Die ersten Bilder sind ein Statement: Musik ist Sex, Sex ist Musik
sagen sie, Bühne und Bett werden ruck-zuck ineinander geschnitten.
Allerdings zeigt sich sogleich: Sex ist nicht gut genug, dran glauben muss
der Mann, Frank Caseley sein Name, der Roxie Hart (Renée Zellweger)
Verbindungen zum Showbusiness versprochen hatte, um sie ins Bett zu bekommen.
Roxie nämlich träumt vom Erfolg als Revue-Star und als diese
Träume plausibilisiert der Film, ein wenig überflüssigerweise,
seine Musikeinlagen. Der Schwindel jedoch fliegt auf, Verbindungen gibt es
keine, Roxie greift zur Pistole und erschießt Caseley - beinahe kann
sie ihren Mann, den reichlich tumben Amos (John C. Reilly), noch überreden,
einen Meineid zu schwören, um ihr Leben zu retten. Und schon das erste
Gespräch, die Aufnahme der Beweise an der Stätte des Verbrechens,
ist inszeniert als Fortsetzung von Roxies Traum, eröffnet den doppelten
Schauplatz, auf dem sich «Chicago» bis zum Ende aufhalten wird.
Es durchdringen sich die rauhe (naja, nie allzu rauhe) Wirklichkeit, der
Streit mit Amos - gleich geht es dann ab in den Knast - und die Traumwelt
der Musicalbühne, auf der das Leben nichts ist als eine rasante, bunte
Show. Hier rückt Marshall beides ins selbe Bild, links die Bühne,
rechts die Wirklichkeit, ähnlich geht es immer weiter.
Sei es im Schnitt, in scheinbar kontinuierlichen Kamerabewegungen,
die von einer Ebene auf die andere schwenken: hauchdünn und
durchlässig ist in diesem Film die Grenze zwischen der einen Welt und
der andern, da gibt der tropfende Wasserhahn in der Gefängniszelle den
Rhythmus vor und von selbst öffnet sich das Gitter der Zelle für
die Shownummer von den sechs Mörderinnen. Die Konsequenz, die dieses
Ineinander hat, ist nicht, wie vielleicht zu erwarten, dass etwa das eine
das andere kommentiert, so dick auch der Geschichte eine Moral auf die Stirn
geschrieben steht. Die läuft darauf hinaus, dass Recht und Gesetz und
Mord und Totschlag in Chicago einfach Teil des Showbusiness sind, ein
großer Spaß, das eine führt zum andern. Ihre Verkörperung
findet diese Moral im Anwalt Billy Flinn, den Richard Gere mit aller ihm
zur Verfügung stehenden Großkotzigkeit gibt. Und verdankt ist
sie, die Moral, gewiss der Herkunft des Musicals aus den zwanziger Jahren,
in denen es ein Theaterstück war, bevor es erst in Filme mutierte (einer
davon, ohne Musik und Tanz übrigens, mit Ginger Rogers), dann auf dem
Broadway Triumphe feierte unter der Regie des legendären Bob Fosse.
All das aber scheint Rob Marshalls Film so herzlich egal wie die
Geschichte, die er erzählt, einen Tod durch den Strang inklusive. Auch
der wird schwupp-di-wupp auf die Bühne gebracht als unter Trommelwirbel
vorgeführte Kunst des Verschwindens. Nein, Marshall hat nichts im Sinn
als Musik und Tanz, inszeniert mit staunenswerter Eleganz seine Nummern und
verschneidet sie mit dem einen oder anderen Versatzstück aus dem
Frauen-Gefängnisfilm zu harmlos-bunter Unterhaltung. Verlass ist dabei
auf die Stars, wobei die blonde Renée Zellweger ohne große
Mühe Catherine Zeta-Jones als Velma Kelly überstrahlt,
Showbiz-Konkurrenz unter Killerinnen, mit Startvorteilen für Kelly als
einstigem Bühnenstar. Der aber gebricht's am wahrhaft atemberaubenden
Intrigentalent Roxies, sie zieht den kürzeren, nicht nur in der Gunst
des Anwalts Billy Flinn. Beiden zur Seite steht als mütterliche
Gefängnisaufseherin Queen Latifah, auch sie macht ihre Sache nicht schlecht.
In seinen selbst gesteckten Grenzen lässt «Chicago» in der
Tat nicht viel zu wünschen übrig; die Musik ist schmissig, die
Choreografien sind umwerfend - und dass der Film drei Golden Globes erhielt,
spricht auch für sich.
Ein Jenseits dieser selbst gesteckten Grenzen schierer Unterhaltung
aber gibt es nicht. Die Virtuosität ist sich genug und immer wieder,
da das Tempo hoch genug ist, die Einfälle in schneller Folge
überraschen, verlangt man gar nicht mehr. Kaum wagt man zu fragen, ob
nicht vielleicht nur bonbonbunte Besinnungslosigkeit hinter dem
Razzle-Dazzle steckt, das die Sinne verwirren will, mehr nicht.
Oder ob nicht gar das ganze im Grunde ein zynisches Spiel mit einer Moral
ist, die der Film zum Schein sich auf die Fahnen schreibt. Womöglich
aber ist das alles gar nicht wichtig und "Chicago" einfach als das leckere,
aber nicht sehr gehaltvolle Hors'd'oeuvre zu nehmen, als das Kosslick es
wohl auch gemeint hat.
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