18.4.05
DVD: Tartüff (F.W. Murnau, Deutschland 1926)
Tartüff (Deutschland 1926)
Regie: F.W. Murnau
Anbieter: Transit
Darsteller: Hermann Picha, Rosa Valetti, André Mattoni,
Werner Krauss, Lil Dagover, Lucie Höflich, Emil Jannings, u.a.
Regie: F.W. Murnau
Anbieter: Transit
Darsteller: Hermann Picha, Rosa Valetti, André Mattoni,
Werner Krauss, Lil Dagover, Lucie Höflich, Emil Jannings, u.a.

Nach der „entfesselten Kamera“ im zuvor entstandenen und bei Transit ebenfalls vorliegenden Der letzte Mann gibt sich Tartüff im gemeinsamen Werk von Murnau und Kameramann Karl Freund zuweilen den Anschein einer Rückkehr zur statischen Einstellung. In der Tat gibt es nur einen sehr pointierten Einsatz von Kamerabewegung zu verzeichnen: Wo es dramaturgisch Sinn macht, wird der im Stummfilm für gewöhnlich durch den Bildrahmen recht geschlossen wirkende Raum mit viel Effekt durch achsenparallele Kamerafahrten aufgebrochen und erweitert. Etabliert wird dergestalt ein relativ kontingentes Spielraum-Gefüge, eine Art Sphäre üblicher Alltagsansichten, in denen aber das Besondere des Details, das vielleicht das wahre Wesen einer Sache überhaupt erst erschließen lässt, unterzugehen droht. Entsprechend sorgfältig gehen Murnau/Freund mit Großaufnahmen um, die in den Raum „hineinspringen“ und in unmittelbarer/unnatürlicher Nähe zu Personen und Gegenständen Ansichten erlauben, die etwa den Tartüff - mittels Hinweise auf listig eingesteckte Ringe und verschlagene Fältchen um das Lächeln - schon frühzeitig als frömmelnden, an sich aber durchtriebenen Hund erahnen lassen (die glücklicherweise vorliegende Originalmusik tut ihr übrigens, wenn sie der Person ein ironisch eingespieltes „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ als Leitthema anträgt). Über dieses dramaturgisch sehr bewusste Spiel von Orientierung stiftenden Gesamtansichten und analytischen Großaufnahmen – im Gegensatz etwa zur Großaufnahme mit bloßem Zeigecharakter des frühen Kinos - wird eine zweite Sphäre, eine des Heimlichen und Versteckten, geschaffen: Erst im Rahmen des Spielraums und der auch im Alltag gewahrten Distanz wird die Heuchelei effizient. Die relative Statik des Bildes ist also keineswegs als formaler Rückschritt zu verstehen, sondern ganz im Gegenteil als bewusste, ästhetische Entscheidung zu verstehen, die das bereits hochentwickelte Gespür für die Kommunikation des Films und seine Differenzqualitäten (etwa zum Theater, welches das Detail als dramaturgische Zutat naturgemäß kaum kennt) erahnen lässt. Interessanterweise hat auch der Filmtheoretiker Béla Balász etwa zur gleichen Zeit die Großaufnahme als das „eigenste Gebiet des Films“ ausgewiesen, in der die neue Qualität der Sichtbarkeit durch den Kinematographen selbst wiederum sichtbar wird. Und nicht zuletzt durch die seinerzeit als unnötig gescholtene narrative Rahmung durch eine Kinovorführung unter fingierten Vorzeichen gibt sich TARTÜFF auch als augenzwinkernde Reflexion über das Wesen der Heuchelei der eigenen Kunst zu erkennen: In dieser Télescopage der Räume – Kinoraum, Spielraum, „analytischer Mikroraum“ – und Heucheleien – Kino als Heuchelei, 24 mal pro Sekunde, die wiederum andere Heucheleien sichtbar werden lässt – steckt doch mehr Hintersinn und Ironie als man ersten, bloß zur Kenntnis nehmenden Blickes meinen könnte.
Aber auch von solchen Beobachtungen abgesehen, ist Tartüff auch einfach ein bis heute funktionierender, ästhetisch sehr schöner und nicht zuletzt auch recht humorvoll geratener Beitrag aus der Stummfilmzeit, den es – letzten Endes auch aufgrund seiner vergleichsweise geringeren Prominenz (im Vergleich etwa zum Golem oder zu Caligari) – zu entdecken lohnt. Schön geraten sind zum Beispiel eben auch der schon leicht parodistisch wirkende Umgang mit dem gerne als typisch für diese Zeit apostrophierten „expressionistischen“ Stilmitteln (eine Ansicht vom Weimarer Kino im übrigen, die unter empirischen Gesichtspunkten nicht zu halten ist). Lange Schatten, low-key-Belichtung und so weiter, das ganze schwerfällig gewordene Arsenal der in Dunkelheiten raunenden Seelenmalerei, das sind die Mittel, die Tartüffs erste Auftritte Ehrfurcht evozieren lassen sollen – um sich letzten Endes mit dem Wesen des Tartüffs als fauler Zauber zu entpuppen! Ein augenzwinkernder, von der Werkperspektive her gesehen – Nosferatu! - sogar leicht selbstironischer Umgang mit Stilmitteln, der mithin auch unter Beweis stellt, dass im Weimarer Kino vor zackigen Schatten nicht nur ehrfürchtig pathetisch niedergekniet wurde.
Wie bei Transit üblich ist auch dieses, bis ins Detail sorgfältig gestaltete Set wieder ein kleines Fest für filmhistorisch Interessierte geworden. Angefangen vom schönen Digi-Pack mit Schuber im ansprechenden Design über die gut gelungene Restaurierung und den tollen Transfer bis hin zur wieder äußerst spannenden Dokumentation über die Bedingungen der Produktion und der Restaurierung des Films (wieder mit vielen historischen Dokumenten aus den wunderschönen Archiven der Filmmuseen der Republik): Hier wurde wieder eine dieser schönen „Scheiben für die Ewigkeit“ geschaffen, die man gerne in sein Privat-Archiv stellt. Höchst erfreulich ist auch, dass die für das im historischen Sinne adäquate Erlebens des Films wichtige Originalmusik neu und im glasklaren Klang eingespielt wurde. Selbst im Kino kommt man kaum mehr dichter an das (ohnehin nur sehr selten mögliche) authentische Erleben eines Stummfilms.
Weiterführende Links: imdb | mrqe
Technische Details:
- Biografien zu 13 Stab- und Besetzungsmitgliedern