Die Bühne hat ihren Ort auf der Bühne, ein Rechteck,
an dessen Ecken sich vor Beginn der Vorstellung "Durchgang verboten"-Schilder
befinden. In der ersten Reihe der vier Tribünen, die das Rechteck begrenzen,
je zwei Sitze mit "Reserviert"-Aufklebern. Hier werden die Tänzer sich
immer wieder niederlassen, ruhen, sich ins Publikum begeben, ohne doch ganz
Publikum zu werden. Auf dieses Wechselspiel von Innen und Außen lässt
die Inszenierung schon in der Anordnung des Spielraums sich ein. Die Wand
zwischen Akteuren und Zuschauern ist sehr dünn, von zarter Konstitution.
Gegen Ende schreiten die Tänzerinnen und Tänzer die Seiten ab,
bleiben stehen, reichen einer Zuschauerin, einem Zuschauer ohne zu lächeln
die Hand. Eine freundliche, unaufdringliche Geste, die Grenzen weder durchbricht
noch verwischt, sondern eine Kontaktaufnahme ist, eine Einladung, das Markieren
einer merkwürdigen Nähe, die man zu den Tanzenden empfinden lernt
im Laufe dieser Stunde, obwohl sie auf jede Anbiederung verzichten.
Acht reservierte Sitze, neun Tänzer, daraus folgt, da sie die Bühne
nicht verlassen, schon eine Struktur. Das Zentrum wird aufgesucht und wieder
verlassen. Das Solo einer Tänzerin zu Beginn. Vom ersten Moment, der
ersten Bewegung scheint der Stil der Gesten, des Bewegens, des Umgangs der
Tänzer mit ihren Körpern entworfen. Darauf folgen Entwicklung,
Erweiterung, Erforschung des Spielraums, den dieser Stil ermöglicht.
Nichts steht schon fest mit diesem Beginn, aber mit traumwandlerischer Sicherheit
wird das, was folgt, immer daraus zu folgen scheinen, als eine Forsetzung
jenseits von Schematismus oder Vorhersehbarkeit. Der Abend gibt sich, mit
diesem Solo, eine Form, in der sich die Ordnung einer Struktur, die Genauigkeit
eines Stils, die Offenheit der Entfaltung im Finden eines Vokabulars,
individuelle Variation, also etwas wie ein Idiolekt und die Kombination und
Rekombination des Gefundenen und immer weiter zu Findenden im nicht begrenzten
Feld dessen, was damit anzustellen oder darzustellen ist, vereinen und
vereinbaren lassen.
Das Vokabular ist ausgeprägt gestisch. In den Gesten scheint der
Körper nach der Entwickelbarkeit eines Repertoires oder Vokabulars eher
zu suchen als nach der Beziehung zum Raum, der Expression eines Gefühls
oder der Referenz auf ein Außerhalb (der Gesten, des Körpers).
In jedem Moment böte ein Still der Bewegung eine Pose: der Körper,
der sich streckt und biegt, in einer eigentümlichen Mitte zwischen Krampf
und Eleganz. Ein Strecken, Suchen, das Gespannte eines raumgreifenden Schritts,
ein Seitwärtshüpfen: hier wird etwas probiert ohne Leichtigkeit,
aber auch ohne Anstrengung. Es bleibt ein Abweichen vom Natürlichen,
das aber nicht auf das Stilisierte aus ist, sondern auf die Erforschung,
und sei es millimeterweise, dieses Bewegungsraums jenseits der der Erwartung
sich fügenden Geste. Zwischen dem Leichten und dem Angestrengten liegt
hier eine Konzentration, die nicht gerinnt und nicht fließt, sondern,
als Übergang und Übergängigkeit von Posen, erkundet und sucht,
was mit diesem Stil, diesem Vokabular dem Körper denkbar ist. Die Posen
und Gesten, das Spannen ohne Überspannung, die Festigkeit ohne Verfestigung.
Die Natürlichkeit der Bewegung liegt in ihrer Funktion. Natürlichkeit
der Bewegung ist Tätigkeit - Fortbewegung, Handhabung von etwas,
Annähern an etwas, Umgehen mit etwas oder Trägheit. Jede
kreatürliche Trägheit bleibt hier ausgespart, vielmehr geht es
um Tätigkeit ohne Tun. Es folgt daraus aber kein Leerlauf, sondern
eigentümlicherweise eine Gewissheit, eine Kontrolliertheit des Körpers
in den Gesten noch, ja gerade da, wo er sie erst zu finden scheint, da, wo
er zuckt und sucht und tätig ist ohne Gegenstand. Eine Transitivität
ohne etwas ist das, was hier entworfen scheint, eine Transitivität,
die gefüllt ist im Suchen, das ein Gefundensein ist. Und natürlich
ist da die Musik, vom ambienthaft Meditativen ins aufgescheucht Technoide
springend, japanisch meist. Es gibt, in den Gesten und Körpern, in ihrer
Geschwindigkeit und ihrer Strenge, einen Bezug hin zur Musik, ein Reagieren
darauf, das aber nie eindeutig, einsinnig ist. Die Bewegung bewegt sich in
ihrer eigenen Logik des Suchens und doch wird die Tätigkeit ohne Tun
von der Musik getragen.
Die Körper, die hier suchen und nicht etwas gefunden haben, nicht einmal,
muss man dazu sagen: sich, drücken nichts aus. Expression, auch das,
ohne etwas. Kreidebleich ist die Haut, die Nähe zu den Robotern, die
auf Marktplätzen stehen und den Eindruck des Leblosen suchen, scheint
gewollt. Dies aber sind Roboter, die nicht auf das Leblose aus sind, sondern
auf ein Belebtsein, ein Suchen der Belebung jenseits des Natürlichen.
Die zweite Natur, die sich in der mühelosen Anstrengung des Gestischen
ergibt, stellt sich her mehr als ein. Die tanzenden Körper sind Forschende,
aber das Selbst geht ganz auf in dieser Forschung, die meiste Zeit. Was hier
forscht und sucht, sind nicht Subjekte, es herrscht im starren Ausdruck der
Gesichter (vielmehr ihrer Ausdruckslosigkeit) die Humorlosigkeit der Tiere.
(Was nicht heißt, dass das Komische nicht seine Auftritte hätte,
im Fehlgehen, im Überschießen der Gestenforschung.)
Und dann doch, gegen Ende hin, die Möglichkeit von Selbstgenuss, der
in Begegnung überspringt. Die erste Berührung. Der Tänzer
mit dem roten Haar, den Zöpfen, entkleidet seinen Körper, der
kreidebleich bleibt, aber den Kontakt sucht zur Tänzerin, die auf dem
Boden sich, wie eine Pompejanische Leiche in der Bewegung erstarrt, aber
doch nicht ganz erstarrt, von Leichenpose zu Leichenpose sich windet. Dies
ist der - fast schon beseligende - Bruch in der Inszenierung. Der Solipsismus
der Gestenforschung hat, überraschend, die Möglichkeit eines Kontakts
ergeben. In einer klassischen Ballettfigur finden Körper zueinander.
In einer klassischen Tanzfigur wird sich dies Ereignis zuletzt wiederholen
und steigern. Zuvor schon die schöne Nähe zum Publikum in dieser
mit großem, aber sehr freundlichem Ernst ausgeführten Geste: des
Händedrucks, des Augenkontakts, der Begegnung in Respekt, der
wechselseitigen Anerkennung. |