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Anita Mui yim-fung - Sings Among The Stars!

Text, Filmografie, Discografie: -MAERZ-

 

 

Bewundert, gefeiert, verehrt: Das waren einige goldene Jahre für eines der größten Showgirls der kantonesischen Unterhaltungbranche. Nun ist Anita mit dem grimmen Schnitter zur endgültigen Tournee in den Himmel aufgebrochen. Dadurch wird die HKer Entertainment-Welt '03 besonders arg gebeutelt: Nachdem Leslie Cheung Kwok-wing sein Gastspiel auf Erden am 1. April '03 freiwillig vorzeitig abgebrochen und die Bühen des Lebens durch ein Fenster im sechsten Stock eines Hotels im HKer Stadteil Central verlassen hat (der schlechteste Aprilscherz seit Jahrzehnten), fällt in diesem Jahr schon zum zweitenmal der letzte Vorhang für einen Superstar: Am 30. Dezember geht Anita Mui Yim-fung mit knappem Vorsprung vor dem ausklingenden Jahr über die letzte Ziellinie.

Sie ist ein Megastar des Kanto-Pop mit endlosen Konzertreihen in ganz Asien und einem CD-Schrank voller Edelmetal, auch wichtige Filmpreise bleiben nicht aus. Anita Mui ist das definitive "Sing Song Girl" mit einem Image-Entwurf zwischen hysteric Glamour, nuttiger Anmache, divöser Weitläufigkeit, der kanton-kompatiblen Form eines R&B-(Neo-)Soul-Sister-Habitus, melodramatischem Pathos und anschmiegsamer Spätkindlichkeit.


   Schon in der Frühphase ihrer Karriere (und auch später noch) versucht Mui sich von ihren züchtigeren kantonesischen Konkurrentinnen durch vergleichsweise anzügliche Songs abzusetzen. Mit diesen Image-Offensiven schafft sie sich den Ruf des "Bad Girls". Das klingt gut und kommt gut. Weniger toll findet sie verständlicherweise die Titulierung "Madonna Hong Kongs". Auch wenn Mui überhaupt nicht darauf steht: Der Vergleich paßt. Denn noch ist damals nicht klar, ob sie mit ihrem penetranten Madonna-Imitationsgehabe nur irgendeine schein-originelle Second-Hand-Personality bleiben wird oder ob mehr dahintersteckt: echte künstlerische Substanz.Zwar fegt Mui bei ihren Shows genauso wie der US-Superstar in permanent wechselndem Outfit über die Bühne (ihr Fans nennen sie nicht von ungefähr "Anita of a Hundred Changes"). Realistisch gesehen gehen die von ihrem Management, künstlerischen Beratern und Helferscharen um Mui herum inszenierten, sehr aufwendigen Spektakel allerdings höchstens als verfehlter 80s-Hardboiled-Glamour durch; in den 90ern ist ihr gurkiges Secondhand-Divatum nicht selten sogar strukturell lachkrampfgefährdet, manchmal eine echte Strapaze und nur was für Freunde des Karnevals in Vendig oder der massivverkitschten Commedia Del'Arte.

Auch musikalisch hinkt der Madonna-Vergleich: Muis Flachwasser-Bombast läuft viel häufiger auf Grund als der ihrer US-Nemesis, die es nahezu perfekt versteht, die scharfen Riffe des allzu seichten Pops durch perfekt getimete Arrangements zu umschiffen. Ohnehin wären in rein musikalischer Hinsicht Vergleiche mit R&B-Größen wie Anita Baker oder Toni Braxton (deren beider Songs von Mui gecovert werden) treffender. Nicht wenige ihrer Songs, einige ihrer Filmtitel- und/oder -abspann-Songs (besonders jene, die zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er entstehen), gehören dank ihrer sinnlichen Altstimme, in der oft dieses gewisse, unvergleichliche Etwas der heroisch-melancholischen Wehmut mitschwingt, zum Bewegendsten, was der Kanto-Pop in den letzten zwanzig Jahren hervorgebracht hat. Aber dann ist da immer auch noch die Überzahl ihres entweder im Fake-R&B-Schwulst rumzitternden oder erfolgs-konvulsivisch überproduzierten Plastik-Chirurgen-Horror-Bimbo-Pops ... So sehen das jedenfalls die orientalistisch indoktrinierten, um Definitionshoheit bemühten, kulturimperialistischen Gwailos, die einem der ganz großen Kulturexportschlager HKs (auch wegen ihrer Hakennase und ihres jeden Karpfen mit Stolz erfüllenden Mundes) den Erfolg im südostasiatischen Raum vermiesen wollen.

Der unvoreingenommene HKer Arthouse-Spezialist Eddie Fong Ling-ching bringt es dagegen auf den für die Hongkies wesentlichen Punkt: "She has the look and temperament of a devious 'bad girl', something that all the other pretty Hong Kong actresses simply don't have." Tatsächlich degenerieren gegen ihr betäubendes Charisma vergleichbare westliche Show-Stars zu langweiligen Femme-fatale-Klischees. Und lange kann man nach einem ähnlich betörenden, schwerlidrigen Schlafzimmerblick wie dem Anita Muis suchen.   

Einem großen internationalen Publikum dürfte sie erstmals '88 aufgefallen sein, als sie die Einladung annimmt, bei den Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Spiele in Seoul zu singen. Eine Sternstunde für ein kleines, dafür umso interessierteres westliches Publikum ist '89 im Rahmen der von Jonathan Ross moderierten "Chinese Ghost Stories"-Reihe des britischen Senders Channel 4 die Ausstrahlung von Stanley Kwan Kam-pangs herzzerreißend melodramatisch-romantischem Geister-Melodram ROUGE ('88) mit einer phänomenalen Anita Mui als gequältem Zwischenweltwesen und Leslie Cheung als wortbrüchigem Liebhaber in den Hauptrollen. Mit einem Hong Kong Award und einem taiwanesischen Golden Horse Award als beste Darstellerin ist es nach rund zwei Dutzend schon recht bemerkenswerten Filmrollen fraglos Muis Leinwanddurchbruch. Schon '92 bringt der US-Nachrichtensender CNN ein Feature über sie, in dem der bekannte Vergleich mit Madonna gezogen wird und auch Diana Ross nicht unerwähnt bleibt.

Geboren wird Anita Mui Yim-fung im Oktober '63 in der Provinz Guangxi. Im Dezember '03 stirbt sie in HK an Lungenversagen in der Folge von Gebärmutterhalskrebs, den sie nach der Frühstadiumsdiagnose im Sommer '01 zu spät und nicht konsequent genug behandeln läßt. (Erstmals in der Öffentlichkeit läßt sie ihr Leiden Mitte '03 verlautbaren.) Sie ist die Tochter einer Sängerin der Chinesischen Oper. Als sie vier ist, stirbt der Vater. Anita ist das jüngste von vier Geschwistern. Sie hat zwei ältere Brüder, ihre Schwester ist die um vier Jahre ältere Sängerin und Darstellerin Ann Mui Oi-fong, die '00 an Krebs der Eierstöcke stirbt. (Vielleicht ist es das schreckliche Beispiel ihres fast 15jähriger Überlebenskampfs, weshalb Anita Mui trotz Wissens um die eigene Krankheit die Therapie so lange hinauszögert.)

   Schon mit viereinhalb Jahren beginnt Anita zu singen und zu tanzen. Später, als junger Teenager tingelt sie professionell allein oder zusammen mit ihrer Schwester als Unterhaltungsnummer durch HKs Theater, Bars und Restaurants, tritt damals unter dem Künstlernamen "Yi Yi" auf und gibt Lieder aus chinesischen Opern und damals beliebte Popsongs zu besten. Mit dem Geld, daß die Geschwister dabei verdienen, muß die Familie unterstützt werden. Entsprechend der chinesischen Tradition setzt die ihre Hoffnungen auf die schulische Ausbildung der männlichen Nachkommen. Für Anita Muis eigene schulische Ausbildung bleibt nur wenig Zeit. Ein Mittelschulabschluß nach der 7. Klasse, ist alles, was möglich ist. Dafür geht es mit der Gesangskarriere stetig aufwärts.

'81 setzt sie sich gegen rund 3000 Mitbewerber durch und gewinnt den vom Sender TVB gesponsorten Amateurwettbewerb "First Annual New Talent Singing Contest" mit dem Song 'Season of Love'. Der Preis ist u.a. einen Plattenvertrag mit dem Major-Label Capital Artist. In der Jury sitzen damals die beiden berühmten (Film-)Komponisten Joseph Ku Kar-fai und James Wong Tsim (die später einige legendäre Hits für Mui schreiben werden, etwa ihren Abspannsong zu A TERRA COTTA WARRIOR ['89], der einen auch nach mehr als zehn Jahren noch immer augenblicklich in ein romantisches Delirium versetzt). Beide geben ihr die Höchstnote und bewerten ihre Performance als perfekt. Bis dahin ist in HK noch niemand in einem ähnlichen Wettbewerb so hoch bewertet worden.

Von ziemlich weit unten geht es nun im Expresstempo nach ganz oben. Muis Debütalbum 'Debts Of The Heart' ('82) mit dem ausgekoppelten gleichnamigen No.-1-Hit bringt ihr - wie auch alle weiteren Alben bis in die mittleren 90er - Platin ein (zwischen ' 85 und '91 wird sich das 17mal wiederholen!). Von TVB wird der Song als Titelmelodie der Soap "Soldier Of Fortune" ('82) verwendet. Über die Jahre wird TVB immer wieder auf Songs von Mui zur musikalischen Untermalung von Fernsehserien zurückgreifen, so u.a. bei "Woman On The Beat" ('83), "Rise And Fall Of A Stand-In" ('84), "The New Heaven Sword And Dragon Sabre" ('86), "The Blood Of Good And Evil" ('90) und "Time Before Time" ('97).

Nach dem Single-Hit 'Homecoming' ('84) gelingt ihr der Durchbruch zum Kanto-Pop-Superstar mit dem Album LEAP THE STAGE ('84). Diesen Status untermauert sie mit dem phänomenal erfolgreichen, vielfach ausgezeichneten Hitalbum BAD GIRL ('85). Der gleichnamige Titelsong des Albums wird zwar wegen seines schlüpfrigen Textes kurzzeitig von den HKer Radiosendern boykottiert. Aber gegen den Ansturm der Fans sind diese Mittel der Moralapostel nicht lange wirksam: Allein in HK gehen 400.000 Einheiten des Albums über die Ladentheken (noch '03 führt Mui damit die HKer All-Time-Verkaufscharts an). Anita Mui ist nun in aller Munde und bekommt den Stpitznamen: "Big Sis". In den 80ern und bis in die mittleren 90er hinein gehört Anita Mui natürlich zu den bestbezahlten HK-Diven. Mit geschätzten 16 Mio. HK $ regulärem Jahreseinkommen zählt sie '93 zu den fünf Topverdienern unter den Entertainment-Stars. Ein weiterer Meilenstein des Erfolgs: '94 wird sie die erste HKer Sängerin, die insgesamt 10 Mio. Alben verkauft hat. Bis '03 bringt sie rund 40 Originalalben heraus.

Ihre erste Soloperformance, '85 im damaligen Hong Kong Coliseum, erfordert wegen des riesigen Fanansturms 14 Nachfolgekonzerte. Weitere legendäre Konzertreihen folgen: '87 sind in HK 28 ihrer Shows (damals unter dem Motto "Ever-changing Anita - Showing All Her Glamour") hintereinander ausverkauf (ein Ereignis, das sich auch in Taiwan bemerkbar macht, wo Mui daraufhin der erste HK-Star wird, der dort Solokonzerte geben kann - der Beginn einer neuen Ära des HKer Show-Biz), '91 sind es gleich 33. Diese Beispiele sind natürlich nur die Spitze der Eisbergs. Muis Bühnenerfolge bleiben allerdings nicht ungetrübt. Durch ihre lasziv-anzüglichen Bühnenshows, mit denen sie so manche Gender-Kontroversen losgetritt (die auch bei einigen ihrer Leinwandauftritten zum tragen kommen), macht sie sich verdient um die Unterminierung der Sittlichkeit der HK- und Taiwan-Jugend. Ganz zu schweigen von der Festlandsjugend: In der Volksrepublik wird '99 sogar ein Auftrittsverbot gegen die "Queen of Stage" verhängt! Ihre Shows seien zu obszön und geeigent, die Moral der noch unreifen Zuschauer zu untergraben, werfen ihr die Sittenwächter vor. Ein letztes großes internationales Ereignis wird '02 Muis auch durch mehrere westliche Länder führende Welttournee zum Jubiläum von zwei Jahrzehnten im Entertainment-Biz. Erwartungsgemäß bombastisch fällt die Bühnenshow zum "Fantasy Gig 2002" (auf gleichnamiger DVD zu begutachten) aus. Wie es eigentlich die Regel ist bei solcherart Spektakel: rauschend, aber komplett hohl. Die letzten von Muis spektakulären Konzertveranstaltungen finden im November '03 (nur 6 Wochen vor Muis Tod!) im HKer Hung Hom Colisuem statt: 8 besonders kräftezehrende, aber ausverkaufte Großkonzerte hintereinander. Ein letzter Triumph für Mui, die, laut füherer Presseberichte, nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte, ihr Leben auf der Bühne auszuhauchen (eine morbide Phantasie, die sicher vielen Showgrößen bekannt sein dürfte).

 
Mit diesen Erfolgen ist der auch "Sister One" genannte Star die erste "Sky Queen", die eine ähnlich große Popularität erreicht wie ihre bis dahin den HKer Popmarkt dominierenden männlichen Kollegen (Sam Hui Koon-kit, Alan Tam Wing-lun, Leslie Cheung usw.). Geprägt wird der Titel Sky Queen in den frühmittleren 90ern von der HKer Presse, die eine griffige Analogie sucht zu den sogenannten "Szetai Tinwong", den "Vier großen Himmelskönigen" des Kanto-Pops (Jacky Cheung Hok-yau, Andy Lau Tak-wah, Leon Lai Ming und Aaron Kwok Fu-shing). (Als weitere "Sky Queens" gelten neben Mui Pop-Spitzenkräfte wie Kelly Chan Wai-lam oder Faye Wong Tsing-man.) Was nach Jahren des Begriffsverschleißes für die "Szetai Tinwong" gilt, trifft natürlich ebenso auf die Pop-Babes zu: prinzipiell ist das Label des "himmlischen Herrschers" völlig veraltet und wird nur von der total uncoolen Presse gebraucht. Wie ihre männlichen Kollegen hat auch Mui sich deshalb recht schnell wieder davon distanziert.

Ihrem Erfolg tut das kein Abbruch: Viermal in Folge erhält sie die vom Sender TVB verliehene, in der Pop-Welt sehr wichtige Auszeichnung "Jade Solid Gold's Most Popular Female Singer", ein bislang ('03) ungebrochener Rekord. Die Auszeichnung mit dem Special Asian Award beim "Tokyo Music Festival" verschafft ihr einen zusätzlichen Popularitätszuwachs in ganz Südostasien. Ähnlich wie ihr Kollege Alan Tam erklärt sie schon '90, keine weiteren Auszeichnungen der Musikindustrie mehr annehmen zu wollen. Trotzdem läßt sie sich '99 ganz gern den "Radio Hong Kong Golden Needle Award" überreichen - sie ist der jüngste Star, der diese Auszeichnung bislang erhalten hat.

Nach einer Reihe von Abschiedskonzerten erklärt Mui '92 ihren Rückzug von der Bühne, im Rampenlicht stehen, wolle sie in Zukunft nur noch für karitative Zwecke. Seitdem ist sie eine feste Größe bei Wohltätigkeitsveranstaltungen. ('92 wird der 18. Mai deshalb vom Bürgermeister von San Francisco offiziell zum "Anita Mui Day" ausgerufen, am 26. Oktober '93 geschieht dies zum zweitenmal.) Was sie mit ihrem vielfältigen sozialen Einsatz erreicht, kann sich sehen lassen: Sie ruft Stiftungen ins Leben, verteilt bedeutende Summen eigenen Geldes und eingesammelter Spenden an öffentliche und soziale Einrichtungen und engagiert sich seit der blutige Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung im Juni '89 für mehr politische Mitbestimmung in China und HK. Im Frühjahr '03 gehört sie zu den Organisatoren des großen Benefizkonzerts 1:99, mit dem die Stars der HKer Unterhaltungsindustrie Mittel für die HKer Opfer der SARS-Pandedemie aufbringen. Noch kurz vor ihrem Tod stellt sie sich im Herbst '03 den Strapazen der Fotoaufnahmen für ihr Personality Book 'Heart Of The Modern Woman', dessen Einnahmeerlöse einer Stiftung zur Unterstützung krebsleidender Kinder zugute kommt.

Keine zwei Jahre nach ihrem Rückzug ist sie '94 allerdings schon wieder mit vollen Einsatz zurück im Showgeschäft - angeblich zwingen Geldsorgen sie dazu, möglicherweise hilft ihr dies aber auch, über den Frust nach der gescheiterten mehrjährigen Beziehung zu einem jüngeren Mann hinwegzukommen. Vielleicht kann man auch in Abwandlung eines bekannten Sinnspruchs sagen: "You can take the girl out of the show, but you can't take the show out of the girl." Dank ihres glänzenden Comebacks dürften die alten Kümmernisse schnell verflogen sein. Bis auf die früheren Höhen des Megastardomes schafft sie es nun jedoch nicht mehr - dafür ist der Verdrängungswettbewerb im Show-Biz, besonders dem von HK, einfach zu groß. Nachgerückte jüngere Talente (Charlie Yeung Choi-nei, Sammi Cheng Sau-man, Kelly Chan Wai-lam) tragen den Kampf um die Publikumsgunst nun unter sich aus. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich Megastars an einer Hand abzählen lassen.

Daß Mui nicht nur (wie oben erwähnt) die moralische Widerstandsfähigkeit der Jugend schwächt, sondern auch in positiver Weise ihre Entwicklung unterstützt, beweist sie mit ihrer Firma Mui Music ('99 gegründet), über die sie Nachwuchskünstler managt und beim Aufbau ihrer Karriere unterstüzt. Unter diesen jungen Talenten befinden sich u.a. Denise Ho Wan-shi und Samuel Pang King-tsi. Künstler, die Mui schon früher unter ihre Fittiche genommen hat, sind u.a. die inzwischen selbst schon zu Stars gewordenen Andy Hui Chi-On, William So Wing-hong, Patrick Tam Yiu-man und die Kanto-Band "Grasshoppers" (die Brüder Remus Calvin Choi Yat-chi und Remus Choi Yat-kit, Edmond So Chi-wai sowie die Sängerin Chan Suk-fan).Star die erste "Sky Queen", die eine ähnlich große Popularität erreicht wie ihre bis dahin den HKer Popmarkt dominierenden männlichen Kollegen (Sam Hui Koon-kit, Alan Tam Wing-lun, Leslie Cheung usw.).

Neben ihren künstlerischen Aktivitäten ist Mui einer der Hauptfinanziers der '97 gegründeten Restaurantkette Star East, einem in seinem Betriebskonzept an Planet Hollywood angelehnten Unternehmen mehrerer Geldgeber aus dem HKer Film-Biz (darunter u.a. Jackie Chan, Wong Jing, Eric Tsang Chi-wai, Alan Tam). Zu den meisten der ab '98 geplanten südostasiatischen Restauranteröffnungen kommt es durch die Auswirkungen der Asiatischen Finanzkrise nicht mehr oder erst mit erheblicher Verzögerung. Später werden dafür neue Betätigungsfelder erschlossen. '99 übernimmt Star East die erfolgreiche Produktionsfirma BOB (Best Of Best).

Gossip (der vielleicht keine ganz unwesentliche Rolle bei Muis früheren Ruhestandsabsichten spielt): Mui wird von dem Darsteller und Regisseur Johnny Wong Lung-wai, der über hervorragende Beziehungen zur mächtigen 14K-Triade verfügt haben, angeblich sogar ein Dragon Head der Hunan-Gang gewesen sein soll, mehrfach tätlich bedroht und schließlich in der Öffentlichkeit geohrfeigt, als sie seinen "unwiderstehlichen" Angeboten nicht nachkommen will, in CALL GIRL 92 ('92) aufzutreten. Im Gegenzug wird Wong von Andely Chan Yiu-hing, einem Unterboss der rivalisierenden San Yee On-Triade, und Freunden mit Macheten schwer angehackt und während seines nachfolgenden Krankenhausaufenthalts von Unbekannten erschossen. Ein typischer Fall von "Face Killing", durch den ein Diumianzi, ein Gesichtsverlust getilgt und das eigene Territorium vor weiteren Übergriffen geschützt werden soll. Mui verläßt daraufhin fluchtartig die Stadt, um sich einige Zeit im Ausland (USA, Japan, Europa) bedeckt zu halten. Chan wiederum wird (sehr wahrscheinlich) aufgrund dieser Vorgänge '93 in Macau erschossen (siehe hierzu das sich mit Chans Lebensgeschichte befassende Bio-Pic THE TRAGIC FANTASY - TIGER OF WANCHAI ['94]). Im '94 folgenden Prozeß um diese Vorfälle sagt Mui gegen die Täter aus. Angeblich sollen Wongs Freunde von der 14K-Triade als Wiedergutmachung ein Bein Muis gefordert haben (kein Scheiß!, siehe hierzu 'Hong Kong Babylon', S. 27). Da sie auch in den folgenden Jahren putzmunter über die Bühne strampelt - ein Holzbein könnte sich unmöglich so perfekt kaschieren lassen -, wird die Angelegenheit wohl durch die Hilfe einflußreicher Freunde gütlich beigelegt worden sein. Dennoch wird Mui in der Siedephase dieser schmutzigen Affäre unter ein Zeugenschutzprogramm gestellt. '94 will sie dieser Vorkommnisse wegen sogar nach Kanada auswandern. Die Einbürgerung wird ihr aber von den kanadischen Behörden wegen mangelnder Qualifikationen verweht! Eine Beurteilung, die bei Muis unbestreitbarer künstlerischer Vielseitigkeit nur schwer aufrechtzuerhalten ist.

So sieht das auch die gefeierte Arthouse-Regisseurin Ann Hui On-wah, die Mui schon für EIGHTEEN SPRINGS (HK Award-Nominierung und Golden Bauhinia Award als beste Nebendarstellerin; '97) verpflichtete und über ihre Rolle als verwelkte Ehefrau und Mutter in dem Melodram JULY RHAPSODY (HK Award- und Golden Horse Award-Nominierungen als beste Darstellerin; '02) sagt: "[Sie] hat großartige Arbeit geleistet. Es ist möglicherweise ihr unglamourösester Auftritt. Aber sie hätte auch eine 18jährige spielen können. Sie ist eben eine großartige Schauspielerin. Sie kann einfach alles spielen (Interview -MAERZ-)." Wie wandelbar sie als Darstellerin ist, davon zeugen ihre knapp 60 Filmen aus den verschiedensten Genres. Ihrem Image gemäßt spielt sie immer wieder leidende, aber starke Frauen und Verführerinnen.


Anita Mui in Wu Yen

Daß Mui nach '96 länger nicht mehr auf der Leinwand zu sehen ist, hängt vielleicht damit zusammen, daß sie während der sich verschärfenden HKer Filmmarktkrise für reguläre Filmeinsätze nicht mehr bezahlbar oder wegen ihres Alters nicht mehr interessant ist. Ende '99 übernimmt Mui eine Rolle in der in HK produzierten Hörspielfassung von Peter Chan Ho-suns Hollywood-Debüt LOVE LETTER (USA, '99). Angeblich befand Mui sich '00 kurzzeitig auf der Besetzungskandidatenliste des Produzenten Mario Kassars für den für '02 geplanten Erotikthriller BASIC INSTINCT 2, die Fortsetzung des 92er Welthits. Diese Aussichten zerschlagen sich allerdings sehr schnell. Nach einer Rolle in dem 50minütigen Anti-Raucherfilm FROM ASHES TO ASHES ('00), Leslie Cheungs erster größerer Regiearbeit, tritt Mui für Johnnie To Kei-fungs WU YEN ('01) erstmals nach vier Jahren wieder für einen Spielfilm vor die Kamera. Diese in Geschlechtsfragen sehr komplexe Kostümkomödie bietet ihr in der Doppelrolle als Kaiser Qi und eines seiner männlichen Vorfahren die Gelegenheit, ihre ganzes Können auszuspielen. Besonders kompliziert wird es, wenn der Kaiser sich verstellen und eine Frau spielen, Mui also die darstellerischen Unebenheiten eines Manns in Frauenkleidern mitbedenken muß. Mit ihrem großartigen Leinwand-Comeback gestaltet Mui ganz nebenbei einige herrliche Kabinettstückchen des Hongkie Genderbendings.

Sicher hat Muis Rückkehr auf die Leinwand zu Beginn des ersten Zweitausenderjahrzehnts einiges damit zu tun, daß man sie Anfang '02 als erste Frau zum Vorsitz der von ihr '93 mitgegründeten Hong Kong Performing Arts Guild bestellt, wo sie Jackie Chan nach vier Jahren Amtszeit ablöst. Neben Jacob Cheung Chi-leungs pathetischem Roadmovie MIDNIGHT FLY (Golden Horse Award-Nominierung als beste Darstellerin; '01) stehen noch die Rollen in DANCE OF A DREAM ('01) und LET'S SING ALONG ('01), die beiden in die Sparte der vernachlässigenswerten leichten Muse fallen, auf Muis Programm. '01 im Produktionsplan der Arthouse-Firma Filmko Pictures angekündigt, aber nicht über die Pre-Produktion hinausgekommen ist Stanley Kwans BUDDHA JUMPS OVER THE WALL, in dem Mui die weibliche Hauptrolle spielen sollte - interessanterweise an der Seite ihres guten Freundes Leslie Cheung. Kein gutes Omen. Ihr letzter veröffentlichter Film wird der schon erwähnte JULY RHAPSODY. In seinem zur Zeit von Muis Tod noch in der Drehphase befindlichem Schwertkampfepos HOUSE OF FLYING DAGGERS (HK/VRC, '04) hatte Zhang Yimou eine größere Rolle für Mui eingeplant.

Zu Muis raren Fernsehengagements zählen die Hauptrolle in der in der Musikszene spielenden Melo-Soap "Summer Kisses, Winter Tears" (25 Folgen, '85), zu der sie auch die zu Hits gewordenen Titelsongs 'Finding Love Over And Over', 'The Stage Costume Behind The Shadow Of Tears' und 'The Salon Damsel' beisteuert, oder auch die Hauptrolle in einem Segment des mit Popstars vollgestopften TVB-Episodenfilms "The Modern Love Story, Part 2" ('92).

Wegen dieser geringen Zahl an Fernsehengagements und auch, weil Mui nicht in das Altersraster der jüngeren Nachwuchsstars paßt, gilt sie als keiner der großen sogenannten Ge Ying Shi- (Popmusik-, Fernsehen-, Film-)Stars, die in möglichst vielen Bereichen der Unterhaltungsindustrie gleichzeitig tätig zu sein versuchen, um durch multimediales Cross-Platforming ihre Vermarktungsbandbreite zu steigern und durch die sich wiederum daraus ergebenden Synergieeffekte an der Optimierung von Karriere und Einkommen arbeiten. (Das entsprechende Erfolgskonzept hat seinen Ursprung zwar im US-amerikanischen Show-Biz, wo es Ende der 50er Jahre die "Rat Pack"-Boys [Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis jr. u.a.] für sich entwickelt haben. Für den asiatischen Raum wird es aber erst in den 90ern von der japanischen Unterhaltungsindustrie perfektioniert.) Eines der wichtigsten Ziele der Ge Ying Shi-Stars sind lukrative Werbeverträge, am besten mit multinational operierenden Konsumartikelherstellern. Selbstverständlich ist auch Mui ein top Werbeträger. Noch Ende November '03 nimmt sie z.B. einen Fernsehwerbespot in Japan auf. (Es ist ihr letztes Engagement, gleich nach der Rückkehr nach HK verschlechtert sich ihr Gesundheitszustand dramatisch.)

Zu den Schattenseiten der Ge Ying Shi-Strategie gehört neben dem kräftezehrenden täglichen 24Stunden-Terminplan die permanente scharfer Beobachtung durch die Öffentlichkeit. (Schon die sich ausschließlich Mui widmenden Celebrity-Fan-Sites im Internet sind Legion.) Immer die Meute im Rücken, schrumpft die Privatsphäre auf ein Minimum. Und HKs Doggie Teams (so der Hongkie Ausdruck für die Reporter und Paparazzi der Klatschblätter) gehören zu den abgebrühtesten ihres Standes. Diese Hyänen der Regenbogenpresse sind bekannt für ihr besonders kreatives "Informationsmanagement". Sie bauschen selbst bedeutungslose Begebenheiten zu einschneidenden Ereignissen auf: ein Niesen wird zur tödlichen Lungenentzündung, ein Einkaufsbummel zum Medienevent usw. Jede noch so banale Lappalie wird an die große Glocke gehängt und mit ohrenbetäubendem Geläut in die Welt getragen. Was solche Phantasmen unter den naiven, auf ihren täglichen Schwachsinns-Gossip geeichten Fans anrichten können, reicht von surrealistischen Privat-Psychosen bis zu mittelschwerer Massenhysterien. '95 versucht Anita Mui dem Treiben Einhalt zu gebieten, indem sie HKs Promi-Elite zu einen dreitägigen Presseboykott ermuntert. Selbstverständlich bringt dieser löbliche Appell zu einer sachlicheren Berichterstattung, dem sich immerhin rund 100 Showstars anschließen, keine Wendung zum Positiven.

Einen Vorgeschmack darauf, was an grellen Schlaglichtern aus HKs Entertainment-Zirkel die nur zu aufnahmewillige Öffentlichkeit in den Wochen und Monaten nach Muis Tod erwartet, gibt am 9. Januar '04 die "Taipei Times": "As if Anita Mui's death wasn't tragic enough, her mother, her manager and her entourage of celebrity friends have turned the aftermath into an unsightly carnival of recriminations and mutual finger-pointing worthy of a Hong Kong B-movie. [...] Disputes currently rage between all sides over whether she should be cremated [despite the fact that Anita stated in her will that this was her wish] or buried and over how her sizable fortune should be divided [...] ." Diesem Tenor entsprechen auch andere regionale und überregionale Medien. Lustig entspinnt sich eine veritable "Comédie humaine" aus vorgeblichen oder fehlgeleiteten guten Absichten, Dummheit, Dreistigkeit, Geltungsbedürfnis, Gier ...

Obgleich die Rechte an Anita Muis künstlerischen Veröffentlichungen gut abgesichert sind, setzt (wie bei anderen verstorbenen Stars und Sternchen auch) innerhalb kürzester Zeit die massive Vermarktung ihrer Hinterlassenschaften ein. So erscheinen in HK schon in den ersten Januartagen '04 nichtlizensierte Musik-CDs mit ihren Songs. Nur eine Woche nach Mui Tod liegt schon die Doppel-CD 'Anita Classic Moment Live' ('04) in den Läden. Und das, zusammen mit veschiedenen ebenfalls in den ersten Tagen des neuen Jahres erscheinenden, Mui gewidmeten Druckpublikationen, ist natürlich erst der Anfang. Die große Sammlerkollektionen- und Wiederveröffentlichungsflut wird nicht lange auf sich warten lassen.

Gossip, Pt. 2: Mui war längere Zeit, allerdings inoffiziell, mit Jackie Chan liiert, noch immer gehört sie zu seinem engsten Freundeskreis. Der verheiratete Chan löste das Verhältnis auf. Zu Beginn des ersten 2000er Jahrzehnts in der HKer Boulevardpresse lancierte Gerüchte sprechen von einer angeblichen Ehe Muis, aus der zwei Kinder hervorgegangen sein sollen. Ganz abgesehen davon, daß dies nur schwer zu ihrem Lebenswandel und auch kaum zu ihrer Einstellung gegenüber legalisierter Zweisamkeit paßt (in einem Zeitungsinterview spricht sie einmal davon, sie hätte wegen ihrer Angst vor gescheiterten Beziehungen eine regelrechte Ehe-Phobie), ist dies allein vom Timing her nur schwer mit ihrem '97 aufgelösten Verhältnis mit dem Martial-Arts-Star Wing Zhao Wenzhuo in Einklang zu bringen.

Muis Filme (soweit nicht schon erwähnt):

CRAZY '83 ('83)
MAD, MAD 83 a.k.a. MAD, MAD 1997 ('83)
A WEEK OF PASSION ('83)
BAD GIRLS ('83)
LET'S MAKE LAUGH ('83)
FATE ('84)
BEHIND THE YELLOW LINE (HK Award als beste Nebendarstellerin; '84)
GOLDEN DESTROYERS ('85)
FASCINATING AFFAIRS ('85)
EVIL GHOST ('85)
LUCKY DIAMOND ('85)
YOUNG COPS ('85)
TWINKLE, TWINKLE LUCKY STARS ('85)
MUSICAL SINGER ('85)
INSPECTOR CHOCOLATE ('86)
100 WAYS TO MURDER YOUR WIFE ('86)
WHY, WHY, TELL ME WHY ('86)
HAPPY DIN DON (Cameo; '86)
LAST SONG IN PARIS ('86)
SCARED STIFF ('87)
TROUBLE COUPLES ('87)
HAPPY BIGAMIST ('87)
THE GREATEST LOVER ('88)
THREE WISHES ('88)
ONE HUSBAND TOO MANY ('88)
MR. CANTON AND LADY ROSE a.k.a. MIRACLES ('89)
A BETTER TOMORROW 3 - LOVE & DEATH IN SAIGON ('89)
THEY CAME TO ROB HONG KONG (Cameo; '89)
KAWASHIMA YOSHIKO - THE LAST PRINCESS OF MANCHURIA ('90)
SHANGHAI, SHANGHAI a.k.a. SHANGHAI ENCOUNTER ('90)
THE FORTUNE CODE ('90)
STAGE DOOR JOHNNY ('90)
SAVIOR OF THE SOUL ('91)
AU REVOIR, MON AMOUR (HK Award- und Tokyo International Film Festival-Nominierungen als beste Darstellerin; '91)
THE TOP BET ('91)
THE BANQUET (Cameo; '91)
JUSTICE, MY FOOT! (HK Award-Nominierung als beste Darstellerin; '92)
THE MOON WARRIORS ('92)
THE HEROIC TRIO ('93)
THE MAD MONK (Cameo; '93)
THE MAGIC CRANE ('93)
EXECUTIONERS ('93)
DRUNKEN MASTER 2 ('94)
MY FATHER IS HERO ('95)
RUMBLE IN THE BRONX ('95)
WHO'S THE WOMAN, WHO'S THE MAN a.k.a. HE'S A WONAN, SHE'S A MAN 2 ('96)
TWINKLE, TWINKLE LUCKY STAR (Cameo; '96)

Eine Auswahl von Muis Longplayer-Veröffentlichungen (Singles, immer wieder zu HK-Filmen beigesteuerte, phantastisch gute Titelsongs und Best-of-Compilations bleiben unberücksichtigt):

FIRST LOVE ('82)
RED ANITA ('83)
DAUGHTER OF SONG ('85)
MUI YIM FUNG ('85)
EVIL LADY a.k.a. BEWITCHED GIRL ('86)
BURNING LIPS a.k.a. BURNING FIRE AND RED LIPS ('87)
TREASURE THE TIME WE MEET AGIAN ('87)
ANITA ('87)
LIVE IN CONCERT '87 - '88 ('88)
CHANGE ('88)
INEBRIATE TOTALLY IN DREAM a.k.a. DRUNK TOGETHER IN DREAMS ('88)
IN BRASIL ('89)
LADIES ('89)
COVER GIRL ('90)
LIVE IN SUMMER CONCERT '90 ('91)
DESIRABLE WILD BEAST STREET a.k.a. WILD IN THE HEART ('91)
INTIMATE LOVERS ('91)
3 ('93),
LOVE A WHOLE LIFE a.k.a. LOVE PATH OF MY LIFE ('93)
CAUTION ('94)
JUST LIKE THAT ('94)
THE SINGER ('95)
LIVE IN CONCERT '95 ('95)
VIVA ANITA ('97)
LIVE IN TAIPEI ('97)
FLOWER OF A WOMAN a.k.a. WOMAN FLOWER ('97)
CHANGING MELODY ('98)
MOONLIGHT BEFORE BED ('98)
LARGER THAN LIFE ('99)
NOTHING TO SAY ('99)
I'M SO HAPPY ('00)
LAKE REFLECTS FLOWERS AND MOON ('01)
WITH ('02)
THIS IS ANITA MUI ('03).