Rezensionen: Edgar Allan Poe: Gesamtwerk

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Das Poe-Projekt

DAS POE-PROJEKT

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Der 1. Band

Die Lektüre folgt der von Arno Schmidt und Hans Wollschläger übersetzten Ausgabe, in der bei Pawlak erschienenen Version in zehn Bänden.

Metzengerstein

(2.9.2004)

Es beginnt mit einer Überlegung zur Metempsychose in Ungarn. Ungarn: Wo Familien Namen wie Metzengerstein und Berlifitzing tragen und tote Menschen  als untote Seelen in aus Teppichen herabgesprungene Pferde fahren. Ein Zwist wie kein zweiter zwischen den Familien Metzengerstein und Berlifitzing, ein Schurke sondergleichen der junge Baron Metzengerstein, der das Gut der Berlifitzings zu Beginn der ausdrücklich undatierten Geschichte in Brand setzt (wahrscheinlich; dies eines der vielen Signale der Unbestimmtheit, die der Erzähler gibt). Wilhelm von Berlifitzing stirbt, es entkommt ein Pferd, auf die Stirn gebrannt die Intitialen WvB, aber den Berlifitzings, sagen sie, gehört es nicht. Das Zeichen also ist nur verschoben zu lesen: nicht als Besitzanzeige, sondern als metempsychoseanzeigende Signatur. Einen Namen gibt Metzengerstein, der es in Besitz nimmt, von ihm in Besitz genommen wird, dem Pferd nicht.

Es hat einen weiteren Herkunftsort: Es ist zu sehen in einem Wandteppich, den Metzengerstein den Berlifitzings gestohlen hat. Er zeigt ein Pferd und einen abgeworfenen Vorfahren der Berlifitzings. Das Bild, der Teppich, das Pferd ziehen den Blick Metzengersteins auf sich, in Trance betrachtet er es, während draußen das Feuer tobt. Eine Erscheinung: das Pferd wendet den Kopf, der zuvor voll Erbarmen auf seinen Herrn gerichtet war und blickt dem Baron ins Antlitz. Der flüchtet und im Schein der Flammen verschmilzt sein Schatten im Teppich mit dem Körper des sterbenden Berlifitzing.

Und ein dritter Ort ist im Spiel, nicht als Bild, sondern als Spruch der Prophezeiung: "Ein hehrer Name kommt gar furchtbar schwer zu Fall, wenn, wie der Reiter seinem Roß, die Sterblichkeit Metzengersteins obsiegen wird der Unsterblichkeit Berlifitzings." Es hat, wie der Erzähler festzustellen sich beeilt, der Spruch keinen sinnvollen Inhalt. Die Wirkung aber und der Bezug auf den Ausgang sowie die Sinnmaterialien der Erzählung sind nicht zu leugnen. Die Metapher erfüllt sich in einer möglichen, jedenfalls tödlichen Interpretation. Der Spruch nennt Roß und Reiter, aber wie sich der Fall, die Sterblichkeit, die Unsterblichkeit zueinander verhalten, ist zuletzt der Lektüre zur Lösung aufgegeben. Am Ende nämlich verschwinden das Ross (in das der tote Berlifitzing seelengewandert scheint) und der Reiter (Baron Metzengerstein) im Feuer nun der eigenen Güter, ein Ritt ins Nichts, in ein Finale, das die Lesbarkeit der Zeichen noch in der Erfüllung und Übererfüllung unlesbarer Weissagung in Schutt und Asche legt. Was bleibt ist kein Schall ("Totenstille"), aber Rauch - aufsteigend vom Schloss in Gestalt eines Pferdes.

 

Der Duc de l'Omelette

(2.9.2004)

Scherz, Satire, wenig tiefere Bedeutung. Der Duc de l'Omelette gerät in die Hölle, als er stirbt. Was beim Ortolan geschah, bei dessen Erscheinen er am Ekel krepiert. Satan persönlich begrüßt ihn. Der Duc bewundert die Aussicht nach oben, in Feuergefilde. Und der Gesang, die Musik geschundener Seelen. Er fasst sich ein Herz und bittet den Teufel, die Sache auszufechten. Der will nicht, aber ein Kartenspiel schlägt er dem Duc nicht ab. Eine Verwechslung um König und Dame (die männliche Kleidung) und ein Betrug. Der Duc gewinnt, ein letztes Kompliment: wäre er nicht er selbst, sehr gerne wäre er Satan. Dann ist er davon, der Andeutung des Mottos folgend: "in kühlere Gefilde".

 

Eine Erzählung aus Jerusalem

(3.9.2004)

Jerusalem, römische Besatzung, ein Lamm soll gekauft werden fürs Opfer, die drei Unter-Opferkollektoren wollen den Handel mit den Römern machen - dreißig Silberschekel. Einfach ist es nicht: Aus zweihundertfünfzig Ellen Höhe muss ein Korb mit dem Geld nach unten gelassen werden, ins Römerlager unten, das von oben sich ausnimmt wie "Heuschrecken in der Wüste". Man gerät in eine Diskussion über Götter aller Länder. Der Korb mit dem Geld verschwindet, die Kollektoren warten, im Nebel ist nichts zu sehen. Dann kehrt der Korb zurück, schwer ist er, es ist ein Widder schimpft der eine Pharisäer, es ist ein Erstling der Herde, freut sich der andere, ein gemästet Kalb, jubelt der dritte. Dann aber sehen sie: es ist ein Schwein, "es ist das unaussprechliche Fleisch!"

 

Der Atemverlust

(12.9.2004)

"Der Atemverlust" ist vielleicht eine Ehesatire. Mitten in der wüsten Beschimpfung jedenfalls seiner Frau geht dem Erzähler der Atem aus. Diese Verlegenheit bestimmt den Gang der weiteren Handlung. Erst sucht er - nach dem Atem, ohne den zu überleben im übrigen noch nicht das entscheidende Problem darstellt. Was er findet: "einen Satz falscher Zähne, zwei Paar Hüften, ein Auge und ein Bündel von billets-doux, die Herr Windgang meinem Eheweibe geschrieben". Herr Windgang spielt keine unbedeutende Rolle: er ist das Gegenstück des Erzählers, dürr, wo der dick, groß, wo der klein. Und an ihn gerät, durch Zufall, der Atem (aber das stellt sich erst später raus). Es sucht der Erzähler gelegentlich den Trost der Philosophie, dergestalt: "Anaxagoras, man wird sich erinnern, behauptete, daß Schnee schwarz sei, und eben dies habe ich seither denn auch bestätigt gefunden." Ohne Erläuterung.

Der Erzähler verfällt auf einen Trick: Er antwortet seiner Frau nur noch mit Stellen aus der Tragödie "Metamora" (irgendwas passt immer) - eine Figur gibt es, die nur in der tiefen Stimmlage spricht, in der man des Atems nicht bedarf. Es folgt eine kurze Theatersatireeinlage. Dann aber reist der Erzähler ab, wird in der Kutsche fast erdrückt, dann hinausgeworfen, bricht sich zwei Arme, holt sich einen Schädelbruch. Ein Quacksalber untersucht ihn, schneidet dabei die Ohren ab und räumt den Bauchraum aus, es folgen noch Experimente mit einer galvanischen Batterie: auch die überlebt der Mann. Bei der Flucht gerät er - das ist ein bisschen kompliziert - an den Galgen, das Fallbrett fällt, er kommt erneut davon, denn der Atem kann ihm ja nicht mehr ausgehen, immerhin: "Meine Konvulsionen sollen außerordentlich gewesen sein."

Dann wird er lebendig begraben, kann jedoch den Sargdeckel aufsprengen, es folgt eine böse Satire auf die Toten, die sich in den anderen Särgen befinden, der Erzähler fantasiert vor sich hin: "Er war der Erfinder selbstbeweglicher Fächerwedel, Windsegel und Lüftungsanlagen." Bald darauf - die Erzählung stürzt immerzu voran, man weiß nicht, welcher Logik folgend - gerät Herrn Luftmangel (so sein Name; zuletzt aber wird er anders zeichnen, als: Lyttleton Barry) die Nase von Herrn Windgenug in die Hände - und es gelingt ihm, den eigenen Atem wieder freizupressen. (Ein Namens-Drama, vielleicht nichts anderes als das.) Es folgen noch einmal Überlegungen zur Philosophie und Theologie: Ins Paradies kommt, bei den Hebräern, wer "mit guten Lungen "Amen!" brüllt. Und ein Denkmal zu errichten war es Sitte in Athen, heißt es zuletzt, das einfach "dem betreffenden Gotte" gewidmet wird.