Rob Marshall: Chicago (USA 2002)

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Rob Marshall: Chicago (USA 2002)
Kritik von Ekkehard Knörer

Interview mit John C. Reilly

Berlinale-Kritik

Die ersten Bilder sind ein Statement: Musik ist Sex, Sex ist Musik sagen sie, Bühne und Bett werden ruck-zuck ineinander geschnitten. Allerdings zeigt sich sogleich: Sex ist nicht gut genug, dran glauben muss der Mann, Frank Caseley sein Name, der Roxie Hart (Renée Zellweger) Verbindungen zum Showbusiness versprochen hatte, um sie ins Bett zu bekommen. Roxie nämlich träumt vom Erfolg als Revue-Star – und als diese Träume plausibilisiert der Film, ein wenig überflüssigerweise, seine Musikeinlagen. Der Schwindel jedoch fliegt auf, Verbindungen gibt es keine, Roxie greift zur Pistole und erschießt Caseley - beinahe kann sie ihren Mann, den reichlich tumben Amos (John C. Reilly), noch überreden, einen Meineid zu schwören, um ihr Leben zu retten. Und schon das erste Gespräch, die Aufnahme der Beweise an der Stätte des Verbrechens, ist inszeniert als Fortsetzung von Roxies Traum, eröffnet den doppelten Schauplatz, auf dem sich «Chicago» bis zum Ende aufhalten wird. Es durchdringen sich die rauhe (naja, nie allzu rauhe) Wirklichkeit, der Streit mit Amos - gleich geht es dann ab in den Knast - und die Traumwelt der Musicalbühne, auf der das Leben nichts ist als eine rasante, bunte Show. Hier rückt Marshall beides ins selbe Bild, links die Bühne, rechts die Wirklichkeit, ähnlich geht es immer weiter.

Sei es im Schnitt, in scheinbar kontinuierlichen Kamerabewegungen, die von einer Ebene auf die andere schwenken: hauchdünn und durchlässig ist in diesem Film die Grenze zwischen der einen Welt und der andern, da gibt der tropfende Wasserhahn in der Gefängniszelle den Rhythmus vor und von selbst öffnet sich das Gitter der Zelle für die Shownummer von den sechs Mörderinnen. Die Konsequenz, die dieses Ineinander hat, ist nicht, wie vielleicht zu erwarten, dass etwa das eine das andere kommentiert, so dick auch der Geschichte eine Moral auf die Stirn geschrieben steht. Die läuft darauf hinaus, dass Recht und Gesetz und Mord und Totschlag in Chicago einfach Teil des Showbusiness sind, ein großer Spaß, das eine führt zum andern. Ihre Verkörperung findet diese Moral im Anwalt Billy Flinn, den Richard Gere mit aller ihm zur Verfügung stehenden Großkotzigkeit gibt. Und verdankt ist sie, die Moral, gewiss der Herkunft des Musicals aus den zwanziger Jahren, in denen es ein Theaterstück war, bevor es erst in Filme mutierte (einer davon, ohne Musik und Tanz übrigens, mit Ginger Rogers), dann auf dem Broadway Triumphe feierte unter der Regie des legendären Bob Fosse.

All das aber scheint Rob Marshalls Film so herzlich egal wie die Geschichte, die er erzählt, einen Tod durch den Strang inklusive. Auch der wird schwupp-di-wupp auf die Bühne gebracht als unter Trommelwirbel vorgeführte Kunst des Verschwindens. Nein, Marshall hat nichts im Sinn als Musik und Tanz, inszeniert mit staunenswerter Eleganz seine Nummern und verschneidet sie mit dem einen oder anderen Versatzstück aus dem Frauen-Gefängnisfilm zu harmlos-bunter Unterhaltung. Verlass ist dabei auf die Stars, wobei die blonde Renée Zellweger ohne große Mühe Catherine Zeta-Jones als Velma Kelly überstrahlt, Showbiz-Konkurrenz unter Killerinnen, mit Startvorteilen für Kelly als einstigem Bühnenstar. Der aber gebricht's am wahrhaft atemberaubenden Intrigentalent Roxies, sie zieht den kürzeren, nicht nur in der Gunst des Anwalts Billy Flinn. Beiden zur Seite steht als mütterliche Gefängnisaufseherin Queen Latifah, auch sie macht ihre Sache nicht schlecht. In seinen selbst gesteckten Grenzen lässt «Chicago» in der Tat nicht viel zu wünschen übrig; die Musik ist schmissig, die Choreografien sind umwerfend - und dass der Film drei Golden Globes erhielt, spricht auch für sich.

Ein Jenseits dieser selbst gesteckten Grenzen schierer Unterhaltung aber gibt es nicht. Die Virtuosität ist sich genug und immer wieder, da das Tempo hoch genug ist, die Einfälle in schneller Folge überraschen, verlangt man gar nicht mehr. Kaum wagt man zu fragen, ob nicht vielleicht nur bonbonbunte Besinnungslosigkeit hinter dem „Razzle-Dazzle“ steckt, das die Sinne verwirren will, mehr nicht. Oder ob nicht gar das ganze im Grunde ein zynisches Spiel mit einer Moral ist, die der Film zum Schein sich auf die Fahnen schreibt. Womöglich aber ist das alles gar nicht wichtig und "Chicago" einfach als das leckere, aber nicht sehr gehaltvolle Hors'd'oeuvre zu nehmen, als das Kosslick es wohl auch gemeint hat.

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