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Pina Bausch: Nefes (Volksbühne, Simdi Now, Tanz im August, September 2004)

Kritik von Ekkehard Knörer

  

Zweistundenfünfzigminuten: Schönheit. Zweistundenfünfzigminuten: Erlesene Körper, elegante Bewegungen, wunderbare Einfälle und Rätselbilder wie das, gleich zu Beginn: Männer, die liegen, Frauen, die daneben knien, die langen Haare fallen und die Frauen schlagen, bürsten sie wie in einem Ritus, dessen Bedeutung sich nicht wirklich erschließt. Überhaupt: Aufs allzu Eindeutige verfällt Bausch, in den Pas de Deux und den vielen Solotänzen kaum. Das Wasser, das zu fallen scheint und zu steigen zugleich im hinteren Drittel der Bühne, erlaubt die Bosporus-Assoziation, aber erzwingt sie nicht. Hübsch, wie einer unter Verrenkungen daraus trinkt und in hohem Bogen wieder ausspuckt. Geschmäcklerisch eher das Tablett-Boot, das übers Wasser gezogen wird an beinahe unsichtbaren Fäden. Viel stille Schönheit, aber eben auch viel Ausstellung des Stillen am Schönen. Sparsam, ausgestellte Sparsamkeit, die Bühne: Leer, Bretter, das Wasser, das sich zum Kreis versammelt, Tische ein paar Mal, Stühle, mehr nicht.

Andere Momente, natürlich, etwa wenn vor dem auf dünnsten Vorhangschleier geworfenen Meer eine wilde Gesellschaft rennt, räumt, isst. Erst recht, wenn auf demselben Schleier Autos frontal auf die Kamera, auf das Publikum, auf die Tänzerin, den Tänzer zuhalten, die, tanzend, rennend, vor ihnen flüchten zu wollen scheinen. Das ist freilich vorbei wie ein Spuk. Wie der Spuk, später, hinter dem Schleier, nun transparent, als sich um eine Frau, die von links mit weißem Vorhangstoff nach rechts wie schwebt, eine Gesellschaft zum Gruppenfoto findet. Das ist hinreißend und mancher Solotanz, mancher Pas de Deux mit Hebe-, Schwebe-, Tragefiguren nimmt beinahe den Atem. Oder die Schriftprojektion, deren Kreisbewegung die Tänzerinnen aufnehmen, der sie folgen, gereiht.

Aber.

Zweistundenfünfzigminuten: Schönheit. Szene folgt auf Szene wie Perlen einer Kette. Allein, das haltende Band, die Schnur, die die Perlen zur Kette fügte, will sich nicht finden. Leitmotive gibt es, natürlich: das Wasser, das Orientalische (mal türkisch, aber auch spanisch, auch indisch, die Truppe ist international gemischt, das alles zu Ethno-, aber auch lässiger Jazzmusik; oder Tom Waits: am Ende, als Rausschmeißer), die Paar- bzw. Geschlechterverhältnisse. Es löst sich auf in die Schönheit des Ornaments (Rockgeschüttel, ein Schmetterling aus roter Farbe), es löst sich auf in die eine Nummer, die der anderen folgt. Und natürlich ist das alles zu geschmackvoll, um den Kitsch auch nur zu streifen. Ins Geschmäcklerische aber driftet es sehr wohl, schon weil die Spannung fehlt, die die einzelnen Teile aufeinander in anderer als summierender Weise bezöge. Merkwürdiger Effekt: Die Teile, die schön sind, schöner, am schönsten, ergeben am Ende weniger als man dachte. Nicht an Applaus, der ist von einem zu weiten Teilen volksbühnenfremden Publikum geradezu rasend. Aber an, sagen wir: Sinn. Sagen wir auch: Berührendem. Die Schönheit, auch die Virtuosität reißen hin für Momente. Es reicht jedoch nicht für den Rausch. Wenn es ein Zuviel der Schönheit gibt, dann lässt es sich hier erleben. Die Mitte von "Nefes" (türkisch für "Atem") bleibt eigentümlich leer. Ein exquisiter Abend, auf höchstem Niveau. Im Theater gewesen, nicht geweint.

     
 

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