Ausstellung: Andreas Gursky: Retrospektive

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Andreas Gursky (*1955)
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Gespräch mit Gursky (Kunstforum)

Biografie und Bibliografie (Uni Bochum)

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Moma-Website mit zwei Gursky-Fotografien

AUSSTELLUNG

Andreas Gursky: Retrospektive im Museum of Modern Art, New York

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Landschaft pur stimulierte mich nicht, dafür aber die darin auftauchenden Menschen. Deren Verhalten in freier Natur, wie im Umkreis von zwanzig Kilometern zu entdecken, war mein Thema. Dabei habe ich die Menschen stets in einem so statischen Augenblick wiedergegeben, daß sich mit ihrem Blick die Naturräume betrachten und reflektieren lassen. Das trifft auf heutige Bilder noch mehr als auf frühere zu.
Andreas Gursky

Andreas Gurskys beste Fotografien verzichten nicht auf die Darstellung von Menschen. Zwar stehen Menschen, steht, grundsätzlicher gesprochen: der Mensch, in keinem seiner Bilder im Zentrum. Die Erscheinungsformen des Humanen reichen vom Ornament (darüber wird genauer zu sprechen sein) bis zum gänzlichen Verschwinden (wenn man das, gut anthropozentrisch, denn als Erscheinungsform verstehen möchte). Am deutlichsten sichtbar wird die Tilgung des Menschen, damit interessanter Weise aber auch aller Gegenständlichkeit, an jener Reihe von Fotografien, die sich am deutlichsten zu einer Serie zusammenschließen, und, ihre Gegenstände treffend bezeichnend, unter der Überschrift "Ohne Titel" durchnumeriert werden. Hier herrscht die pure Abstraktion der Großaufnahme des dadurch Defigurierten - im Gegensatz etwa zu Blossfeldts Refigurationen durch Größenverschiebungen. Es ist, als handle es sich bei den abstrakten Bildern um Herausvergrößerungen des Prinzips der Abstraktion, das in seinen gegenstandsbezogenen Fotografien herrscht, eine Herausvergrößerung, bei der freilich genau der Reiz, der sich dem Zusammentreffen von Abstraktion und (Bezugnahme auf) Menschenmaß verdankt, verloren geht. Bezeichnend die Entstehungsgeschichte von Ohne Titel 1: Was man sieht, aber nicht erkennt, ist der Teppich der Kunstgalerie Düsseldorf, das Bild nur das Siegel unter eine Reihe nie veröffentlichter Aufnahmen aus dem Museum, die alle in aus anderen Fotografien vertrauter Vogelperspektive Menschen in Gruppen und vereinzelt zeigen. Dem einzig veröffentlichten Bild ist, programmatisch, der Exorzismus oder auch die Unterdrückung, die zur puren Abstraktion führen, nicht mehr anzusehen. (Auch Entstehungsgeschichten sind ein Teil des Werks, selbst wenn das veröffentlichte Werk entschieden und ostentativ anderer Ansicht ist.)

Im Unterschied zwischen den frühen, noch am ehesten dokumentarischen Bildern, und den späteren Hochglanzabstraktionen sieht man, wie sich das Bild vom Menschen in Gurskys Entwicklung selbst noch einmal verändert, wiederum entlang einer Skala zunehmender Abstraktion. Personen treten darin zunächst auf wie lesbare Zeichen - die sie eben gerade nicht sind, eine kodierte Figuration vortäuschend, die ausbleibt, deren Ausbleiben aber gerade einen Raum des Staunens öffnet, einer Erwartung fast von Lesbarkeit: etwa einer von oben in den Blick genommenen Straßenszene in Kairo, der Menschensprenkel im Schnee von Albertville. Menschen sind Ornament in diesen Bildern und doch auch immer wieder ein Punctum, also dezidiert nicht Zentrum, aber Ausgangspunkt für die Blicknahme. Oder doch Eintragung eines die Distanz- und Abwehrgesten der Bildperspektiven unterlaufenden Menschenmaßes, das die Fotografien durch ihre Größe und durch ihre Unterschiedlosigkeit in der Darstellung von Mensch, künstlicher und natürlicher Umwelt so ostentativ zu verweigern scheinen. Dabei zielt Gursky im übrigen vielleicht auf Effekte reiner Oberflächlichkeit, nie aber auf Erhabenheit. Überwältigung des Betrachters ist nicht das, worauf die Bilder hinauswollen: wenn Gursky etwa eine Ikone des Sublimen fotografiert wie die Niagara-Wasserfälle, dann machen sie, im Monochrom-Verschleierten ihres Auftretens, wenig Eindruck, die Wucht wird noch weiter gemindert durch ein recht großes (womöglich digital hineinmanipuliertes) Boot in der Mitte des Bildes, das gerade nicht als Kontrast zur maßstablosen Größe des Naturschauspiels fungiert, sondern diese eher relativiert.

Dennoch: das eine, was von Gursky (im Gegensatz zum anderen Becher-Schüler Thomas Ruff) nicht zu erwarten ist, sind Porträts. Das menschliche Gesicht ist - bis zum Beweis des Gegenteils - nicht auf die Weise abstrahierbar wie die Natur/der Mensch in der Natur, die Masse/der Mensch als Masse oder Architektur, die Gursky allermeist so fotografiert, dass Menschen nur als marginale, verhuschte Schatten oder gar nicht mehr auftreten (Times Square, 1997; Shanghai, 2000). Während Gursky architektonische Formen in der Regel geo- und symmetrisch reduziert, ist die Abstraktion, als die Menschen auf den riesigen Aufnahmen der Natur, der Börse, von Techno- und Punkkonzerten, enden, eine der Farbe. Besonders auffallend vor dem weißen Hintergrund von Albertville (1992) oder auf dem Fußballrasen (EM, Amsterdam, 2000), aber fast noch bezeichnender, weil nicht so auffällig, im Tumult von Chicago Board of Trade II (1999), Tote Hosen (2000) oder Klitschko (1999) - dass der Mensch dabei nicht als Mensch, sondern als bloße Reduktion auf Farbsplitter gemeint ist, zeigt seine Ersetzbarkeit durch Bücher in der panoramatischen Aufnahme einer Stockholmer Bibliothek (1999). Gerade hier wird aber deutlich, dass Gurskys Fotografien schnell leer und kühl wirken können, wenn ein über das formale hinausgehendes Interesse nicht einmal mehr angetäuscht wird (und mehr als dieses angetäuschte Interesse ist von der Lust am Dokumentarischen in keinem der Bilder übrig). Wenn sie nur noch Feier des Objekts sind, wie in Prada II (1997) oder Ohne Titel V (1997; die Aufnahme des Turnschuhensembles - ebenso die der Pollock-Fotografie - in diese Reihe ist allerdings eine beinahe ironische Geste), dann lösen sich alle Reibungspunkte und -flächen auf. Zurück bleibt bloße Perfektion, und die ist bei Gursky nicht weniger leer und langweilig als anderswo.

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