Zehn Monate hat Arnaud des Pallières am Schnitt von "Adieu"
gearbeitet, Bild und Ton gleichzeitig, das eine und das andere von einander
nicht trennbar; hat er nicht am Bild gearbeitet, nicht am Ton, sondern am
Bildton. Einzig von diesem Faktum her ist sein Film zu denken. Schon der
Beginn, der die Choreografie einer Automontage entwirft, ohne das, was man
Originalton nennt, also den Ton, den der Tonmann da (sucht und) findet, wo
der Kameramann die Bilder (sucht und) findet, also in der vom Regisseur
inszenierten Wirklichkeit. Diese Choreografie ist zunächst auf Einzelteile
fixiert, schneidet sie als Montage von fließenden Cuts aneinander,
bis ein Auto entstanden ist, durch keiner Hände Arbeit (der Cutter macht
seiner Hände Arbeit unsichtbar wie die Bilder die Hände der Arbeiter
unsichtbar machen), Maschinen, die eine Maschine zusammenbauen, Schnitt für
Schnitt. Dazwischen gestückelt der Vorspann, der Namen nennt, Michael
Lonsdale, den Namen, der ein Versprechen aus Kinogeschichte ist, ein
Schauspieler, der nur wenige Auftritte haben wird, in diesem Film, seinen
ersten sitzend, nur von hinten zu sehen, massig, er wird angekleidet. Am
Ende wird er, die Figur, der Vater, der nie spricht, der massige Körper,
der sich zurückzieht aus der Welt, beim Sterben zu sehen sein, die Kamera
fährt von links nach rechts, unterbrochen durch eine massive Unschärfe
im Vordergrund, eine Stimme spricht, wessen Stimme es ist, ist nicht ganz
klar, wohl die Stimme eines Toten und der Vater, gespielt von Michael Lonsdale,
stirbt, erlischt: Adieu.
Der Vorhang, rot, durchsichtig, ein Bett dahinter, eine Stimme spricht, sie
adressiert eine Frau, meine Prinzessin. An einem Fenster ein Mann, der schreibt.
Zu hören ist seine Stimme, er blickt über die Stadt, es ist eine
Stadt in Algerien, die Kamera schwenkt von seinem Gesicht hinaus in die
Unschärfe, die scharf wird, Minarette, die Häuser, der Himmel.
Die Stadt, die der Mann verlassen wird. Er wird fliehen, nach Frankreich,
er erzählt, mit der Stimme, die eine Frau adressiert, meine Prinzessin,
die biblische Geschichte von Jonas, den Gott als Boten nach Niniveh schickte,
als letzte Chance vor der Zerstörung. Jonas aber floh, auf, davon, auf
dem Schiff, davon erzählt die Stimme des Mannes. Wäre "Adieu" ein
Film mit einem Plot, einer Geschichte, die man erzählen kann, wäre
dies der eine Strang. Der Mann, der flieht, nach Frankreich. Man kann das
aber nur so zusammenfassen, wenn einem Hören und Sehen längst vergangen
ist.
Die Musik, die in fast jedes Bild eingelassen ist, ist mehr als Tonspur.
Mit dem gleichen Recht wäre von einer Bildspur zu sprechen, die in die
Musik eingelassen ist. Das eine verhält sich zum anderen nicht
kommentierend, nicht illustrierend, nicht untermalend. Die Bilder werden
andere unter der meist ins Sakrale gehenden Musik, die Musik wird eine andere
unter den zögerlich ins Narrative sich fügenden Bildern. Ein Vater,
seine Söhne, im Fernseher ein Kinderchor. Der weiße LKW, im Vorspann
unter Schnitten montiert, auf der Straße, ohne Originalton, dahingleitend,
schwebend, über Musik, Musik in Bewegung. Am Ende wird er, ohne dass
das nahtlos, illustrierend ineinander aufginge, der Wal sein, in den Jonas
gerät, von Gott verlassen, weil er vor Gott geflohen ist, ein allegorischer
LKW, aber die Allegorie bewahrt sich den Spielraum, der nicht zwischen Bild
und Ton liegt, sondern im Ineinander, das alle semiotischen Eindeutigkeiten
auf Abstand hält.
Zur Musik das Gesicht eines Mannes unter Wasser, der vom Besuch bei der Nachbarin
erzählt, der er Melonen bringt, die er beim Sex stört. Er ist einer
der Söhne des Vaters, der am Ende stirbt, der Bruder des jungen Mannes,
der ums Leben gekommen ist. "Adieu", Abschiede über Abschiede. Der Priester,
der nicht mehr an Gott glaubt, man sieht und hört ihn seine Predigt
proben, man sieht ihn Gottesbeweise vortragen, einen nach dem anderen, bis
er nicht mehr weiter weiß, nach Aspirin verlangt. Die heftigste
Erschütterung, eine Erschütterung wie in den Filmen von Philippe
Grandrieux, ein Bildbeben während des Abschiedsgottesdienstes: Ein Zittern,
eine Überblendung, der Schrecken des Tons darin, zu sehen ist ein Kreuz,
der Himmel, die Kirche. Die Bilder zeigen nichts, das irgend jemand sieht.
Sie zeigen nichts Wirkliches, sie zielen auf die Erschütterung, die
sie sind, als Verrückung von Bildton, Tonbild ins auf die Gegenwart
einer Wirklichkeit nicht mehr Hinrechenbare.
Vor der Größe solcher Ansprüche ans Kino, das macht die
Größe des Films aus, schreckt Arnaud des Pallières nie
zurück. Man wird die Ästhetik, zu der sich seine Bild-Ton-Allegorien
zusammenschließen, als eine Ästhetik des Sakralen bezeichnen
können, sakral noch in der Gottverlassenheit der Welt, die darin entworfen
wird. "Adieu" ist ein Film, der mit aller Entschlossenheit das Kino
verrückt, an einen Ort, den es noch nicht gab. Er denkt die Welt anders
als sie bisher gedacht worden ist, er erschließt dem Zeit- und
Bewegungsbild einen neuen Raum. Mit aller Peinlichkeit und allem Pathos,
die in dieser Hybris liegen.
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