Rezensionen: Don DeLillo: Körperzeit (2001)

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Don DeLillo: Körperzeit (2001)

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Don DeLillo ist in seinem bisherigen Werk immer wieder zwischen mehr (Libra, Underworld) und weniger (White Noise, Mao II) realistischen Romanen hin- und hergewechselt. Keiner davon kann aber einen rechten Vorgeschmack auf seinen neuesten, soeben erschienen Kurzroman The Body Artist vermitteln. Eine derart spröde, handlungsarme und erzählperspektivisch eingeschränkte Geschichte hat DeLillo noch nie erzählt.

Nur zweimal nämlich wird in The Body Artist die streng durchgehaltene erlebte Rede, also die Annäherung an das subjektive Empfinden der Figur trotz der scheinbar objektiven Erzählung in der dritten Person, unterbrochen. Durch kurze Zeitungsartikel, der eine ein Nachruf auf den Filmregisseur Rey Robles - den der Leser in den ersten häuslichen Szenen einer Ehe noch kennenlernt, wenngleich durch die Augen Lauren Hartkes, seiner Frau, der Titelheldin; der andere Zeitungsartikel schildert einen Auftritt Hartkes als Körper- und das heißt auch Verwandlungskünstlerin, die auf verblüffende Weise fremde Gestalt annehmen kann. Der Rest des Romans spielt sich ausschließlich in einem Landhaus ab, das Hartke und Robles für die Ferien gemietet haben, das Hartke jedoch auch nach seinem Tod nicht verlässt. In den ersten Szenen des Beisammenseins werden einige Motive eingeführt, so etwa die Aufmerksamkeit der Titelheldin für die Vogeltränke vor ihrem Fenster. Es gibt Gesprächs- und Gedankenfetzen, bereits in einem die Unkonzentriertheit und Ablenkbarkeit Hartkes mitstenografierenden Stil, der sich in seinen Abbrüchen und Wiederholungen authentisch gibt, in Wahrheit aber höchst artifiziell ist. Dann aber fährt Robles nach New York und jagt sich dort, wie wir aus dem Zeitungsartikel erfahren, in der Wohnung seiner ersten Frau eine Kugel in den Kopf. Von da an sind wir allein mit Lauren Hartke.

Oder nicht ganz. Sie hört Geräusche auf dem Dachboden, wagt sich hinauf und findet dort eine menschliche Gestalt, die sie Mr. Tuttle nennt. Wie er wirklich heißt, werden wir nie erfahren, da er zu Kommunikation im vertrauten Sinne nicht fähig ist. Tatsächlich werden wir auch nie erfahren, ob Mr. Tuttle wirklich existiert. Ob er nicht vielleicht nur der Einbildung Lauren Hartkes entspringt - oder ob nicht sie selbst in einer seltsamen Form von Sprach- und Körperschizophrenie Mr. Tuttle ist (den Verdacht legen die Beschreibungen des zweiten Zeitungsartikels nahe). Es ist freilich nicht so, dass Mr. Tuttle nicht spricht. Seine Worte sind aber, bis in die kleinste Phrasierung, Wiederholungen der Worte anderer. Es ist, als wäre Rey Robles wiederauferstanden, neu geboren aus Wünschen und Vorstellungen der zurückgelassenen Ehefrau - man kann das ganze durchaus als eine Variation auf Stanislaw Lems Solaris lesen. Mr. Tuttle wiederholt Reys, aber auch Laurens Worte, als habe er ihre Gespräche, deren Realität De Lillo anfangs immerhin etabliert hat (sonst hätte man buchstäblich gar keinen Grund unter den Füßen), belauscht und gebe sie nun, merkwürdig verständnislos wieder. Die Heldin empfindet dieses Nachplappern aber nicht als papageienartig, es gibt ausführliche Spekulationen darüber: sie interpretiert Mr. Tuttle als aus der Zeitfolge Gefallenen, in einem beständigen, nirgends anschließenden Hier und Jetzt Lebenden. Sein Sprechen wird lesbar als ein Sprechen ohne Intention und ohne Referenz, leeres Sprechen, gerade dadurch aber geradezu heiliges Sprechen. DeLillo wiederholt und variiert das Motiv: fast nur verdoppelt in den Überlegungen Hartkes zur mechanischen Stimme einer Anrufbeantworteransage, ausgeweitet auf Zeit und Raum in Hartkes Faszination durch eine Webcam-Übertragung von einer verlassenen Straßenkreuzung in Finnland. Auch hier: Bilder ohne Autor und ohne wirkliche Referenz. Der Ort und die (Echt)Zeit lassen sich zwar angeben, sind aber ohne jede Bedeutung.

The Body Artist, das dürfte aus dem Gesagten klar werden, ist Literatur als Konzeptkunst. Wer Materialfülle und realistische Beschreibung erwartet - und nach Underworld werden das nicht wenige sein -, wird von DeLillos neuem Roman enttäuscht sein. Er ist ein Exerzitium in Wahrnehmungs-Philosophie, ein strenger Entwurf, eine kühle Komposition, kompromisslos ausgeführt. Die Sprache ist in ihren Sinn- und Syntax-Brüchen der Versuch, Mimesis ans Denken zu finden, sie ist sehr bewusst unpoetisch, hart, protokollartig. Dieser Roman kann einem vorkommen, als wäre er in Stein gemeißelt. Man sieht die Kunst des Autors, aber seine Strenge hält einen auf Distanz.

Das erste Kapitel können Sie hier nachlesen.

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