Olivier Assayas

Olivier Assayas (*1955)

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Über das Kino von Olivier Assayas

Olivier Assayas' Filme stehen, bei aller Eigenständigkeit, in der Tradition der Nouvelle Vague. Unter den französischen Regisseuren seiner Generation ist er damit am ehesten André Techiné vergleichbar, mit dem er auch zusammengearbeitet hat. An die Stelle der Orientierung am Kino Hollywoods ist der Bezug auf die  Filme der französischen Vätergeneration getreten - und auf das asiatische Kino. Assayas' Dokumentarfilm über Hou Hsiao Hsien wie der spielerische Umgang mit dem Hongkong-Star Maggie Cheung in Irma Vep belegen diese Affinitäten.

Mit der Ausnahme von Irma Vep, seinem ungewöhnlich capriccio-haften und selbstironischen Ton, sind die Filme von Assayas französisches Schauspielkino der vertrauten Art. Porträts von Großstadtmenschen, die ebenso wie ihre Liebes- und Lebensprobleme mit dem Autor-Regisseur altern. Désordre (1986), der großartige Film um eine Gruppe desorientierter Jugendlicher, deren Leben durch eine unüberlegte Gewalttat aus der Bahn gerät, der Film, der Assayas bekannt gemacht hat, war von Wut und Bitterkeit geprägt. Diese sind inzwischen, mit Ende August, Anfang September,  einer etwas resignativen Melancholie gewichen.

Wenn man nach einem gemeinsamen Kennzeichen von Assayas' Filmen sucht, dann drängt sich ein Begriff wie Ernsthaftigkeit oder Unerbittlichkeit auf. Pascal Bonitzer etwa, vom Drehbuchschreiber (in erster Linie Rivettes) nun zum eleganten Autor-Regisseur gemausert, bewegt sich in ähnlichen Milieus, aber der Ton bleibt bei allen nicht immer angenehmen Schicksalen, die er in seinen Filmen (zuletzt Rien Sur Robert) schildert, leicht. Die Probleme, die Figuren in den Filmen von Olivier Assayas haben, sind im Grunde stets existentiell. Assayas meint es immer ernst, mit sich und seinen Figuren, die die Last der Selbstexplorationen ihres Autors zu tragen haben.

Es gibt keine Kompromisse, keine Arrangements mit dem nur unter großer Kraftanstrengung Veränderbaren. Und nicht selten war alles dann doch vergeblich. Die Wünsche der Figuren, in Paris erwacht oder in Ende August, Anfang September, sind in ihrer Maßlosigkeit nicht lebbar. Und werden doch immer wieder gerade wegen dieser Unlebbarkeit gehegt. Auch René Vidal, der Regisseur in Irma Vep bleibt durch alle amüsanten Turbulenzen des Films hindurch eine tragische Figur. Das Scheitern ist eine Konstante im Kino von Olivier Assayas - und das bitterste ist: es liegt selten genug Größe darin.


Das Problem des Kinos ist die Wahrheit; wie man sich der Fiktion, erfundener Personen und Szenarien bedient, um sich einem Sprechen über die Realität zu nähern; etwas zu finden, das eine Präzision gegenüber der Welt wiederherstellt, die sie selbst nicht hat; nichts anderes gilt dabei als die eigene Erfahrung, die eigene Aufrichtigkeit, die eigenen Gefühle.
Olivier Assayas

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Assayas biografie


Olivier Assayas

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Assayas Interview

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Ende August, Anfang September


Gespräch mit dem Regisseur über 'Ende August, Anfang September'

Frage - Wie haben Sie die Figuren rund um Adrien angeordnet und ihre Beziehungen entworfen?
Olivier Assayas - Ich wusste, dass Gabriel die Hauptfigur sein würde. Man sieht die Geschichte durch seine Augen. Andererseits ist aber Adrien so etwas wie die Schlüsselfigur des Films. (...) Das wichtigste Ereignis des Films ist der Transformationsprozess Gabriels, ja, die fast metaphysische Veränderung: am Ende ist Gabriel ein anderer geworden. Es wird das Verhältnis zwischen zwei Kapiteln seines Lebens erzählt, verkörpert von zwei Frauen. Das Ende von einer Art Ehe mit Jenny , und der Beginn einer andersartigen Liebe mit Anne. (...) Es geht nicht um eine sentimentale Geschichte. Ich habe darauf geachtet, dass es keine Lüge gibt, keinen Verrat, keinen Eheburch. (...) Am Anfang haben Gabriel und Jenny beschlossen, sich zu trennen, Gabriel und Anne haben sich ineinander verliebt. Am Ende haben Gabriel und Jenny ihre Trennung akzeptiert.

Frage - Adrien sagt am Beginn des Films, sein Problem sei nicht die Zeit, sondern das Geld. Alle anderen Figuren haben dasselbe Problem: Arbeit, einen Platz zum Geldverdienen zu finden.
O.A. - Ich könnte mir nicht vorstellen, diese Geschichte zu erzählen, ohne materiellen Fragen ein besonderes Gewicht zu geben. Denn so geht es nun mal im Leben. Auch wenn man sich um solche Probleme wenig kümmert, sie existieren und es kommt der Punkt, an dem man eine Lösung finden muss. Für manche ist diese Lösung nicht schwierig, für andere sehr hart, sehr schmerzlich. (...) Ich hatte Lust, das Geld genauso als soziale wie private Perspektive zu benutzen, aber das eine ist ohne das andere ohnehin nicht zu beschreiben. Für uns alle stellt sich irgendwann die Frage, wie man ein Gleichgewicht herstellen kann, zwischen materiellen Gesichtspunkten und den Gefühlen, den Träumen.(...)

Frage - Von entscheidender Bedeutung für Adrien ist in dem Film die Frage nach der Zeit. Auch diese Erfahrung teilen die anderen Protagonisten mit ihm: die der vergangenen Zeit, der verlorenen Zeit...
O.A. - Genau, das, wovon der Film letztlich erzählt, das ist die Bedeutung der Zeit, das Nutzen der Zeit, das Bewusstsein für Zeit. Die Personen verändern sich und reifen, sie kommen an ihre Ziel nur durch dieses Bewusstsein für die Zeit. Und das steht im umgekehrten Verhältnis zur Bedeutung, die die materiellen Dinge für sie haben. Gabriel kommt voran, als er versteht, dass es für ihn darauf ankommt, die Zeit für Dinge zu nutzen, die ihm wichtig sind und dass die Hauptsache nicht in einem festen Job besteht, auch wenn der ihm womöglich ein bequemeres Leben bietet. Das Wichtigste ist niemals, und da ist der Film ganz eindeutig, Macht zu besitzen: diejenigen, die mit der Macht zu tun haben, stecken, das zeigt der Film, in Sackgassen und dienen letzten Endes als Aufpasser für die etablierten Zustände, die jeden im Zustand der Mittelmäßigkeit festhalten wollen.

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Irma Vep Maggie Cheung

Sieben Fragen an Olivier Assayas zu 'Irma Vep'

Mark L. Feinsod
(erschienen in IndieWire)

indieWIRE: Gehört Irma Vep in eine bestimmte ästhetische Tradition?

OA: Schwer zu beantworten, denn ich habe zum ersten Mal einen Film gmeacht, der in ein bestimmtes Genre passt, nämlich Filme über Filme. Ich wusste, ich bin da nicht der erste, also habe ich versucht, so radikal wie möglich zu sein, meine ganz eigene Art, über das Kino nachzudenken zu erfinden und es nicht wie Truffaut in 'Die amerikanische Nacht' zu machen. Ich habe etwas für micht ungewohntes gemacht - eine Komödie -, aber ich habe angenommen, dass es eine Komödie über ein anspruchsvolles Thema sein könnte, den Schaffensprozess. Es ist wie eine Übung in filmischer Schizophrenie und in dieser Hinsicht auch der Versuch, sich von allem zu entfernen, was man kennt.

IW: Wer sind Ihre ästhetischen Vorbilder?

OA: Ich befinde mich in der Tradition französischer Filmemacher, aber es gibt da keine stilistische Einhat, es ist einfach die sehr grundsätzliche Vorstellung, Filme mit derselben Art von Freiheit herzustellen, wie ein Buch zu schreiben oder eine Leinwand zu bemalen. Ich glaube nicht, dass ich sogar mit meinen Lieblingsfilmemachern stilistisch viel gemeinsam habe. Es gibt Einflüsse von den großen Meistern, von Malern, moderner Fotografie, aber es setzt sich in meinem Kopf wie ein Puzzle zusammen, ein riesiges Durcheinander.

IW: Glauben Sie, dass amerikanische Filme unter der Kontrolle Hollywoods und des Marktes leiden - und darunter, dass die Filmemacher zu wenig Raum zum Experimentieren haben?

OA: Die Unterschiede sind groß zwischen Hollywood und Europa, was die Art angeht, wie man mit dem Filmemachen beginnt. In Frankreich fangen viele mit eigenen Kurzfilmen an und kommen dann zum Spielfilm. Sie bekommen dabei keine Hilfe in dem Sinn, in dem das Hollywood-System -- das nicht gerade sehr interessant ist -- den Leuten hilft. (...)

IW: Was ist Ihr Eindruck von der amerikanischen Indie-Filmszene?

Assayas: Die amerikanische Independent-Filmszene ist das aufregendste, was es in den letzten Jahren im Kino gegeben hat. Ich habe den Eindruck, dass die Beziehungen zwischen europäischen und amerikanischen Filmemachern existieren, weil sie mit denselben Problemen kämpfen. Dieselben Budgets, dieselben Themen - jenseits des Mainstream - und dasselbe Verhältnis zur Industrie; der Versuch, an den Rändern zu bleiben und nicht vom hässlichsten Teil davon aufgesaugt zu werden.

iW: Wollen wir über das Ende von 'Irma Vep' reden, wo der Zuschauer sieht, was Rene Vidal geschnitten hat.?

Assayas: Ich habe Filme in Filmen nie leiden können. In 'Die amerikanische Nacht' z.B. wird ein dämlicher Film gedreht, den niemand sich anschauen würde. Meine Idee war, einen Film im Film zu machen, der zu meiner Geschichte etwas beiträgt. Ich nehme die Fragen, die er sich stellt, ernst.

Viele dieser Fragen stelle ich mir selbst. Im Kontext des modernen Kinos bestand die erfolgreiche Auseinandersetzung mit diesen Fragen in einer Verbindung experimentellen Filmemachens mit Erzählen in irgendeiner Form. Seine Vorstellung ist, dass der Ärger, den er mit dem Material hat, mit seiner Unfähigkeit, einen modernen Ausdruck dafür zu finden, zu tun hat. Ich glaube, dass es für das Kino wichtig ist, die Verbindung zum Experimentalfilm wiederherzustellen; alles, was in Europa Avantgarde war, ist zum Video übergewechselt.

iW:  Könnten Sie etwas über das Ende von Zoes Geschichte sagen? Ist es als Bestätigung dessen gedacht, was der Regieassistent über sie gesagt hatte?

Assayas: Zoe ist einer der Charaktere, die mich am meisten interessieren. Sie spricht aus, was ich über das Filmemachen denke, genau das, was man tun sollte. I mag es, Konfusion in den Prozess des Filmemachens zu bringen, und dafür steht sie. Sie ist die einzige, die traurig ist, dass die Dreharbeiten enden; es ist als hätte man sie vergessen; vor allem aber hat man den Geist des Films, den sie gedreht hatten, vergessen. 

(Übersetzung aus dem Französischen und dem Englischen: Ekkehard Knörer)

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Assayas Filmografie

Jedes Mal, wenn ich einen Film mache, habe ich das Gefühl, mich auf ein neues Gebiet zu wagen, unbekanntes Gelände zu betreten, Dinge zu finden, die ich nicht kannte.
Olivier Assayas

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Destinées sentimentales (1999)


Nach dem Roman von Jacques Chardonne
Darsteller:
Charles Berling
Emmanuelle Béart
Isabelle Huppert

Fin août, début septembre (1998)
(Ende August, Anfang September)

Produktion : Georges Benayoun (Dacia Films), Philippe Carcassonne (Cinéa)
Drehbuch
: Olivier Assayas
Kamera : Denis Lenoir
Schnitt: Luc Barnier (112 mn)
Darsteller:
Mathieu Amalric: Gabriel
Virginie Ledoyen: Anne
François Cluzet: Adrien
Jeanne Balibar: Jenny
und Alex Descas, Arsinée Khanjian, Mia Hansen-Love, Nathalie Richard, Eric Elmosnino

Cinéma de notre temps: Hou Hsiao Hsien (1997)

Dokumentarfilm über den taiwanesischen Regisseur Hou Hsiao Hsien.

""HHH" ist ebenso sehr ein Film von Assayas wie einer über Hou Hsiao-Hsien geworden: Houflaniert mit seinem Porträtisten durch die Quartiere seiner Kindheit, sucht Drehorte auf, erzählt vongewonnenen Gesangswettbewerben und der gescheiterten Schauspielerkarriere. Parallel sucht Assayas das Gespräch mit Hous Co-Autoren und Kritikerfreunden. Die Grenze zwischen den dokumentarischen Elementen und Hous Kino bleibt hier fließend: Was aussieht wie ein Spielfilmfragment, kann auch nur eine stille Beobachtung Assayas sein, so wie umgekehrt mancher Filmausschnitt nur Vorspiel einer dokumentarischen Sequenz ist. Im Finale findet man Hou, gemeinsam mit seinen Lieblingsschauspielern und Assayas, in einer Karaokebar wieder, wo er nun endlich seiner Liebe zu alten taiwanischen Schlagern freien Lauf lassen kann. Die Texte, die er so beseelt singt, kann er auswendig. Alles gespielt. Und alles wahrhaftig."

Robert Weixlbaumer in der Berliner Zeitung


Irma Vep (1996)

L'Eau froide (1994)

Une nouvelle vie (1993)

Paris s'éveille (1991)
(Paris erwacht)

Darsteller
Jean-Pièrre Léaud
Judith Godrèche
Thomas Langmann

"Jean-Pierre Leaud, der mit den frühen Filmen von Francois Truffaut zu Weltruhm kam, spielt hier den Vater eines erwachsenen Sohnes und Liebhaber einer jungen Frau. In Olivier Assayas' stimmungsvoller Dreiecksgeschichte bekommt der Vater Probleme, als sich die beiden Jungen ineinander verlieben."


L'Enfant de l'hiver (1989)
(Das Winterkind)

"Olivier Assayas' Liebesreigen erzählt die Geschichte des jungen Stephane, der sich noch nicht zum Vater berufen fühlt und kurzerhand seine hochschwangere Freundin Natalia verläßt. Er fühlt sich zur Bühnenbildnerin Sabine (Clotilde de Bayser) hingezogen, doch die wiederum liebt den Schauspieler Bruno (Jean-Philippe Ecoffey), der aber an seiner Frau hängt."

Désordre (1986)
(Lebenswut)


Winston Tong en studio (1984)

Laissé inachevé à Tokyo (1982)


Deux chansons de Jacno (1980)

Copyright (1979)

Rectangle (1979)

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