwriterin Aimée Mann, verbindet in diesen Momenten alle Charaktere
im Film, alle Zuschauer im Kino und letzlich alle Lebenden, Liebenden und
Hoffenden dieser Welt. Wann zuletzt hat ein Film so etwas Großartiges
geschafft? |
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