Zwischen der klaustrophobischen Enge von Vinterbergs 'Fest' und der rabiaten Heiter-
keit von Kragh-Jacobsens 'Mifune' nimmt Lars von Triers 'Idioten', in Inhalt wie Ton,
eine Mittelstellung ein. So etwas wie eine Dogma-Signatur läßt sich ausmachen: die
Konzentration auf eine Gruppe von Menschen, die in einem einzigen Haus versammelt
ist, die genaue und gnadenlose Beobachtung einer Gruppendynamik. Es scheint, als
produzierten die Dogma-Regeln eine bestimmte Form der Einheit von Ort, Zeit und
Handlung, als hätten die scheinbar ganz formalistischen Gebote genau diese inhaltliche
Wirkung
.
'Idioten' ist die Beschreibung eines Experiments, dessen Zielsetzung und Ausgang für
Interpretationen offen bleibt. Eine Gruppe offensichtlich wohlsituierter junger und auch
älterer Leute tut sich zusammen, um verrückt zu spielen. Zwischen Selbstfindung und
Provokation der Mitwelt ist an möglichen Motivationen vieles im Angebot. Sozial-
psychologisch geht es um die Steigerungslogik einer sektenartigen Gemeinschaft, die
Dynamik ist eine der Radikalisierung, in der die Beziehungen sich verändern und Grenzen
überschritten werden. Diese Grenzüberschreitungen aber bleiben selbst wieder der
Eindeutigkeit entzogen - auch die pornographischen Bilder, die von Trier findet, doku-
mentieren genau das Verwischen der Differenz zwischen Vergewaltigung und Freiw-
illigkeit der Teilnahme.

Es ist insbesondere eine Grenze, die überschritten wird, man weiß nur nicht, wo genau:
die zwischen Spiel und Ernst. Das Spiel, die 'Fiktion' des Irreseins, gerät immer wieder,
und je länger, je heftiger, außer Kontrolle. Und genau auf diese Probe der Ernsthaftig-
keit als der Herstellung und Hinnahme von Irreversibilität, von nicht wieder gut zu machen-
dem Verhalten läuft das Experiment hinaus, daran zerbricht es zuletzt. Nur die eine, die,
weil es ihr die ganze Zeit ernst war, nicht mitgespielt hat, hat den passenden Ort für das
Irresein: ihr wirkliches Leben.
Wenn 'Das Fest' eine Tragödie ist und 'Mifune' eine Komödie, dann ist 'Idioten' sehr
passend die Tragikomödie und seine Stärke liegt genau in der Herstellung von Momenten
der Unentscheidbarkeit zwischen Lachen und Weinen. Sein Genre ist das 'mock docu-
mentary' - und die Suggestion von Authentizität ist gewiß eine der Möglichkeiten des
Dogma-Stils. Gegeneinander stehen das direkte dokumentarische Dabeisein und die
nachträgliche Analyse in Einzelinterviews mit den Beteiligten. Beides erläutert einander,
ohne doch zu eindeutiger Klärung zu führen. Die Akteure erweisen sich als hilflos in der
Erklärung und Bewertung der Ereignisse. Der Film läßt einen mit dieser Hilflosigkeit
alleine. Man ist dem ausgesetzt, was man sieht. Wenn Dogma der Widerspruch zu einer
Ästhetik formaler Distanz, des Kunstgenusses ist (wer erinnert sich noch an von Triers
Meisterwerk in diesem Genre: 'Europa'), dann geht das Konzept in 'Idioten' voll und
ganz auf. Der Film ist, formal wie inhaltlich, ein heftiger Schlag auf den Kopf des Be-
trachters, desorientierend und verstörend.

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