Was Jacques Doillon mit diesem Film im Sinn hat, ist
so schwierig wie mutig. Er schildert die Aus-
einandersetzung der kleinen, vielleicht fünf- oder sechsjährigen
Ponette mit dem Unfalltod ihrer Mut-
ter. Konsequent schon der Beginn mit dem Verzicht auf Bilder vom Unfall.
Der Zuschauer ist vom
ersten Augenblick an auf dem Gesicht Ponettes, zum Zeugen gemacht von einer
Kamera, die dem
Mädchen stets nahe rückt und, beinahe schon besessen von Ponette,
kaum eine andere Perspektive
zuläßt, fast ausschließlich auf ihrer Augenhöhe
bleibt. |
Dies gilt, buchstäblich, für die Kamera, aber
es gilt auch, auf den ersten Blick wenigstens, für die Er-
zählperspektive. Doillon versucht die Mimesis an den Kinderverstand,
ähnlich wie schon in W. - Le
jeune Werther (mit älteren Jugendlichen), und hält dabei doch Distanz.
Er identifiziert sich nicht mit
Ponette. Alle Großaufnahmen von Ponettes Gesicht, und in einem gewissen
Sinn besteht der ganze
Film aus solchen Großaufnahmen, präsentieren dieses Gesicht immer
auch als rätselhafte Projektions-
fläche, die sich dem Begreifen des Zuschauers letztlich entzieht. Nie
maßt sich der Film an, erklären,
ja zeigen zu wollen, was das Mädchen empfindet, was sie denkt. Der jungen
'Schauspielerin' ist jede
Expressivität, die über bloßes Weinen hinausgeht, ausgetrieben
(ich glaube, sie lacht kein einziges Mal).
Alles, was wir haben, ist der Trotz ihrer Handlungen, der Trotz ihres Beharrens
darauf, daß die Mutter
wiederkommen wird.
In diesem nicht zu irritierenden Trotz bleibt sie stets eine Fremde (und
unwillkürlich muß man an
Sandrine Bonnaires 'Jeanne d'Arc' denken) und auf eine Weise unerklärt,
die diesen Film in einem
anderen Universum ansiedelt als dem Hollywoods, wo Kinder immer nur Maschinen
sind, die im
Zuschauer effektvoll Rührung zu erzeugen haben. Alle Kindchenschemata
schnappen an Ponette
vorbei. |
Der Film wäre von der angestrebten Konsequenz
und Reinheit, hätte er nicht in erster Linie ein Pro-
jekt, das die Bilder durch viele überflüssige Worte entwertet.
Es geht ihm um die Verhandlung von
Todes- und zugleich (leider) Gottesvorstellungen. So wird Ponette umzingelt
von Menschen, die ihr
alle verschiedene Geschichten erzählen darüber, was mit ihrer Mutter
nach dem Tod passiert sei.
Vom mehr oder weniger atheistischen Vater bis zum naiven oder zur besseren
Handhabbarkeit zu-
rechtgeschnitzten Glauben ihrer Betreuerinnen. Da zeichnet sich eindeutig
ein Programm ab und das
ist mehr als schade. Genau das ist nämlich ein zum Scheitern verurteiltes
Unterfangen: diese meta-
physischen Fragen aus der Perspektive einer Fünfjährigen verhandeln
zu wollen. An vielen Stellen
degradiert der Film Ponette so nämlich zum Beispiel, wird ihr individuelles
Schicksal zur Heiligen-
biografie. Inklusive, und das setzt allem die Krone auf, Erlösung. Um
das Erscheinen, die Erscheinung,
der Mutter am Ende des Films akzeptabel zu machen, hätte der Film einen
weniger distanzierten
Ton anschlagen müssen, einen märchenhafteren und vielleicht
ironischeren. So, in dieser Ernsthaftig-
keit und Nüchternheit, wird diese Erscheinung zur These, zu einem
religösen Statement, das (gar in
der nicht zurückgenommenen Materialisierung des Wunders im Pullover)
von einer Eindeutigkeit ist,
die Ponette nicht gerecht wird und den Film als ganzen zum theologischen
Traktat entwertet. |