Das amerikanische Publikum sortiert das zeitgenössische
asiatische Kino vermutlich in die Sorte Nonstop-Action-Film (John Woos
Hard-Boiled) einerseits, strenge formalistische Arbeiten andererseits
(Hsiao-Hsiens Flowers of Shanghai) - dabei ist, wie Ang Lees Tiger
& Dragon gezeigt hat, gerade die Grenzverwischung zwischen Multiplex
und Programmkino das erfrischendste am asiatischen Film. In den 90ern haben
Takeshi Kitano und Wong-Kar Wei eine Kultanhängerschaft gefunden, indem
sie die vorgegebenen Genre-Muster mit ihren eigenen Obsessionen ausfüllten.
Der japanische Regisseur Kiyoshi Kurosawa hat reine Horrorfilme gedreht
(Sweet Home) und auch Übungen in Jim-Jarmusch-Kargheit (License
to Live), aber sein bester Film verbindet das eine mit dem anderen
(Cure, soll noch dieses Jahr in den USA anlaufen). Der taiwanesische
Regisseur Tsai Ming-liang kreuzt in The Hole eine Sci-Fi-Prämisse
und Musiknummern mit seinem üblichen Antonioni-artigen Ennui, währen
der Hong-Kong-Regisseur Ringo Lam in Victim eine Gespenstergeschichte
in eine Studie ökonomischer Ängste verwandelt, vergleichbar den
Arbeiten von Tsai oder dem frühen Edward Yang.
Nowhere to Hide aus Südkorea verfolgt diese
Strategie entschiedener als irgendein Film, den ich in letzter Zeit gesehen
habe und bietet geradezu eine Landkarte der Übergangspunkte zwischen
Action-Kino und Avantarde. Der Autor und Regisseur Lee Myung-Se bezieht sich
auf naheliegende Quellen wie Dirty Harry und John Woo, während
seine postmodernen Bilder das Vokabular des Stumm-, des Zeichentrick- des
Avantgardefilms und des Musikclips verarbeiten (der größte Teil
der Action ist mit pochender Techno- und Heavy-Metal-Musik unterlegt). Sein
Tempogefühl ist großartig, die zahlreichen Kämpfe und
Verfolgungsjagden sind mitreißend und die Kamera von Jeong Kwang-Soek
und Song Haeng-Ki erschafft durchgehend schöne Bilder, ein
verschwenderisches Gedicht über die Textur von Licht, Regen und Schnee.
Leider bezieht der Film einen großen Teil seiner Kraft aus dem kindischen
Spaß, den es uns bereitet, unsere Feinde halb tot zu schlagen. Wäre
Nowhere to Hide ein schlechter Film, dann müsste man sich weit
weniger über ihn ärgern.
Der Plot könnte aus einer Louis-Feuillade-Serie stammen: Chang
Sungmin (Ahn Sung-Ki), ein Drogenboss und Meister der Verstellung, ermordet
einen Mann auf einer Feuertreppe, eine bravouröse Szene, mit der ein
langes Katz-und-Maus-Spiel zwischen ihm und Polizeidetective Woo (Park
Joong-Hoon) beginnt. Es folgen zahlreiche Verfolgungsjagden, bei denen der
Detective, sein Partner (Jang Dong-Kun) und ihre Kollegen Changs Gehilfen
jagen, verhören und nicht selten zusammenschlagen. Woos Partner, ein
Cop aus dem Bilderbuch, weint, als er einen Mann getötet hat und weigert
sich, neben seinen Kollegen auf die Straße zu pinkeln, mit der Misshandlung
der Verdächtigen durch Woo hat er aber kein Problem. "Ich habe auch
schon Zähne ausgeschlagen", sagt einer von Woos Vorgesetzten, "aber
er ist viel bösartiger als ich."
Die Verteidiger des Films argumentieren, dass er die hässlichen
Charaktere präsentiert, ohne über sie zu urteilen, dass die
amerikanischen Zuschauer, die glauben, er glorifiziere Polizeibrutalität
(die negativsten Kritiken in New York stammen von schwarzen Kritikern), ihre
eigenen Probleme auf eine fremde Kultur projizieren. Was immer das bedeuten
mag: Lee beschreibt sich selbst als Linken und sagt, dass die Polizisten
in Nowhere to Hide denen gleichen, die er bei der Arbeit am Drehbuch getroffen
hat. (Park hat sich seine animalische Körpersprache und die
Gesichtsausdrücke, die einen an einen menschlichen Pitbull erinnern,
sogar von Woos realer Entsprechung abgeschaut). Aber wenn Nowhere to Hide
eine Verurteilung der Polizei von Inchon sein soll, dann findet sich diese
Idee bestenfalls auf der Ebene eines ambivalenten Subtexts. Sogar Dirty
Harry war ehrlicher in der Darstellung des Sadismus' seines Helden.
Ich habe zwei weitere Filme von Lee gesehen - First Love (1993),
über die Liebe einer Studentin zu einem älteren Theaterregisseur
und My Love, My Bride (1990), über die schwierige Ehe eines
Schriftstellers. Auch da erweist er sich schwerlich als konventioneller,
narrativer Filmemacher: in First Love zeigt er eine Dinnerszene in Standbildern
und Silhouetten und zeigt ohne offensichtlichen Grund ein Mädchen beim
Zähneputzen im schnellen Vorlauf. Um die Stimmungen der Heldin
auszudrücken, verwendet er Zeichentrick und Gedicht-Zwischentitel und
erlaubt ihr, sich direkt ans Publikum zu wenden. My Love, My Bride
ist konventioneller, aber seine episodische Struktur ist offensichtlich von
Comicbüchern inspiriert, seine ersten szenen springen vom unbeholfenen
ersten Date der Liebenden zu ihrer Hochzeitsreise. In Nowhere to Hide
wird hektische Action oft durch kurze Ausbrüche von Zeitlupe, totalem
Stillstand oder sogar gezeichnete Darstellungen der Figuren unterbrochen.
Lee scheint jedoch weniger an der Entwicklung der Charaktere interessiert
als an der visuellen Ausbeutung des Genres (sei es nun eine Romanze,
Komödie oder ein Actionfilm). Er behandelt seine Charaktere mit
nachdenklicher Sympathie, was in den früheren Filmen eine gute Sache
sein mag, in der Anwendung auf die hirntoten Brutalos von Nowhere to
Hide jedoch moralisch dubios wird.
Grady Hendrix, Programmchef des Subway Cinema in New York, bietet
eine sehr überzeugende Lektüre des Films: Nowhere to Hide
kritisiert den Action-Film und unseren Hunger nach Action. "Die Cops sind
süchtig danach und ... verdanken ihr einen heftigen Thrill, ihr
übriges Leben scheint dagegen leer. Die Trostlosigkeit von Woos Leben
- er sieht seine Eltern nie, er spricht kaum mit seinen Geschwistern, seine
Wohnung ist ein vollgemülltes Rattennest - findet ihr Gegengewicht nur
im Thrill der Jagd." Von der ersten Szene an jedoch wird Woo nicht als Opfer
seines Berufs, sondern als Ikone präsentiert, als ein faszinierend
ungezähmtes Arschloch. Neuere Hongkong-Filme (Johnnie Tos A Hero
Never Dies, Patrick Yaus The Longest Nite, Lo Chi-Leungs Double
Tap) haben den Action-Film mit mehr Erfolg dekonstruiert.
Lees selbstverliebter und spielerischer Umgang mit dem Genre erinnert
eher an die neuere Welle von Neo-Noir-Kino aus Hollywood. Er hat die Gewalt
in Nowhere to Hide während einer Vorführung in New York
so verteidigt: "Nachdem die Polizisten Meathead auf der Polizeiwache
zusammengeschlagen haben, taucht er mit Fußabdrücken auf seinem
Gesicht auf. Wie kann das irgend jemand Ernst nehmen?" (Es könnte sich
um den ersten Film handeln, der die Lücke zwischen Buster Keaton und
dem Rodney-King-Video schließt.) Lee hat einen ungewöhnlichen
Aciton-Film gedreht, aber sein stilisiertes Blutvergießen fordert uns
mit unserem Vergnügen am Genre nicht heraus, distanziert uns auch nicht
davon. Anders als hier ist die Gewalt in Double Tap oder in The
Longest Nite oft erschreckend, beinahe nicht zu ertragen; in letzterem
Film droht ein korrupter Cop das Auge einer Frau mit dem Bleistift auszustechen,
ohne dass ein Zweifel besteht, was Yau von ihm hält.
Eine Kollege hat gesagt, moralische oder ideologische Fragen
interessierten ihn bei Nowhere to Hide nicht, da die Geschichte nichts
als ein Vorwand für die Stilübung sei. Wäre das der Fall,
hätte Lee die Polizeibrutalität freilich ganz weglassen können,
indem er einen weniger narrativen Zugang gewählt hätte.
Unglücklicherweise tragen die experimentellen Aspekte des Films zur
Wucht und Kraft seiner Gewalt gerade bei. In einem anderen Kontext könnte
eine solche minimalistische Abstraktion eine Stärke sein, aber die
halluzinatorische Euphorie von Lees Szenen wird irgendwann schal. Es mag
Nowhere to Hide nicht an Substanz fehlen, unter der virtuosen
Oberfläche aber ist der Film bis in den Kern verfault.
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Übersetzung: Ekkehard Knörer |