Das Prinzip des Theaters von Peter Brook: Reduktion auf das
Wesentliche. Kein Pomp und keine Umstände, keine aufwendigen
Bühnenbilder, keine prunkenden oder authentizitätssüchtigen
Kostüme, keine extravaganten Regieeinfälle. Nur das pure Theater.
Das, versteht sich, eine ideologische Konstruktion ist. Für Brook, am
Beispiel Hamlet: eine schlichte, aber ins Preziöse tendierende Bühne:
ein rotes Tuchrechteck, darauf wenige Requisiten als Spielsteine: Sitzkissen,
Hocker, die von den Darstellern selbst durch die Gegend getragen werden.
Diese Requisiten sind so unspezifisch wie möglich, auf dass die Fantasie
des Betrachters mit Leichtigkeit aus ihnen macht, was sie sein sollen. Theater
also als willfähriger Anlass für die Einbildungskraft, die Fiktion
aus Worten und Personen lebendig zu machen. Eine Ideologie des Lebens also,
nicht Aufdeckung der Illusion, sondern der Wunsch, aus der immer:
vermeintlichen - Nacktheit, dem Bloßen der Sprache und der Darsteller
durch Zauberhand, durch die Einladung zur freundlichen Aufgabe der Skepsis
das Leben selbst auf die Bühne zu bringen. Welch dialektische Volte:
das Sparsame soll die Fülle ermöglichen, der Zuschauer wird dazu
genötigt, sich nichts vorschreiben, vorführen, vormachen zu lassen.
Aber nicht genug damit. Ganz traut Brook der Sache nicht und fügt
in die Ecke des Geschehens, an seinen Rand, in einen Kasten, der die Bühne
ganz explizit nicht ist, einen Live-Musik-Bauchladen, aus dem heraus ein
pittoresker Musikus illustrativ und strikt szenenbegleitend trillert und
pfeift, streicht und schlägt. Ein Anklang ans Ritual auch, kurz darf
der Musiker zuletzt gar auf die Bühne: es geht auch überhaupt nicht
darum, ihn à la Soundtrack unsichtbar oder unhörbar
zu machen, im Gegenteil: er ist ein Mitspieler.
Das Problem: weitere Pointen hat diese Inszenierung von Hamlet (fast)
nicht. Streichungen ja, die bekannt internationale Brook-Besetzung auch,
einen kurzen comic-relief-Einschub in der Totengräber-Szene, der aber
in seiner Farcenhaftigkeit solitär bleibt in der Inszenierung. Hamlet
als Model, kein bisschen schwermütig natürlich, kein bisschen
wahnsinnig auch, aber das scheint mehr eine Besetzungsfrage als Teil eines
schlüssigen Inszenierungs-Konzepts. Es bleibt also Schauspieler-Theater,
mehr als genug Zucker für den Affen, der eine oder andere schöne
Anblick, ein Wohlklang hier und da, summa summarum und allen Streichungen
zum Trotz aber: Langeweile, je länger, je bleierner.
Teil der Askese-Ideologie des ganzen ist ja auch: so tun, als ob das,
was man spielt, zum ersten Mal gespielt würde, gerade jetzt und hier
quasi erfunden. Wenn ein Stück dafür nicht taugt, dann Hamlet.
Wenn irgend ein Text zu Tode gesprochen und zu Tode gehört ist, dann
Hamlet. Wenn etwas nicht mehr naiv und von aller Interpretation und Reflexion
unberührt aufzuführen ist, dann Hamlet. Vielleicht ist dieses
Stück inzwischen ganz im Ernst unspielbar. Vielleicht lässt sich
"Sein-oder-Nichtsein" nicht mehr aussprechen, es sei denn als Zitat von Zitaten,
wenn nicht gar im Bewusstsein der Zitathaftigkeit noch von Zitathaftigkeit.
In jedem Fall muss jede Aufführung mit diesem Problem nicht nur rechnen,
sondern umgehen. Bei vollem Bewusstsein ins Naive zurückkehren zu wollen,
nach einem Kern suchen, der dann der ganze und wahre Hamlet wäre: es
geht nicht, mindestens: so nicht. |