Die Bühne ist zwei, nein dreigeteilt, ist eine
Maisonette-Bühne in drei Etagen. Das Untergeschoss als Hölle ist
lange da, ohne recht wahrgenommen zu werden, ohne irgend Funktion zu gewinnen.
Spät erst gibt es Geräusche, Licht, einer verschwindet. Im Erdgeschoss,
weit an den vorderen Rand der Bühne gerückt das Zimmer der Kaps
mit scheußlich braun-weißer Tapete, dem Tisch, dem Schrank, dem
Bett. Weit oben rechts der Boiler, der leuchtet, wenn der Stift, mit dem
die Kaps ihre Notizen ins Notizheft schreibt, auch leuchtet. Kurz immer nur,
und rot. Links noch der Luftgebläsehandtrockner, den man lange Zeit
für ein Radio halten kann und ganz gegen Ende hält die Kaps ihren
Kopf darunter, gebückt und schräg - die Kaps übrigens ist
Frau Kapsreiter, aus Heimito von Doderers Roman "Die Dämonen", falls
man das so umstandslos von der Literatur auf die Bühne
hinüberidentifizierend sagen kann, denn sie ist auch die
Marthaler-Schauspielerin Bettina Stucky, die viel herumsitzt und herumliegt
und Kaffee mahlt und Kaffee kocht und manchmal Sätze spricht, die oft
von Doderer sind. Übrigens sind diese Sätze als gesprochene
gelegentlich ein Art Einbruch, von Plot in Stücken und Zusammenhang
in Momenten, in ein Kontinuum der Ereignislosigkeit, in der man es sich
einrichten könnte, zumal
Zumal im ersten Stock die Musik los ist. Fast ist "Ohne Leben Tod" Musik
mit Theaterbegleitung. Oben, in den Hintergrund fluchtend, von einer
abwechslungslos grauweißen Wand, die in die Höhen des Hebbel-Theaters
gezogen ist, nach hinten zulaufend begrenzt, ist eine Art Kirchenraum. Auf
Kirchenbänken, den Rücken zum Publikum, Musiker. Frontal an der
Wand eine Anzeigetafel wie man sie vor allem von den Bühnen der Anna
Viebrock kennt. Manchmal leuchtet eines der von Metall gefassten Felder gelblich
auf, K.1, K.2, Notstr., es erinnert ein wenig auch an Gesangbuchangaben,
ein wenig aber nur. Rechts weg vom ersten Stock geht eine Tür mit allerlei
technischem Gerät aus vorsintflutlicher Zeit. Ein großer Kabelstrang,
der sich, wie ein sechsarmiger Leuchter vielleicht, fast aber auch wie ein
Kreuz, nach oben teilt, auf sechs Türglocken zu, unterschiedlicher Bauart.
Rechts hinten auf der Bank erst die Kaps/Stucky, die dann nach unten geht
und nur einmal noch nach oben zurückkehrt. Zwei weitere Go-Betweens
aber: der Junge, der später in der Hölle, die später im
Untergeschoss sich rühren wird, verschwindet. Und der Mann, wie ein
Postbote oder wie Kriegsheimkehrer Beckmann, eine Postbotenmütze auf
dem Kopf und eine große Briefträger- oder Kriegsheimkehrertasche
um die Schulter, an einer Hand einen schwarzen Handschuh. Mit dem Handschuh
dirigiert er die Musik, die von Mahler ist, erst, und dann von Johannes Harneit,
der den Mahler ein wenig in seine Einzelteile zerlegt, später aber sehr
Eigenes unternimmt mit gegenwartsnaher Kompositionstechnik. Die behandschuhte
Hand sieht man von der ersten Reihe aus, wo ich sitze, nur manchmal, dirigierend.
Den ganzen Mann erst später, der übrigens, falls man das so von
der Bühne ins Leben hinüberidentifizierend so sagen kann, nicht
nur der Postbote und Kriegsheimkehrer ist, sondern Johannes Harneit selbst,
der Dirigent, der die Musik macht, die vom Theater, das vom Roman kommt,
begleitet wird. Harneit aber wird bei Gelegenheit zum Bruder der Kaps, gelangt
von oben nach unten und schraubt eine Glocke an und nimmt die Uhr ab mit
Jesus drauf und Drähten darunter, bevor er
Bevor er oben wieder die Musik in die Hand nimmt. Der Junge, der unten einen
Brief liest, vielmehr buchstabiert, und zwei Mal der Länge lang herumliegt,
auf der Bank mit dem Klappsitzen am Tisch erst, dann auf dem Boden, der Junge,
der in der Hölle verschwand, geht nach oben. Und singt.
Thomanerknabengesangmahlermusik, es ist fast schon beseligend, dann kippt
er um, das Orchester schaut, spielt aber weiter, zwischen Mahler und Harneit,
der Postbotebeckmannharneitkapsbruder hebt ihn wieder auf und der Junge singt
wieder wie ein Engel, dann fällt er wieder um. Das geht ein Weilchen
so. Später wird die Musik bedrohlicher, Text wird gesungen, gar gesprochen,
auch das ist nicht sehr schön, das müsste nicht sein. Alles ginge
so hin und alles geht so hin, mit einer als Schock dazwischenfahrenden
Unterbrechung aber, viel früher schon. Das Licht geht aus, die Glocken
schellen, die Kaps tapst im Dunkeln über ihre Wohnbühne im Erdgeschoss
und verschwindet fast im Schrank, nur der Arm ragt heraus. Die Krise geht
vorbei, sie korrespondiert, kann man annehmen, dem Brand im Roman. Träge
Übertragungen nur von hier nach da nimmt Anna Viebrock vor und fast
wollen sie einem in ihrer Trägheit noch zu flink vorkommen. Sollte nicht
die Eigenwelt, die hier entsteht, im Viebrock-Ambiente, mit Ausziehen und
Anziehen und Kaffeekochen und Zubettgehen sich selbst genügen dürfen? |