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Aus einer mindestens seit Agnes Vardas 'Vogelfrei'
andauernden Tradition französischer Filme, in deren Zentrum junge Frauen
stehen, deren stärkster Impuls ein bedingungsloses Streben nach
Unabhängig- keit ist, ist dies ein weiterer. Die Fortsetzung, in gewisser
Weise, von Laetita Massons letzter Zusam- menarbeit mit Sandrine Kiberlain,
Haben (oder nicht). Das Haben (oder nicht) von Geld wie von Männern
spielt auch hier wieder eine entscheidende Rolle, das eine mit dem anderen
unauflösbar verknüpft, und in dieser Unauflösbarkeit zugleich
ein Verhängnis.
Es beginnt mit einer Szene vor dem Altar, die Braut taucht nicht auf, die Hochzeit wird abgeblasen. Langsam fährt die Kamera, vorbei an der reich gefüllten, unangetasteten Speisentheke, auf eine Tür ins Freie zu, auf zwei Männer, einer der um sein Eheversprechen Betrogene, der andere ein guter Freund, Detektiv, der auf die Spur der Verschwundenen gesetzt wird, über die wir noch nichts wissen, deren Rätsel es zu klären, die, auch des Geldes wegen, das sie hat mitgehen lassen, es zu finden gilt. Der Pakt zwischen den zwei Männer wird von der nähergerückten, ins Freie ent- lassenen Kamera gefilmt, die aber geblendet bleibt vom Licht da draußen, die Männer als über- belichtete und daher schlecht erkennbare Figuren ins Bild bringt. Das rechte Licht, das der Film in aller Nachträglichkeit werfen wird, ist das der Vorgeschichte dieses Dreiecks. Bald aber erweist sich der Dritte, der Betrogene, als bloßer, nicht weiter interessierender Katalysator für das Doppelportrait des Detektivs und der Verschwundenen. Derer beider Schicksal wird in einer fortgesetzten Parallelmontage entworfen, im Gegeneinander und Miteinander von detek- tivischer Spurensuche und Rückblenden, die aber nie zur Deckung kommen. Stets bleibt das Wissen des Zuschauers dem des Detektivs voraus, der hinterher ist und hinterher bleibt, in einer Passivität, die der Film dazu nutzt, ihn selbst zum zweiten Objekt seiner Geschichte und einer unschmeichelhaften Analyse zu machen. Immer klarer wird, daß die Gesuchte und der Suchende einander dabei immer näher kommen, was einerseits heißt: die Spur wird heißer, er wird sie, gegen Ende des Films, gefunden haben, aber andererseits beginnt er, ganz parallel, auf einer anderen Ebene sich mit ihr zu identifizieren: Ich bin Marie Robert, sagt er. Abruptheit ist das Signum des Films, seiner Hauptfiguren nämlich, Marie-Roberts, die Nähe (zu Männern, aber auch zu Frauen) ebenso abrupt fordert, sich holt, wie sie diese wieder aufgibt, die Menschen dadurch zurückstößt, selbst beziehungslos bleibt, während die anderen, auf die eine oder andere, nicht notwendigerweise glückliche Weise, sich zu dauerhafteren Paaren verbinden. Dieses Muster, diese Gegenüberstellung, wird an der Figur des Detektivs (der von seiner Frau getrennt ist und sie doch immer wieder in ihrer neuen Beziehung aufsuchen muß) deutlicher aus- gearbeitet. Das Abrupte von Zueinander und sogleich wieder Voneinander-Los, aus dem Mari Roberts Leben besteht, bestimmt aber den Rhythmus des Films. Manches daran ist aufdringlich deutlich, zu dick aufgetragen, in seinem psychologischen Konzept durchschaubar, aber immer wieder gelingen, unterstützt durch ebenfalls sehr abrupt einsetzende und abbrechende Einsätze so simpler wie zugleich bedrohlicher Schlagzeug-Musik, sehr dichte Szenen, wohlüberlegt inszenierte Momente, die die innere Verfassung auf ihren äußeren, konzentriert optischen Punkt bringen. Von dramaturgischer Eleganz ist die Gesamtbewegung des Film, die Aufeinander-zu-Bewegung der beiden Protagonisten (das eine doppelt perspektivierte Anreicherung mit mitunter sehr interessantem Nebenpersonal ermöglicht), das Aufeinandertreffen, dann das (Billard ist eine Metapher, die der Film selbst anbietet) Auseinanderprallen der beiden nach Amerika resp. Italien. Nicht zuletzt lebt der Film von Sandrine Kiberlains überzeugender Interpretation einer in ihrer Konsequenz rätselhaften und zum Unglück sich immer erneut selbst verdammende Figur der Marie Robert. Die Verweigerung aller bruchlosen Identifikation, mit ihr wie mit dem Detektiv, ist, bei nüchterner Betrachtung, eine Stärke , macht den Film über weite Strecken freilich zu einer Qual. Das Überdeutliche läßt das Qualvolle mitunter auf Wollen und Konzept des Films eher zurückgehen als auf die Notwendigkeit der Figuren. Dort liegen die Schwachpunkte dieses sehr eigenwilligen, in seiner Eigenwilligkeit oft überzeugenden Films. |
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