Fast alles gab es bei Nippon Connection zu sehen, was das
jüngere japanische Kino zu bieten hat, nur eines nicht (mit der Ausnahme
vielleicht von Metropolis
und The Princess
Blade): Mainstream-Filme. Das Angebot reichte vom gut gemeinten,
aber allzu bieder inszenierten Hush!, der die Geschichte um
ein Schwulenpaar mit dem Wunsch einer Frau nach einer Samenspende etwas
unglücklich kreuzte bis zu zwei neueren Filmen des viel gehassten und
viel verehrten Takashi Miike
(Audition), dem man eines
(neben mangelnder Produktivität) jedenfalls auf gar keinen Fall vorwerfen
kann, dass er nämlich Rücksichten auf irgend etwas anderes als
seine eigene Lust und Laune nähme. In
City of Lost Souls
versetzt er ein brasilianisch-chinesisches Paar mitten hinein
in einen Drogenkrieg zwischen Yakuza und Triaden, ohne dass der Film je den
am Anfang nur scheinbar ironisch herbeizitierten Charakter eines Westerns
verlöre. Ich the
Killer, der zweite Film von Miike, ist ein einziges Blutbad,
eine Splatter-Orgie, die einem erst komisch, bald aber in ihrem finsteren
Menschenbild beinahe abgründig vorkommen will.
Gezeigt wurden Shunji Iwais von seinen Fans mit ein wenig
Enttäuschung aufgenommener neuester Film,
All About Lily Chou
Chou und Shiori Kazamas wunderbare Liebesgeschichte
The Mars Canon (beide haben
wir bereits bei der Berlinale besprochen),
aber auch Kinji Fukasakus in seiner Heimat heftig umstrittenes Meisterwerk
Battle Royale -
mit einem überragenden Takeshi Kitano in der Hauptrolle. Der
ganz unerwartete Erfolg dieses außerordentlich frisch wirkenden Alterswerks
hat übrigens dazu geführt, dass der Altmeister des Yakuza-Films
mit jahrzehntelanger Verspätung auch in Deutschland Anerkennung findet,
mit einer Retrospektive, die in Wien diesen Monat lief und in Frankfurt
(Main) und München noch laufen wird.
Zum Gewinner des erstmals ausgeschriebenen
Newcomer-Awards bestimmte das Publikum Toshiyaki Toyodas
Zweiten Spielfilm (nach Pornostar)
Blue
Spring, eine High-School-Tragödie mit ganz eigenem
Ton.
Sehr interessant programmiert war die Video-Sektion des Festivals:
Rücken an Rücken waren hier Embracing, der
autobiografisch-dokumentarische Erstling (von 1992) der mit ihren Spielfilmen
Suzaku und Hotaru inzwischen auch im Westen zu Ruhm gelangten
Regisseurin Naomi Kawase, und der im letzten Jahr entstandene In
the Silence of the World zu sehen. Beide beschäftigen sich mit Kawases
Vater, den sie nie kennengelernt hatte: der erste Film ist eine sehr poetische
Spurensuche auf 16 mm, in immer wieder abschweifenden, sich erst nach und
nach zum autobiografischen Porträt fügenden Bildern. In the
Silence of the World dagegen entstand, nachdem Kawase vom Tod des
Vaters erfahren hat. Er beginnt mit einer Rückschau auf
Embracing, auf die Jahre, die seit der einstigen (erfolgreichen) Suche
nach dem Vater und die Monate, die seit seinem Tod vergangen sind, ist
anrührend in Interviews mit Kawases leiblicher Mutter und ihrer
Großtante, die sie an Mutter statt aufgezogen hat, Interviews, denen
die dazu geschnittenen Bilder immer wieder davon schweifen. Im letzten Drittel
aber konzentriert sich der Film auf einen Besuch Kawases bei einem
Tattoo-Künstler: sie will das Tattoo des toten Vaters auf dem eigenen
Leib tragen. Hier werden die Minuten lang und man wird das Gefühl nicht
los, Zeuge eines etwas irritierenden Exhibitionismus zu sein.
Unter dem Titel Love Cinema lief eine Reihe von gleich fünf
Filmen, die die Produzentin Reiko Arakawa in Auftrag gegeben hatte (der sechste,
der nicht gezeigt wurde, ist der bei uns bereits im Kino gelaufene Visitor
Q von Takashi Miike): gemeinsam ist ihnen das winzige Budget, die
digitale Kamera und das Thema der "reinen Liebe". Von den zwei Filmen,
die ich gesehen habe, war die Komödie Amen, Somen and Rugger Men!
(von Mitsuhiro Mihara) um eine Rugby-Lehrerin an einer Highschool nur
infantil und Stake Out (von Tetsuo Shinohara) ein kleines
Kammer-Krimi-Meisterwerk. Er erzählt auf dem engsten Raum eines
kleinen Appartments von einem Polizisten, der die Wohnung der jungen Frau
Sumire als Beobachtungsposten nutzen zu wollen vorgibt, ihr aber bald mit
merkwürdigen Andeutungen droht und nach und nach ihr blutiges Geheimnis
(auch für den Zuschauer) aufdeckt. Mit außerordentlich
beschränkten Mitteln erzielt der Film maximalen Effekt: ein geglücktes
Experiment.
Nicht nur zwischen der Hauptreihe Nippon Cinema und der Video-Sektion
musste man sich bei der reichhaltigen Auswahl, die das Festival bot, immer
wieder entscheiden, auch das Beiprogramm offerierte Verlockendes.
In gewisser Weise glücklich war die nicht so gute Idee der Veranstalter,
Battle Royale im Saal direkt über dem gleichzeitig stattfindenden
Melt-Banana-Konzert zu zeigen: so hatte man, ob man wollte oder nicht,
von beiden Veranstaltungen etwas. Dazu gab es - neben Koch-
und Origami-Kursen, Partys und Hörspielen - Vorträge,
von Jean-Christophe Amman über den Fotografen Araki, auch vom
Filmkritiker Tokitoshi Shiota. Letzterer war allerdings ein Totalausfall.
Ohne weitere Erläuterungen schob er DVDs ins Gerät, erzählte
mit atemberaubender Redundanz von der Herkunft neuerer japanischer Regisseure
aus dem Pinku- (also Softporno-) und Original-Video-Bereich, erging sich
aber im wesentlichen in der Aufzählung von Titeln und Regisseuren, ohne
zu irgend etwas auch nur einen halben erklärenden (geschweige denn
analytischen) Gedanken formulieren zu können.
Dennoch: das Programm des Festivals war mit dem Mut zum Risiko
zusammengestellt, das Drumherum machte Spaß. Man kann nur hoffen, dass
sich die Macher von Nippon Connection - das nach 2000 zum zweiten Mal stattfand
- ihren Enthusiasmus bewahren und das Festival vielleicht sogar auf einen
jährlichen Rhythmus umstellen können. Eine bessere Gelegenheit,
sich mit dem neuen japanischen Kino bekannt zu machen oder die Bekanntschaft
zu vertiefen, gibt es in unseren Breitengraden nicht.
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