No man is an island, entire of itself.
John Donne
Still liegt der See, Nebel steigt auf. Mit der Idylle, mit dem
vermeintlichen Jenseits der Zivilisation ist freilich Schluss gleich mit
dem Auftauchen der ersten Menschen. Der Horror des Sees ist keiner, der sich
vorzeitlichen Monstern verdankt, er ist ein durch und durch psycho-sozialer;
was The Isle zeigt ist, den Bildern zum Trotz, kein Landschaftsbild,
sondern ein Schlachtfeld des Zwischenmenschlichen. Die Schönheit der
Natur ist erst einmal: Ironie, die Reinheit des Arrangements ist der Hintergrund,
vor dem sich ein gesellschaftlicher Mikrokosmos im Stadium des Zerfalls umso
klarer spiegelt.
Dieses Arrangement ist von atemberaubender Schlichtheit: es gibt nur
den See, darauf ein paar schwimmende Inseln mit kleinen Häuschen, auf
diesen Inseln Angler. Untereinander treten sie nicht in Kontakt, jeder eine
Insel für sich, als Medium der Bewegung wie der Versorgung fungiert
nur Hee-Jin, eine stumme Frau mit einem motorisierten Kahn. Sie schläft
mit den Männern, für Geld, sie gibt ihnen, was sie verlangen, für
Geld, doch sie weigert sich zu sprechen. Sie steht, wie verzweifelt,
außerhalb dieser Gesellschaft, die sie in Gang hält, sie wahrt
diesen Ort des Draußen, ihrer eigenen Hütte am Ufer, von der aus
diese asoziale Gemeinschaft - nichts ist sie weniger als das: eine Gemeinschaft
- organisiert wird. Der Hass steht in ihren Augen.
Etwas ändert sich, als ein junger Mann, Hyun-Shik, diese kleine
Insel-Welt betritt. In einem kurzen Flashback bekommt man Einblick in seine
Vorgeschichte: er hat seine Frau und deren Geliebten ermordet (lässt
sich wenigstens mutmaßen), er kann mit der Schuld nicht leben und setzt
sich den Revolver an die Schläfe. Hee-Jin, die wie ein Geist des Wassers
allgegenwärtig ist, greift ein, attackiert ihn mit einem Angelhaken,
verhindert so seinen Selbstmord. Der Beginn einer Annäherung. Sie sucht
seine Insel auf, ohne Grund. Sie lehnt ihren Kopf an seine Schulter - und
er fällt über sie her. Sie flieht und spricht noch immer kein
Wort.
Sie schickt ihm eine Prostituierte, mit der Hyun-Shik Kaffee trinkt,
aber nicht schläft. Es ist, als wäre ein Tor geöffnet worden:
Agenten der Außenwelt dringen in den Mikrokosmus, der brutale
Zuhälter erst, dann eine Suchdelegation der Polizei. Hyun-Shik unternimmt,
in Panik, einen weiteren Selbstmordversuch, verschluckt Angelhaken und will
sich das Innere aus dem Körper reißen. Hee-Jin zieht ihn mit der
Angel aus dem Wasser, hat ihn am Haken, eine zugleich sehr materiale und
höchst symbolische Art zwischenmenschlicher Bindung, die sich am Ende
spiegeln wird, wenn sich Hee-Jin in einem Versuch, Hyun-Shik
zurückzugewinnen, die Vagina am Angelhaken aus dem Leibe
reißt.
In die Welt, in der alles aufs Minimum der Existenz reduziert ist,
Fressen, Ficken und Scheißen, in der Soziales nur als minimale
Notwendigkeit der Aufrechterhaltung dieses Zustands vorkommt (oder bestenfalls
als darüber hinausschießender Sadismus), in diese Welt dringt
die sich entwickelnde Liebesgeschichte wie ein Restfetzen Utopie. Die jedoch
hoffnungslos durchschossen ist vom Verfall, von der Gewalt, in der sich das
Begehren einzig äußern kann. Und doch hat sich, in der gegenseitigen
Befreiung von den Angelhaken, etwas wie Gegenseitigkeit hergestellt: friedlich
liegen die beiden Körper von Hyun-Shik und Hee-Jin wenigstens im Schlaf
nebeneinander. Sie driften, zuletzt, im frisch gestrichenen Insel-Haus, hinaus
auf den See. Ihre Annäherung, nun als Ausschluss aus dem Sozialen in
der Erschaffung eines paradiesischen locus amoenus, ist nicht ohne Opfer
möglich gewesen: die Prostituierte, die vor allem Freundschaft wollte,
ist tot, ihr Zuhälter auch. Der utopische Horizont ist einer der Flucht.
Für einen Moment sieht es so aus, als ließe der Film sie davonkommen.
Die Hoffnung trügt. The Isle lässt den Betrachter
zurück mit zwei Rätselbildern; Hyun-Suk verschwindet in einer
Schilfinsel im See. Hee-Jin treibt nackt in ihrem Kahn, knapp unter der
Wasseroberfläche. Ein Film aus Bildern, die zu interpretativen Anstrengungen
aufzufordern scheinen. Man sollte, denke ich, diesen Aufforderungen widerstehen.
Die Bilder von The Isle sprechen, in aller Ambivalenz, für
sich.
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