Robert Aldrich: Rattennest (Kiss Me
Deadly, USA 1955)
Alles ist da, was man braucht, aber nichts funktioniert wie gewohnt. Nicht
der Held, nicht der MacGuffin, nicht die Beziehungen zu den Frauen, auch
nicht die Auflösung. Ja, der Film hat sogar zwei Enden: lange existierte
nur das ambivalente, das das Überleben Hammers fraglich ließ,
später fand man eine Flucht ins Meer, in den Armen der Frau. So wie
so: "Rattennest" ist das fehlende Bindeglied zwischen dem Film Noir und der
Nouvelle Vague.
Vor uns die
Hölle (Robert Aldrich, 1959)
Aldrich setzt auf Dramatisierung. Silhouetten, Gesichter, Fäuste im
Vordergrund, in Großaufnahme. Er kann sich nicht entscheiden, könnte
man sagen, zwischen Spannung und philosophischem Entwurf, die vier in rascher
Folge Sterbenden sind zudem nichts als, hier ist's buchstäblich wahr,
Kanonenfutter als teils retardierendes, teils aufs böse Ende weisendes
Moment.
Kamal Amrohi: Mahal (Indien 1949)
"Mahal" ist ein elegischer Trauergesang, hingegeben an Todessehnsucht und
Liebesqual, voller berückender Musik, auf Moll gestimmt, mit Auftritten
und Abgängen, die in ihrer traumwandlerischen Weltvergessenheit
ihresgleichen kaum kennen. Klassisches Bollywood in Quintessenz.
Emile de Antonio:
Underground (USA 1976)
Von Ekkehard Knörer
Die Ausgangslage, die Grundsituation, in die der Film immer wieder
zurückspringt wie der Tänzer in seine Grundstellung: zu dritt das
Team, das fragt, das filmt, das zuhört. Zum Subjekt der Frage aber
gehört hier auch ein Subjekt, das "Ich" sagt, das Stellung bezieht.
"Ich", sagt Emile de Antonio, interessiere mich für euren Platz in der
Gesellschaft, in der Geschichte. "Ich", sagt Emile de Antonio, stehe auf
eurer Seite.
Jack Arnold:
The Black Lagoon (USA 1954)
Die Kreatur, und nichts sonst, ist das Faszinosum dieses Films. Die Hand,
die Pfote, die Flosse zum einen (deren Recken und Ragen sich der Tatsache
verdankt, dass "Der Schrecken des Amazonas" ursprünglich eine 3-D-Produktion
gewesen ist). Das Gesicht, echsenartig, und in der Luft immer ein Schnappen
des Mundes, als wären es Kiemen.
Karim Asif: Mughal-e-Azam (Indien
1961)
Alles ist Ornat und Ornat wird so Substanz. Das findet seinen Höhepunkt
in der atemberaubend verspiegelten ursprünglichen Farbszene zum Ende
des ersten Teils und seinen Widerspruch in der Massenszenerie von
Salims Hinrichtung, mitsamt dem wuchtig-traurigen "Zindabad, Zindabad"-Song.
Hier drängt die Fülle ins Epische, sonst aber ins Innere einer
verbotenen Liebe, deren Inneres aber in aller Konsequenz nach außen
gewendet wird.
Carmelo Bene: Salome (I 1969)
Die Bibel, im Hintergrund der Mond, im Vordergrund Tausendundeine Nacht.
An Kopfes Statt: eine Melone, vom Krummsäbel halbiert. Der Ort: unbestimmt
drinnen, mit Ausnahme weniger Szenen. Das womöglich theatrale Drinnen
aber löst die Kamera auf, die hier, Krummsäbeln gleich und fliegenden
Äxten, durch den Raum schneidet und Gesichter, Gesten, Masken, Münder,
Körper findet, erfindet, schafft und zerlegt.
Walerian Borowczyk: Goto
(F 1969)
Das Diskontinuierliche der Fantasie, der psychischen Ökonomien, des
Raums, auch der Bedeutungen, der Lesbarkeiten und möglichen Verweise
macht den Film aus, im Verwirrenden wie im Faszinierenden.
Roy Boulting:
Thunder Rock (GB 1942)
Wagemutig schwankt das zwischen Fantasy und Propagandafilm - und mit beidem
ist es "Thunder Rock" gleich ernst. Der Film geht durch mehr als eine Tür,
packt den Betrachter sozialdramatisch und weltpolitisch, gehorcht den selbst
gesetzten Regeln der Geistergeschichte und entlässt zuletzt seinen
resignierten Helden wieder ins Leben.
Das Geld (Robert Bresson,
F/Schweiz 1983)
Das Zeichen ist nichts als sein Wert, auf den ersten Blick: wie das Geld.
Es ist der Mangel an Geld, der die Blüte als die rhetorische Figur des
Geldes hervortreibt. Das Geld ist darum immer schon mehr als nur sein Wert,
weil es besetzt wird mit einem Begehren, mit dem es nichts zu tun hat. Das
Begehren will, natürlich, nie das Geld. Und Bresson demonstriert die
Fatalität des Begehrens, das das Zeichen mit dem verwechselt, was es
begehrt. Das Falschgeld ist also das Falsche des Geldes und stört deshalb
den glatten Kommerz, in dem das Geld nichts ist als reine Potenzialität
des Tauschs. Als solches wäre es wahres Geld, wie die kinematografischen
Zeichen als reine Zeichen wahre Zeichen wären. Das Übel kommt in
die Welt, ist in der Welt, nur als Überschuss über das leere Zeichen.
Tod Browning: Miracles For Sale
(USA 1939)
Ein Film als Geisterbahn als Scherz. In der ersten Szene wird erst eine Frau
unter Kriegsgeräuschen entzweigeschossen, dann diese Szene als Inszenierung
eines Zaubertricks entlarvt. Alles, was man sieht, ist real oder Trick, wir
sind unterer Zauberern und Komödianten, miracles for sale.
Charles Burnett: Killer of Sheep
(USA 1973)
Und dann, nach diesem Verschmelzen, wieder ganz charakteristisch das
Sich-Lösen, ja, eine Auflösung. Sie ist auch dem Sprechen der
Darsteller gedankt, die keine Profis sind, die sich den Dialog, der
vollständig geschrieben ist, aneignen, aber so, dass man merkt, wie
sie um eine Natürlichkeit kämpfen, die sie so um ein Haar oft
verfehlen.
John Cassavetes: Gloria (1980)
Das alles klingt nach einem straighten und konventionellen Plot, aber die
Nacherzählung täuscht eine Kohärenz vor, um die der Film mutwillig
weiteste Bögen schlägt. So gehorcht er zum Beispiel keineswegs
der von der Konvention eigentlich vorgegebenen Dramaturgie der Steigerung.
Sein Gesetz ist die Wiederholung und sein Interesse gilt anderem als dem
Plot, dessen Fadenscheinigkeit etwa in der völlig unplausiblen Allgegenwart
der Mafiagangster ins Offenkundige gestülpt wird. Statt dass Cassavetes
Löcher in seiner Narration verdeckt, stellt er sie aus, macht sich genau
mit Umweg-Lust an diesen Löchern zu schaffen.
René Clair: A nous la
liberté (F 1931)
Die Kamera zeigt arbeitsteilige Schufterei im Knast und in der Fabrik als
ein- und dasselbe: die Kamera fährt ungefähr mit der Geschwindigkeit
eines Laufbands von rechts nach links und zeigt die Insassen, wie sie
Holzpferdchen zusammenbauen. Später wird dann das Laufband laufen und
die Menschen werden nicht mehr hinterherkommen. So wie hier geht es dabei
in erster Linie um den Nachweis dieser Ein- und Selbigkeit der totalen
Institution Gefängnis und der totalen Institution Gesellschaft.
Weitere Kritik von Stephane Boeuf
Francis Ford
Coppola: The Conversation (Der Dialog, USA 1974)
Das Paar, das man reden sieht und reden hört und nicht immer versteht,
steht unter Beobachtung. In einem Van sieht man den Lauschexperten Harry
Caul sehen - und vor allem hören. Was sie aber hören, werden sie
nicht verstehen und wenn Harry Caul - und wir - es verstehen, wird es zu
spät sein, falls wir glauben dürfen, was wir ihn sehen sehen.
Der Tod löscht alle Spuren (Brian
De Palma, USA 1981)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die Personen wie die Gegenstände gruppieren sich zu einer Art Stillleben
oder Tableau Vivant, nur um sich darauf wieder in Zeichen in Bewegung
aufzulösen. Bewegung der Flucht zum einen, der Wiederholung zum anderen:
und am Ende ist beides dasselbe, aus dem Wieder und Wieder der Bilder und
der Töne scheint es in "Blow Out" kein Entkommen zu geben.
Amar Akbar Anthony (Manmohan
Desai, Indien 1977)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die Schlussapotheose ist die Summe des Films: Alle Rücksichten auf Logik,
Glaubwürdigkeit oder auch nur Erklärbarkeit schreiben Drehbuch
und Regie souverän in den Wind, der ganze Film ist eine (mit voller
Absicht) lose Verkettung von grandiosen Szenen, die Genres gehen aufs
bezauberndste durcheinander, Herz reimt sich in Bonbonfarben auf Schmerz
und drei Stunden beste Unterhaltung sind vergangen, bevor man Amar und Akbar
und Anthony sagen kann.
Off/Ich: Zur
Chandler-Verfilmung "Murder, my Sweet" (Edward
Dmytryk; USA 1945)
Edward Dmytryk und der Drehbuchautor John Paxton begeben sich dieser Stimme
nicht, sondern unterschieben ihr eine klare filmische Logik. Sie plausibilisieren
die Voiceover-Off-Narration, indem sie sie aus der unbestimmten Zeit
des Erzählers in die Diegese hineinziehen: Philip Marlowe steckt zu
Beginn mit verbundenen Augen in der Klemme, in einer Befragung auf dem
Polizeirevier. Die Narration des Films ist die Rückblende auf das, was
zu dieser Situation geführt hat. Philip Marlowe erzählt, was geschehen
ist: der Polizei und uns.
The Master
of the House (Carl Theodor Dreyer, 1924)
Eine simple, ohne jeden Kompromiss an ihr logisches Ende erzählte
Geschichte. Der Sturz des Tyrannen mit weiblichen Mitteln, eine bürgerliche
Tragödie im Komödienformat, ein blitzsauberer Diskurs über
Geschlechterordnungen. Die Gewalt, die regulierend eingreift in die aus dem
Gleichgewicht geratene Kleinfamilie ist die der Mütter. Sie löschen
das Gesetz des Vaters aus, indem sie exemplarisch vorführen: an dieser
Stelle sitzt eine aufgeblasene Null.
Papierblumen
(Guru Dutt, Indien 1959)
"Kaagaz ke Phool"
ist ein tief trauriger Film. Darin liegt sein Problem mit der Bollywood-Form.
Die komischen Einlagen wollen einem hier so wenig recht am Platz vorkommen
wie manche der Musiknummern. Und umgekehrt schlagen sie störend zurück
auf den Ernst des Ganzen, das nach Realismus strebt und über die
großen Gefühle, die dadurch zu falschen zu werden drohen, immer
wieder stolpert. Bollywood-Pathos, das auf halber Strecke stehen bleibt,
verkommt jedoch, das wird hier deutlich, zur diffusen Sentimentalität.
Sunil Dutt:
Reshma aur Shera (Indien 1971)
Kritik von Ekkehard Knörer
Die Wüste als der Zwischenort, das Nichts, das ihnen Raum gibt. Raum
zur Umschrift der Gesetze, die außerhalb dieses Nicht-Orts gelten -
und deren Kraft auch innerhalb dieses Nicht-Orts spürbar wird, am Ende,
wenn hier die letzte Aushandlung stattfindet, die Institution des neuen Gesetzes.
Allan Dwan:
East Side, West Side (USA 1927)
Kritik von Ekkehard Knörer
Ein Schiff wird dann mit einem Eisberg kollidieren, später, um eine
der Figuren um die Ecke zu bringen und zwei andere nicht, das ist mit Modellen
getrickst und hübsch anzusehen, sehr schön auch, wie im letzten
Moment alles ins Rutschen gerät und das ganze zuletzt doch nur, einfach
so, eine Episode ist, kein großes Drama um ein großes Drama,
motivisch bestens eingebunden.
Victor
Erice: The Spirit of the Beehive (El Espiritu de la Colmena, Spanien
1973)
Victor Erices "El Espìritu de la colmena" ist doppelt datiert, zu
Beginn. Das erste Datum ist, paradox genug, aber sehr einleuchtend, kein
Datum, denn es lautet einfach: Es war einmal... Das zweite Datum ist klar,
noch unter dem Deckmantel der Lakonie, mit dem es als schlichte Einblendung
auftritt: Kastilien, um das Jahr 1940. Erices Film kam 1973 in die Kinos,
noch unter Francos Herrschaft, deren Beginn dem Film, in diesem doppelten
Datum, die Zeit gibt. Eine Zeit, die keine ist, Traumzeit, Kinozeit, Kinderzeit.
Jean Eustache: La Maman et la
putain (F 1972)
Jean-Pierre Léaud bleibt in der Schwebe. Seine, Alexandres, Haltlosigkeit
bildet Symptome aus und diese fügen sich zu einer Geschichte aus Worten.
Diese Worte sind leer, bleiben in der Schwebe, haften sich an, für Momente,
verselbständigen sich, passen zur Figur, zur Situation oder auch
nicht. Die Worte erschaffen Situationen oder sie verhallen in ihnen. Jedenfalls:
Sprechakttheoretisch höchst ambivalente Verhältnisse.
Warum läuft Herr R. Amok? (Regie: Rainer
Werner Fassbinder und Michael Fengler)
Der
Film konzentriert sich auf wenige Schauplätze: das Büro, das Auto,
die Couch im Wohnzimmer. Letztere wird zum zentralen Ort und Tatort des Films.
Hier wird das Personal in immer neuen Konstellationen versammelt, was sich
nicht ändert, ist die unter der Decke von Small Talk und dem dünnen
Anschein von Freundlichkeit gehaltene Unsicherheit der Personen, die jederzeit
in Gemeinheit umschlagen kann. Dietrich Lohmanns bewegliche Kamera nähert
sich den Figuren, folgt ihnen, aber nie zu dicht, schweift eher wie ein
natürlicher, aber nicht aufdringlicher Blick. Der Gesamteindruck bleibt
der eines uninszenierten Naturalismus, den hinzukriegen keine kleine Kunst
ist
R.W. Fassbinder:
Die bitteren Tränen der Petra von Kant (1971)
Inhalt und Form stehen in Fassbinders Film zueinander im Verhältnis
des Paradoxen: es geht um Gemeinheit, Hörigkeit, emotionale
Brutalität; der Film aber kündet davon nur hinter vielfach lackierter
Oberfläche. Alle Markierungen der Authentizität sind gelöscht,
es bleibt die reine Künstlichkeit: der Konstellationen, der Kompositionen,
der Sprache, der Tränen, der Gefühle, der Ausstattung. Es bleibt
dem Betrachter kein Ausweg in Identifikation oder Mitgefühl, was man
sieht, bedrängt gerade durch die Verweigerung von Nähe und die
gleichzeitige Blockade jeder Distanznahme, sei es durch Komik, sei es durch
Ironie.
Abel Ferrara: Driller Killer
(USA 1979)
THIS FILM SHOULD BE PLAYED LOUD. Oh ja. Ein Rausch aus Geräuschen. Genauer
gesagt: Ein Film, der alles zum Geräusch macht, zwischen Rauschen, Rausch,
Krach und Punk. Die Stimme, der Rap von Abel Ferrara, dem Helden des
Künstlerdramas, das auf einer fetten, breiten, roten Blutspur in den
Gore hinüberschlittert, als wär's ein finsterer Traum.
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John Ford: The Iron Horse (USA
1924)
Die individuelle Geschichte, die der großen Historie sehr umstandslos
als paralleler Strang beigegeben ist, entfaltet sich aus einer eher
beiläufigen Urszene. In einem Dorf treffen drei Männer, der Sohn
des einen, die Tochter des anderen, aufeinander. Der eine, Brandon, träumt
von der Bahn, die Amerika den Fortschritt erschließt. Der andere, Marsh,
spottet über die Träumerei. Der dritte ist Abraham Lincoln.
John Ford: Mogambo (USA 1953)
Dass ein Mann vom Ersetzungsvirtuosen zum Liebenden wird, ist Revolution
genug. Er nimmt nicht die Naive, also die Unersetzliche erster Ordnung, sondern
sucht und findet die Liebe als Einsicht zweiter Ordnung, die nicht naive
Liebe also zwischen zwei nicht Naiven. Die schon Ersetzte wird als unersetzlich
gesetzt. Das muss genügen und das genügt.
John Ford: Seven Women (USA
1965)
Eine wilde Jagd durch die Steppe, Bewegung von rechts nach links,
das erste Bild. Es wird die letzte rasante Bewegung vor dem Horizont der
Wüste bleiben, korrespondieren wird nur eine Abfahrt, am Ende, in eine
offene Zukunft hinein, eine Prozession beinahe, Symbolbewegung für die
Prozesse, um die es Ford hier geht.
Norman Foster: Rachel and
the Stranger (USA 1948)
Wie selbstverständlich hat die Verwandlung der Ökonomie stattgefunden.
Begehren (durch den Vater) und Anerkennung (durch den Sohn) statt des
bloßen schlechten Ersatzes. Die Moral von der Geschichte, aus der sich
Jim als der Katalysator, der er war, konsequenterweise dann entfernt, ist
die, dass es immer nur um die Restitution der Kleinfamilie ging. Und die
gehorcht einer anderen Ökonomie als der bloß struktureller
Ersetzbarkeiten.
Sam Fuller: Pickup on South
Street (USA 1953)
Die Kamera arbeitet präzise, aber entschlossen expositorisch, gibt das,
was sie zeigt, dem weiteren Geschehen zur Klärung auf. Die drei, die
hier im Namen des McGuffin versammelt sind, werden sich im Folgenden umkreisen,
schlagen, erpressen, lieben, verfolgen, belauern. Im Kern des Films begegnen
sich die, die sich in der Szene des Taschendiebstahls am nächsten kommen:
Skip, der professionelle Dieb, der seine Zukunft riskiert. Candy, als
ahnungsloser Go-Between, vom Mann, in dessen Auftrag sie die Botin spielt,
bereits gelöst, auf dem Weg zu Skip, von Küssen zu Bissen, von
Bissen zu Küssen schwankend.
Sam Fuller: Shock Corridor (USA
1963)
Nichts anderes als das amerikanische Unbewusste kehrt Sam Fuller in seinem
Korridor hervor, führt vor, wie die blanke Unvernunft aussieht, wenn
sie alle Verkleidung fahren lässt: Der Schwarze wird zum glühenden
Verfechter des Ku-Klux-Klan, der Soldat führt die Kriege der Vergangenheit,
der Nuklearforscher regrediert ins Infantile. Fuller kennt hier kein symbolisches
Vertun, hält das Gezeigte nie auf parabolischer Distanz. Der Wahnsinn
ist keine Metapher, aber doch nicht schieres, unerklärliches Irresein,
sondern ein fataler Schutzmechanismus gegen Entmenschung.
Tay Garnett:
One Way Passage (USA 1932)
Eine Einführung, vom Blatt gelesen, für den WDR, Frieda Grafe mit
etwas unordentlichen längeren Haaren, plötzlich verstehe ich, wie
Josef von Sternberg sie schön finden konnte. Es ist, jetzt im Arsenal,
ihr siebzigster Geburtstag, wäre sie nicht tot, Enno Patalas liest vor
aus dem neuen Buch in der Reihe ihrer Schriften.
Dann der Film.
Der verborgene
Stern (Indien 1960)
Bengalen, die nahe Fremde, die den aus Bangladesch Geflüchteten neue
Heimat sein muss, entfremdet sie einander und noch den Einzelnen, die Einzelne
sich selbst. Der Verfall des Vaters wie der blinde Eigennutz von Mutter und
Geschwistern leiten sich her von der Flucht und weisen doch in die
Universalität einer viel tieferen Entfremdung, zwischen Mensch und Natur.
Am Ende wird Nita, die Sterbende, in den Wald und die Berge hineinrufen:
"Ich will leben!" Das Echo, das zurückkehrt, ist keine Antwort.
Jean-Luc Godard: Die
Geschichte der Nana S. (Frankreich 1962)
"Ein Film, randvoll mit Ideen, oder vielleicht auch: um einiges
überschüssig, über den Rand hinaus, den irgendwelche Konventionen
vorsehen würden. Aber hier stimmt alles, hier ist noch nichts, wie
gelegentlich später bei Godard, Prätention und Bildungsschutt,
sondern alles Neugier, Ausprobieren, Wagnis."
Jean-Luc Godard: Die Verachtung (F
1963)
Schematisch und zugleich überaus rätselhaft dieser Film. Eine Satire
auf das System Hollywood, am Exempel des Produzenten Prokosch, dessen Geld
selbst die Legende Fritz Lang kujoniert. Ein Beziehungsdrama zu gleicher
Zeit, das in die Drehverwicklungen hineingewickelt ist, sich aber zwischendurch
ganz verselbständigt zum synkopierten Dialog als Zweikampf in der noch
nicht bezogenen gemeinsamen Wohnung in Rom. Die Hauptdarsteller des Films:
Die Farben rot, blau und gelb. Und die Musik von Georges Delerue.
Jean-Luc Godard: Die
Außenseiterbande (F 1964)
Den Raum des Films, in dem er spielt, den er spielt, gegen den er spielt,
den er sich erspielt, den gibt es nicht. Der Raum des Films ist die Bewegung,
das Schlängeln, der Figuren, der Kamera durch das leere weiße
Haus, ist die Fahrt mit dem Auto, der rasche Schritt Odiles vom Haus, das
so wenig Zentrum dieses Films ist wie irgend etwas anderes, zu Arthur und
Franz, die sich die Zeit vertreiben, am anderen Ort.
Heinosuke Gosho: Liebe (Aibu, Japan
1933)
Am äußersten Rand seiner Geschichte beginnt "Aibu". Ganz genau:
am unteren Rand. Füße sind zu sehen, von denen schwer zu sagen
ist, wozu der Film sich ihrer bedienen wird. Bewegt er sich mit ihrer Hilfe
hinein in eine folgende Handlung? Aber die Füße stehen still.
Da sitzt einer. Und zwar ist das einer, der eine Rikscha zieht. Zu ihm
gehören die Füße, aber sein Gesicht sehen wir nicht.
Zunächst.
White Zombie (Victor Halperin, USA
1932)
Der POV-Shot wird zum Signal, ja recht eigentlich zum direkten Ausdruck
von Madelaines Heilung. Die Kamera, das wird hier eindrucksvoll deutlich,
betreibt Reflexion auf die filmische Repräsentation, indem sie mit dem
Blick der Figur, als wäre es die natürlichste Sache der Welt,
verschmilzt.
Herk Harvey:
Carnival of Souls (USA 1962)
Ein Film, der mit dem Anfang und dem Ende eine Schleife setzt und um diesen
Nullpunkt herum im Niemandsraum und in der Niemandszeit spielt. Ein Film,
der sich und seine Heldin dem Nichts ausliefert, einer Nicht-Zeit, die eine
gedoppelte Zeit ist, einem Nicht-Raum, der gedoppelter Raum ist, dazwischen
nichts als Modulationen, die an der Stelle dessen sich befinden, was andernorts
eine Entwicklung wäre, hier aber nichts anderes ist als Krankheit zum
Tode.
Der nackte Dschungel (Regie: Byron
Haskins)
Hilflosigkeit wird Trotz, Begehren wird Gewalttätigkeit. Alles Musische
noch, der Selbstversuch in Kultivierung durch Lektüre empfindsamer Literatur
wird hartnäckig geleugnet. Er muss die Frau loswerden, als die so unverhofft
manifest gewordenen Zweifel am Selbstbewusstsein des kolonisierenden Eroberers.
Die Sekundärzivilisierung, die im Zeichen der Liebe stehen sollte, droht
so ganz und gar zu scheitern.
Howard Hawks:
His Girl Friday (USA 1940)
Das Ende: ein Krieg, der plötzlich vorbei ist, die Kapitulation der
Frau vor dem Mann. Er hatte die Story, sie den tumben Gatten: ungleiche Waffen,
weiß Gott.
Howard
Hawks: Ich war eine männliche Kriegsbraut (USA 1949)
Screwball in deutschen Ruinen. Nach dem Krieg, Besatzungsmächte,
Schwarzmarkt, Bürokratie. Mittendrin der Franzose Henri Rochard, der
sechzehn Sprachen beherrscht und auch den Code romantischer Liebe, der sich
der eigentlich bereits vergangenen Tradition gemäß in neckischen
Repliken virtuos zu äußern versteht. Ich hasse dich heißt
ich liebe dich, das ist eigentlich ganz einfach, aber man kann sich in dieser
Sprache eine Weile ganz vergnüglich missverstehen.
Monte Hellman: Ride in the
Whirlwind (USA 1965)
Die Kunst, die reale Landschaft so ins Bild zu setzen, dass man glauben
könnte, der Film sei im Studio, eher noch im Theater gedreht.
Realismusentzug durch Vermeidung von Aufwand. Die Darsteller stehen herum,
die Kamera steht herum, die Landschaft steht herum und beinahe Sekunde für
Sekunde kann man verfolgen, mit den eigenen Augen, die nicht glauben, was
sie sehen, wie der Entzug des Realen aufwandslos und gerade durch
Aufwandslosigkeit ins Metaphysische umschlägt.
Two-Lane Blacktop (Monte Hellman,
USA 1971)
Monte Hellmans Film "Two-Lane Blacktop" hat so wenig ein Zentrum wie er im
eigentlichen Sinne einen Plot hat. Er fängt einfach an, mit einem der
Dragster-Rennen, an denen er so gar kein sportives Interesse hat, und er
hört einfach auf, das aber mit einem spektakulären Moment der Setzung
eines Endes. Dazwischen liegt ein Road-Movie.
Cockfighter (Monte Hellman, USA
1974)
Die Geschichte wird aufgesplittert in banale Alltagsszenen, die immer wieder
fast unverbunden für sich stehen. Und in denen die Zeit stehen zu bleiben
scheint, in denen das Leben auf der Stelle tritt; in denen die ganze
amerikanische Existenz eine unendlich öde Angelegenheit ist. Am hellichten
Tag, den der große Cinematograph Nestor Almendros eingefangen hat.
Es gibt auch eine Schwärze des Lichts und der Helligkeit. Bei Monte
Hellman kann man sie erleben.
Alfred Hitchcock: Spellbound - Ich
kämpfe um dich (1945)
Der Wahnsinn sitzt, abgesehen von diesem Traum, bestenfalls im Detail - Hitchcock
ist dabei immer wieder in Experimentierlaune: am berühmtesten und
eindrücklichsten die subjektive Kamera, die den Blick des Mörders
blickt, der den Revolver langsam auf sich selbst wendet und dann, ins Gesicht
des Betrachters hinein, abdrückt.
Alfred Hitchcock: Saboteur (USA
1942)
Der Erlösungsweg führt von Los Angeles nach New York, als Roadmovie,
das freilich nur das Interesse am offenen Raum hat, ihn als sich ständig
wieder bedrohlich schließenden Verfolgungsraum zu inszenieren.
Innenräume dagegen öffnen sich auf Momente der Freiheit, beinahe
utopische Augenblicke zwischenmenschlichen Zutrauens unter an den Rand der
Gesellschaft Gestoßenen.
Alfred Hitchcock: The Wrong Man
(USA 1956)
Dies ist, sagt Alfred Hitchcock, in einem Vorspann, der ihn - oder eine Gestalt,
die ihn darstellt - als schwarzen Körper in einem nach vorne sich weitenden
Lichtkegel zeigt, dies, sagt Alfred Hitchcock, ist ein Film, der sich von
all meinen anderen Filmen unterscheidet. Denn was hier erzählt wird,
versichert die Stimme, die wir uns als zum schwarzen Körper im weißen
Lichtkegel gehörig vorzustellen haben, ist wirklich geschehen.
Mike Hodges: Get Carter (1971)
"Selbst die Kamera hat etwas Lauerndes. Meist sind die Bilder von knapp
über dem Boden aufgenommen, um Ecken herum, hinter Bäumen hervor.
Gesichter werden verdeckt von im Wege Stehendem, Hinterköpfen etc.,
Verdeckung ist auch das Prinzip der Geschichte, Schuld entzieht sich, Carters
Nachforschungen bestehen weniger im Lesen von Spuren, im Aufspüren von
Fährten, sondern in erster Linie im Aufsuchen von Leuten. Alles weitere
wird sich ergeben, Carter wartet, über den ewigen Zeitraum der Latenz
hinweg, die sich zunehmend mit Spannung auflädt, die anderen werden
beginnen, Fehler zu machen."
Tobe
Hooper: The Texas Chainsaw Massacre (USA 1974)
Ein Film wie ein Schlag auf den Kopf (oder Schläge), aber nicht wie
Verspeistwerden. Denn man sieht zu. Identifiziert man sich? Mit den Opfern?
Welche Affekte gehen einem so durch den Körper, wenn man sieht, was
man sieht. Die Schläge auf den Kopf, die Kettensäge, Menschenfleisch
als Wurst. Oder schon der Beginn: Der Irre, der sich ins eigene Fleisch
schneidet. Schneidet er ins Fleisch des Betrachters?
Kon Ichikawa: Yukinojos Rache (Japan
1962/3)
Die Kamera stößt, sich oftmals mit einer der Figuren zur Seite
bewegend, auf Wände, die den Blick in die Tiefe verstellen. Rasant quert
der Film die Medien, denn so nah wie hier kommt das Kino der abstrakten Malerei
selten, am dünnen Seil nur hängt in diesen Momenten das Bild mit
der Erzählung zusammen, deren Logik es zum Schein wenigstens untersteht.
Shohei Imamura: Stolen Desire (J
1958)
Der Film nähert sich seiner Geschichte von oben (die Kamera), auktorial
(eine Erzählerstimme), situierend (historisch: dies ist Osaka, von den
Spuren des Krieges nichts mehr zu sehen), repetitiv (der Turm, der im ersten
Teil das Leitmotiv bleibt, das Wahrzeichen der Stadt). Das aber ist nichts
als ein Mastershot-Eingang, wenn man so sagen kann, denn weiter geht es im
Kleinen, menschlich, allzumenschlich, der Atem des Historischen und auch
des Auktorialen geht dem Film ebenso rasch aus wie die Vogelperspektive.
Norman
Jewison: Thomas Crown ist nicht zu fassen (USA 1968)
Aufschub: Ein Schachspiel der Kontrahenten. Sie streichelt den Läufer.
Die Kamera bestreicht die Gesichter mit einer Großaufnahme. Und noch
größer. Es folgen Küsse im Gegenlicht, Lippe an Lippe. Das
Schachspiel schiebt auf, den Sex, den wir dann nicht zu sehen bekommen. Er
verschwimmt im entschärften Blick auf buntes Farbenspiel. Darin liegt
das, was der Film für seinen Stil hält. Und darin liegt sein Stil:
Im eher überflüssigen als kitzelnden Aufschub, in der
Überdeutlichkeit, im Verschwommenen, in der Entschärfung, in einer
als Lässigkeit notdürftig camouflierten Unentschlossenheit.
El Topo (Regie: Alejandro
Jodorowsky)
Versuchte man, sich vorzustellen, was herauskäme, wenn Samuel Beckett,
Salvador Dalí und Clint Eastwood einen gemeinsamen Film drehten, dann
könnte man wenigstens eine vage Idee von Alexandro Jodorowskys El Topo
bekommen. Wer allerdings, mit gutem Grund, überzeugt ist, dass das
keinesfalls zusammenpasst, der wird hier eines besseren belehrt.
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