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Anna Viebrock und Johannes Harneit: Ohne Leben Tod

Kritik von Ekkehard Knörer

  

Die Bühne ist zwei, nein dreigeteilt, ist eine Maisonette-Bühne in drei Etagen. Das Untergeschoss als Hölle ist lange da, ohne recht wahrgenommen zu werden, ohne irgend Funktion zu gewinnen. Spät erst gibt es Geräusche, Licht, einer verschwindet. Im Erdgeschoss, weit an den vorderen Rand der Bühne gerückt das Zimmer der Kaps mit scheußlich braun-weißer Tapete, dem Tisch, dem Schrank, dem Bett. Weit oben rechts der Boiler, der leuchtet, wenn der Stift, mit dem die Kaps ihre Notizen ins Notizheft schreibt, auch leuchtet. Kurz immer nur, und rot. Links noch der Luftgebläsehandtrockner, den man lange Zeit für ein Radio halten kann und ganz gegen Ende hält die Kaps ihren Kopf darunter, gebückt und schräg - die Kaps übrigens ist Frau Kapsreiter, aus Heimito von Doderers Roman "Die Dämonen", falls man das so umstandslos von der Literatur auf die Bühne hinüberidentifizierend sagen kann, denn sie ist auch die Marthaler-Schauspielerin Bettina Stucky, die viel herumsitzt und herumliegt und Kaffee mahlt und Kaffee kocht und manchmal Sätze spricht, die oft von Doderer sind. Übrigens sind diese Sätze als gesprochene gelegentlich ein Art Einbruch, von Plot in Stücken und Zusammenhang in Momenten, in ein Kontinuum der Ereignislosigkeit, in der man es sich einrichten könnte, zumal

Zumal im ersten Stock die Musik los ist. Fast ist "Ohne Leben Tod" Musik mit Theaterbegleitung. Oben, in den Hintergrund fluchtend, von einer abwechslungslos grauweißen Wand, die in die Höhen des Hebbel-Theaters gezogen ist, nach hinten zulaufend begrenzt, ist eine Art Kirchenraum. Auf Kirchenbänken, den Rücken zum Publikum, Musiker. Frontal an der Wand eine Anzeigetafel wie man sie vor allem von den Bühnen der Anna Viebrock kennt. Manchmal leuchtet eines der von Metall gefassten Felder gelblich auf, K.1, K.2, Notstr., es erinnert ein wenig auch an Gesangbuchangaben, ein wenig aber nur. Rechts weg vom ersten Stock geht eine Tür mit allerlei technischem Gerät aus vorsintflutlicher Zeit. Ein großer Kabelstrang, der sich, wie ein sechsarmiger Leuchter vielleicht, fast aber auch wie ein Kreuz, nach oben teilt, auf sechs Türglocken zu, unterschiedlicher Bauart. Rechts hinten auf der Bank erst die Kaps/Stucky, die dann nach unten geht und nur einmal noch nach oben zurückkehrt. Zwei weitere Go-Betweens aber: der Junge, der später in der Hölle, die später im Untergeschoss sich rühren wird, verschwindet. Und der Mann, wie ein Postbote oder wie Kriegsheimkehrer Beckmann, eine Postbotenmütze auf dem Kopf und eine große Briefträger- oder Kriegsheimkehrertasche um die Schulter, an einer Hand einen schwarzen Handschuh. Mit dem Handschuh dirigiert er die Musik, die von Mahler ist, erst, und dann von Johannes Harneit, der den Mahler ein wenig in seine Einzelteile zerlegt, später aber sehr Eigenes unternimmt mit gegenwartsnaher Kompositionstechnik. Die behandschuhte Hand sieht man von der ersten Reihe aus, wo ich sitze, nur manchmal, dirigierend. Den ganzen Mann erst später, der übrigens, falls man das so von der Bühne ins Leben hinüberidentifizierend so sagen kann, nicht nur der Postbote und Kriegsheimkehrer ist, sondern Johannes Harneit selbst, der Dirigent, der die Musik macht, die vom Theater, das vom Roman kommt, begleitet wird. Harneit aber wird bei Gelegenheit zum Bruder der Kaps, gelangt von oben nach unten und schraubt eine Glocke an und nimmt die Uhr ab mit Jesus drauf und Drähten darunter, bevor er

Bevor er oben wieder die Musik in die Hand nimmt. Der Junge, der unten einen Brief liest, vielmehr buchstabiert, und zwei Mal der Länge lang herumliegt, auf der Bank mit dem Klappsitzen am Tisch erst, dann auf dem Boden, der Junge, der in der Hölle verschwand, geht nach oben. Und singt. Thomanerknabengesangmahlermusik, es ist fast schon beseligend, dann kippt er um, das Orchester schaut, spielt aber weiter, zwischen Mahler und Harneit, der Postbotebeckmannharneitkapsbruder hebt ihn wieder auf und der Junge singt wieder wie ein Engel, dann fällt er wieder um. Das geht ein Weilchen so. Später wird die Musik bedrohlicher, Text wird gesungen, gar gesprochen, auch das ist nicht sehr schön, das müsste nicht sein. Alles ginge so hin und alles geht so hin, mit einer als Schock dazwischenfahrenden Unterbrechung aber, viel früher schon. Das Licht geht aus, die Glocken schellen, die Kaps tapst im Dunkeln über ihre Wohnbühne im Erdgeschoss und verschwindet fast im Schrank, nur der Arm ragt heraus. Die Krise geht vorbei, sie korrespondiert, kann man annehmen, dem Brand im Roman. Träge Übertragungen nur von hier nach da nimmt Anna Viebrock vor und fast wollen sie einem in ihrer Trägheit noch zu flink vorkommen. Sollte nicht die Eigenwelt, die hier entsteht, im Viebrock-Ambiente, mit Ausziehen und Anziehen und Kaffeekochen und Zubettgehen sich selbst genügen dürfen?

     
 

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