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Heinosuke Gosho: Liebe (Aibu, Japan 1933)

Von Ekkehard Knörer 

Am äußersten Rand seiner Geschichte beginnt "Aibu". Ganz genau: am unteren Rand. Füße sind zu sehen, von denen schwer zu sagen ist, wozu der Film sich ihrer bedienen wird. Bewegt er sich mit ihrer Hilfe hinein in eine folgende Handlung? Aber die Füße stehen still. Da sitzt einer. Und zwar ist das einer, der eine Rikscha zieht. Zu ihm gehören die Füße, aber sein Gesicht sehen wir nicht. Zunächst. Die Kamera nämlich bewegt sich nach rechts und nach oben. Sie metonymisiert. Sie zeigt im Anschnitt die Rikscha und lässt das Gesicht zur Person einfach weg. Sie nähert sich einem Fenster, dahinter ein Raum. In diesem Raum ein Klassenzimmer, in dem Kinder vermessen werden und vom Arzt untersucht. Der Arzt ist der Mann, dem die Rikscha gehört, die der Mann, dessen Füße wir kennen, zieht. Wir sehen dann sein Gesicht.

Es geht danach an einen anderen Rand. Das Haus des Arztes, das ein Jugendfreund besucht. Der Jugendfreund ist inzwischen ein erfolgreicher Romanautor. Im Haus ist die Tochter und im Haus ist ein Bild. Es ist das Bild des Sohnes Hideo, der in Tokio ist. Der Arzt und der Jugendfreund verfehlen sich erst mal. Vor dem Haus treffen sie sich, mit Verzögerung. Der Rikschazieher transportiert den Jugendfreund ins Hotel, wo er seinen Verleger trifft Im Hotel liegt aber auch ein Mann krank in seinem Zimmer mit heftigsten Leibschmerzen. Der Arzt wird gerufen und verschreibt ihm Wärme. Das wird, später, Folgen haben. Der Autor wird abreisen, in Tokio ins Schicksal von Hideo eingreifen und auch wieder zurückkehren ins Haus des Arztes. Der liegt nun selbst auf dem Krankenlager, der Folgen wegen, die seine Wärmeverschreibung, die ein Kunstfehler war, gehabt haben wird.

Zwischendurch ist der Film mit dem Zug nach Tokio gefahren. Der Zug selbst füllt rechts das Bild. Vorne raucht es, der Rauch füllt, dunkel im Dunkeln, das Bild. Die Einstellung wiederholt sich, im Lauf der Wiederholung wird es Tag: der Rauch und das Bild werden dann heller. Der Zug fährt nach Tokio und später fährt er wieder zurück.

Dazwischen aber hat "Aibu" immer weiter metonymisiert. Auch eine Abschweifung sich erlaubt zu einer Geschichte, von der man zunächst glauben könnte, sie sei nun die eigentliche Geschichte des Films. Es geht darin um einen reichen, aber unsympathischen Mann, der um die Tochter des Arztes freit. Und um den armen, aber sympathischen Lehrer, den sie liebt. Es stellt sich heraus: Das ist nicht die eigentliche Geschichte des Films. Es stellt sich auch heraus: Es gibt gar keine eigentliche Geschichte. Es gibt viele Figuren, von denen die meisten Nebenfiguren sind, aber auch und gerade diesen widmet der Film sich länger, als man erwarten würde. "Aibu" ist, von Anfang bis Ende, ein angenehm dezentrierter Film. Es gibt Handlungen und es gibt Probleme, die Personen haben und bekommen, und all das und noch mehr wird vorgestellt als ein kleiner Kosmos, in dem alles miteinander kommuniziert, aber ganz zwanglos.

"Aibu" will am ehesten noch darauf hinaus, dass er auf nichts hinauswill. Oder höchstens: Auf eine Art Gleichgewichtszustand, der darin besteht, dass alle das Leben gewinnen, das ihnen gemäß ist. Schon eine Gerechtigkeit, aber diese Gerechtigkeit liegt darin, dass erzählt wird, was erzählt werden muss. Dahinter etwas wie die Idee eines Eigengewichts an Aufmerksamkeit, die jeder Person, jedem Ding gebührt. Den Personen, die man mag, aber den anderen auch. Den Figuren am einen Rand und am andern. Fast ist es, als ginge es nur um eine Verschiebung der Ränder. Auch das Zentrum ist, wenn Gosho wie in diesem Film darauf blickt, nur eine andere Form von Rand, einer, auf dem der Blick, der derselbe bleibt, etwas länger verharrt.

Wie unterstrichen darum die Bewegungen, Menschen, die rennen und dann die manchmal fast ruppigen Kameraschwenks. Das Ins-Bild-Kommen und Auch-Noch-ins-Bild-Bringen von Menschen und Dingen. Verbindungen herstellen. Alles steht zueinander im Verhältnis der Metonymie, die Gosho-Übersetzung davon ist am ehesten: im Verhältnis der guten Nachbarschaft. Es geht darum, einander zu besuchen, aufeinander acht zu geben, einander im Auge zu behalten. Es gehört eine Anstrengung dazu, aber es ist die Anstrengung einer entschiedenen, aber doch kleinen oder bestenfalls mittleren Bewegung: mit der Kamera, mit dem Zug. Oder eilend trippelnden Schritts. Aber immer fällt ein Blick auch noch durch dieses Fenster, hinter diese Tür, auf diese Person.

Kleine Wirbel bilden sich in der Bewegung, da kommt es zu größeren, kleineren Dramen. Was sich so knotet, wird weniger aufgelöst, als dass sich Gegengewichte bilden, am anderen, aber kommunizierenden Ort. Die Welt von "Aibu" ist eine, aus der nichts, was in sie einmal Eingang gefunden hat, wieder geschafft werden muss. Harmonisch ist sie, weil - auch gegen momentanen Anschein - die größeren Dramen durch das, was man eine Haltung der Achtung nennen könnte, wenn nicht verschwinden, so doch kleinere werden.

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