12.8.04

DVD: In This World (Michael Winterbottom, GB 2002)

In This World (Großbritannien 2002)
Regie: Michael Winterbottom (Jump Cut)
Anbieter: Sunfilm
Darsteller: Jamal Udin Torabi, Enayatullah, Imran Paracha,
Hiddayatullah, Jamau, u.a.
Filmkritik von Ekkehard Knörer

Der Wettbewerb der Berlinale 2003 (Jump Cut) stand ganz unter dem Zeichen Migration. Filme wie Rezervni Deli oder der deutsche Beitrag Lichter (unsere Kritik) verhandelten von je unterschiedlicher Perspektive die jüngsten, internationalen Flüchtlingsbewegungen. Michael Winterbottoms Beitrag In This World, der von der Jury mit dem Goldenen Bären bedacht wurde, stellt, basierend auf der realen Geschichte seines Hauptdarstellers, mit semi-dokumentarischen Mitteln eine Flucht von Pakistan nach Großbritannien nach. Sunfilm Entertainment hat den Film jüngst in einer qualitativ überzeugenden DVD auf den Markt gebracht.

Die Sprache der Statistik, mit der man illegalen Flüchtlingen in der öffentlichen Rede normalerweise begegnet, wird auch hier zu Beginn gesprochen. Doch die Zahlenkolonnen auf der Leinwand - die Geldbeträge beispielsweise, die für die Bombardierungen Afghanistans aufgebraucht wurden, und welche deutlich geringeren Beträge den Flüchtlingen in Pakistan zugesprochen werden - treten bald in den Hintergrund. Der Film konzentriert sich auf zwei ganz konkrete Schicksale auf dem langen Überland-Weg von Pakistan nach London - die der beiden Cousins Jamal und Enayat, zweier "Illegaler".

In halbdokumentarischem Stil inszeniert Michael Winterbottom diese langwierige, aufreibende Reise unter haarsträubenden, lebensgefährlichen Bedingungen. Und er betont, denn das liegt auf der Hand, die rigiden ökonomischen Bedingungen einer solchen Fluchtbewegung. Die beiden machen Erfahrungen mit lediglich an schnellem Geld interessierten Schiebern und abgebrühten Menschenschmuggler, aber auch Menschenfreunde greifen den beiden unter die Arme. Die Reise geht zu Fuß über eisige Gebirge, durch orientalische Metropolen oder im LKW quer übers Land. Verstecke finden sich auf den Transportflächen der Lastkraftwagen, hinter Schafen oder gefährlich schwankenden Orangenkisten.

Ein paternalistischer Blick der westlichen Metropolen auf Jamal und Enayat bleibt uns zum Glück erspart. Die beiden sind, genau wie die anderen Flüchtenden, deren Wege sie kreuzen, in erster Linie Menschen und keine Projektionsflächen für Opfergedenken, Exotismus und damit verbunden den gängigen Vorstellungen vom "besseren Menschen" aus exotischen Gefilden. Ganz im Gegenteil sieht sich Jamal in seiner desolaten Situation dazu gezwungen, Touristen zu beklauen - in eine Biografie, in soziale und ökonomische Bedingungen, eingebettet, macht das Sinn. Denn hier geht es nicht um Propaganda – die des "heiligen“ oder aber des "kriminellen Ausländers" etwa. Nein, Jamal und Enayat sind Menschen mit Bedürfnissen, die sich existenziellen Situationen ausgesetzt sehen und als solche Menschen inszeniert Gesicht und Würde erhalten. Allein die oft zu poetisch und dramatisch geratene Musik - ein Kind der "Neuen Musik" und damit eindeutig einer westlichen Tradition geschuldet - nimmt den rohen, oft improvisierten Digital-Bildern bisweilen etwas ihre authentische Kraft.

Dramatisch sind die Grenzüberquerungen inszeniert worden. Grobkörnige Einzelbilder, oft mit Nachtsichtgeräten erstellt, die die von Grund auf militärischen Bedingungen der Grenzbeobachtungen und -überquerungen verdeutlichen, schnelle Kameraschwenks, die nur undeutliche Bilder, eher vorbeiziehende Lichtreflexe im Dunkeln, produzieren, eine akustische Verstärkung der Außenwelt - Motorenlärm, Windrauschen - lassen einen den klaustrophobischen Charakter einer solchen Situation, die blanken Nerven, mit der man ihr nur begegnen kann, spüren. Hoch anrechnen muss man Winterbottom, dass es ihm dank seiner einfühlsamen, sorgfältigen Inszenierung gelang, zwei namenlose Illegale, die ansonsten in den Zahlenkolonnen der Statistik untergegangen wären, mit Gesicht und Namen versieht und somit den gängigen, oft genug unseligen Einwanderer-Diskurs um entscheidende Perspektiven erweitert.

Die von Sunfilm Entertainment aufgelegte DVD weiß qualitativ wieder auf ganzer Linie zu überzeugen. Dank digitaler Aufnahmeverfahren fallen Bild und Ton hervorragend aus und geben keinen Grund zur Klage. Da mir die deutsche Kinofassung des auf der Berlinale lediglich untertitelt gezeigten Films nicht bekannt ist, kann ich nicht nachvollziehen, ob die Idee, den Film im O-Ton zu belassen und die Übersetzung der Dialoge von einem Erzähler einsprechen zu lassen, bereits für die hiesige Kinoauswertung umgesetzt wurde oder ob es sich hierbei um ein Zugeständnis an den DVD-Markt handelt. Generell steht diese Umsetzung dem Film nicht unbedingt gut an, jedoch kann man glücklicherweise auch auf eine bloße Untertitelung des Originaltons zurückgreifen.

Das Zusatzmaterial fällt schlicht, aber effizient aus: Neben Obligatorischem wie einer Bio-/Filmografie des Regisseurs, einer Bildergalerie und dem Kinotrailer findet sich ein knapp halbstündiges, vom Regisseur kommentiertes „Making Of“, das in diesem Falle in der Tat Sinn macht, da der mit kleinem Team gedrehte Film in der Tat unter ähnlichen Bedingungen stattfand wie die Flucht des jungen Jamal und Hintergründe von Migration erhellt.

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Weiterführende Links: imdb | mrqe | Linksammlung (filmz.de) | Feuilletonschau (angelaufen.de)

Technische Details:
  • Laufzeit: ca. 86 Minuten
  • Ton: Deutsch (zum O-Ton eingesprochene Synchronübersetzung; dts, DD 5.1, DD 2.0), Mehrsprachige Originalfassung (DD 5.1, DD 2.0)
  • Untertitel: Deutsch
  • Bildformat: 2,35:1 anamorph
  • Zusatzmaterial: Making Of, Bildergalerie, Bio/Filmografie Michael Winterbottom, Trailer


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