Genres funktionieren durch eine Doppelbewegung zwischen Abstraktion
und Variation. Die Reduktion auf die immerselben, wieder erkennbaren und
vom Publikum prompt und blind auch wieder erkannten Muster einerseits, die
unerwarteten Twists und Volten, oder, funktionsäquivalent, aber weniger
sophisticated, Effektsteigerungen andererseits. Subversionen und Innovationen
sind innerhalb gewisser, im vorhinein nie bestimmbarer Grenzen immer
möglich und als nicht sogleich, aber bald selbst wieder zu Mustern
gerinnende Ansatzpunkte für weitere Arbeit am Genre auch notwendig.
Genres sind so immer auch Kreuzungspunkt von Struktur und Geschichte, Umbauten
finden auf offener See statt.
Der Actionfilm ist vielleicht das abstrakteste aller Genres und so
zugleich das offenste, das nicht auf eine beschränkte Anzahl von
einzuarbeitenden Mythen (siehe Western) begrenzt ist. Wilder Synkretismus
(z.B. in Hong Kong Daniel Lees Black
Mask) ist ebenso möglich wie Reflexivität in Momenten,
in denen ein (wie auch immer vorläufiges) Endstadium erreicht ist, man
denke an McTiernan/Schwarzeneggers Last Action Hero. An ein solches
Ende war nach einer ungeheuren Blütezeit das Actionkino von Hong Kong
in den 90er Jahren gelangt, die Regiestars von Tsui Hark bis John Woo hatten
sich, zum Unglück eigentlich aller Beteiligten, nach Hollywood orientiert.
Das Genre schien ausgebrannt.
Mit Werken wie Running
Out of Time, die sich der totalen Abstraktion nähern, dies aber
in Austellung des Spielcharakters und Raffinesse des Plots ummünzen,
ist Johnnie To der Regisseur von souveränen, aber ums eigene
Spätkommen wissenden Satyrspielen zur heroischen Epoche Hong Kongs geworden.
The Mission geht einen anderen Weg: die Geschichte ist aufs mythische
Minimum reduziert, im Zentrum steht eine Gruppe von für einen großen
Auftrag, die Bewachung eines gefährdeten Triaden-Bosses, zusammen gestellten
Leibwächtern, es geht um nichts anderes als die innere Dynamik dieser
Gruppe und die äußere Dynamik der Shootouts, in denen sie sich
zu bewähren haben. Dynamik ist freilich genau das falsche Wort, denn
das Grundprinzip ist viel eher die Verlangsamung, manchmal die Stillstellung
zur abstrakten Psycho- und Kampf-Choreografie. Das Emblem für diese
Abbremsung zur Statik sind ausgestreckte Arme, für viele Sekunden lange
Einstellungen eingefrorene Schusshaltungen, das Patt gegenseitiger Bedrohung.
The Mission beginnt mit einem vergleichsweise konventionell
inszenierten Shootout, bringt seine Helden bei nächster Gelegenheit
in eine Art Schützengraben-Situation. In die Filmgeschichte eingehen
wird ein weiterer Shootout in einem Kaufhaus, der, gefilmt aus der Distanz
und Unterperspektive, in vergleichsweise extrem langsame Schnitte zerteilt
wird und die Leibwächter-Helden in einem zur völligen
Unübersichtlichkeit dekomponierten Raum postiert. Nur gelegentlich
fällt ein Schuss, die Situation wird aufgelöst in eine aller
üblichen Wirework- und Schnittstakkato-Ästhetik entgegen gesetzten
Choreografie der Stasis und der minimalen Verschiebungen. Die Zeit, das Genre
steht still in diesen Momenten, die pure Abstraktion sind der Kampfsituation,
radikales Absurdum von Action.
Der Film fällt, natürlich, zurück an Plot und Psychologie.
Die Coda, nach erfolgreich ausgeführtem Auftrag, dreht die Konstellation
endgültig auf die Innendynamik der Gruppe. Shin, der die Frau des Chefs
gevögelt hat, soll liquidiert werden. Inszeniert wird der Zusammenstoß
zweier Ehrenkodizes, des einen der Berufs-, des anderen der Gruppenehre (alles
selbstverständlich rein männerbündische Konventionen; die
Frau, eine statuarische Schönheit in Weiß, wird nicht für
eine Sekunde Subjekt und zuletzt umstandslos getötet). Die Auflösung,
die To für den Konflikt findet, ist wunderbar und versammelt noch einmal
alle zentralen Motive des Films: Gruppendynamik, Waffen, Statik und Spiel
mit der räumlichen Desorientierung des Zuschauers. Das Ende führt
den Film, der zwischendurch die eisigsten Gipfel der De-Naturalisierung seines
Genres überquert hat, versöhnlich zurück in die Konvention.
Es ist dies kein Rückfall, sondern einfach eine weitere sehr souveräne
Geste.
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