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Max Ophüls: Gefangen (Caught, USA 1949)
Von Ekkehard Knörer
Mit dem Blick auf Schmuckstücke in einer Zeitschrift beginnt "Gefangen"
seine Psychopathologie des amerikanischen Traums vom gesellschaftlichen Aufstieg.
Leonora, die hier noch gar nicht Leonora heißt, sondern später
erst ihren eigentlichen Namen in einen karrieretauglichen transformiert,
liegt auf dem Bett im Zimmer, das sie sich mit einer bereits als Mannequin
tätigen und erfolgreichen Freundin teilt. Wie begehrliche Blicke eine
Wirklichkeit hervorbringen und wie diese Wirklichkeit ganz anders ist als
der sie produzierende Traum, davon erzählt Max Ophüls in "Gefangen",
einem Ernüchterungsfilm.
Man fällt nicht nach oben als mittellose Person aus der Provinz, das
steht fest. Man erarbeitet sich diesen Aufstieg. Man kratzt Cent für
Cent seine dürftige Einkünfte zusammen und besucht die "Schule
des Charmes", in der man sich zu benehmen lernt in besserer Gesellschaft.
Es gehört dazu, neben dem Erwartbaren, auch: die richtige Art, Musik
zu hören. In der "Schule des Charmes" wird die zukünftige Ehefrau
für die Muße, die nach erfolgtem Aufstieg auf hohem Niveau ansteht,
gedrillt.
Zum Gelde drängt der begehrende Blick Leonoras. Sie nennt dies Begehren
der Einfachheit halber Liebe und spricht eine falsche Wahrheit, der die in
der Liebe ja nicht unübliche Verwechslung des Realen mit mancherlei
Imaginärem zugrunde liegt, sehr gelassen aus. Zum Status nämlich
führt nur der Mann, der darum geangelt sein will. Es folgt das
Zwischenstadium der Auftritte. Mit dem in der "Schule des Charme" Gelernten
führt Leonora sich als Mannequin vor. Der Pelz, den sie trägt,
gehört noch nicht ihr - für den Moment. Sie aber, die als Venus
und Lockvogel in ihm steckt, zieht den Blick eines Stellvertreters des Geldes
auf sich: der Sekretär (Curt Bois) des Multimillionärs Smith Ohlrig
(Robert Ryan) lädt sie zur Party im Hafen, genauer gesagt: auf der Yacht,
nicht an Land. Ohlrig angelt sie, bevor sie den festen Boden unter den
Füßen verliert. Sie sitzt da, bestellt und wird, anders jedoch
als gedacht, abgeholt. (Vorher erlaubt sich Ophüls noch ein für
die und mit der Kamera choreografiertes Ballett im Kaufhaus: Ein Bewegungsdialog,
in dem sich, wie in diesem Film immerzu, die Zukunft entscheidet.)
Smith Ohlrig: Schon der Name ist deformiert von der Tauschwertobjektivierung
der Verhältnisse. Der Mann ist vom Geld, das er immer schon hat, zum
doppelten Nachnamen, wie soll man sagen: depersonalisiert und seiner
gesellschaftlichen Normalsubjektivität beraubt. Was nicht heißt,
dass er kein Persönlichkeit hat. Nur ist sie: bestialisch und herzlos,
rechenhaft (er kann die Summen des Vermögens, das er besaß, besitzt
und besitzen wird zu genau bemessener Zukunftsträchtigkeit
mulitplizieren) und berechnend. Und in all dem schauderhaft irrational. Der
Film legt ihn dann, buchstäblich, auf die Couch. Das wird nun sein Auftritt,
aber kaum ein Bewegungsdialog, nur ein Monolog, in dem Smith Ohlrig die Position
des Gegenübers vollends narzisstisch gleich mit übernimmt.
Kurz gesagt geht das Triebschicksal der Figur bis zum Ende des Films so:
Wo ein doppelter Nachname ist, muss ein monströses Es werden. Aus Trotz
gegen den Psychiater (bzw. einfach das Über-Ich) wird dieses Es, das
nie heiraten wollte, nur um seine Bindungsfähigkeit und damit seinen
Willen zur Usurpation der Über-Ich-Position zu beweisen, jene ihm -
wie jede andere - gleichgültige Frau heiraten, die in ihm, wie sie glaubt
oder glauben möchte oder nicht zu glauben sich nicht eingestehen kann
oder umso mehr glauben kann, weil sie weiß, dass es besser so wäre,
aber nicht ist, oder auch umso mehr glauben kann, weil sie ahnt, dass die
entscheidende Differenz zwischen ihrem Aufstiegsbegehren und dem, was sie
für Liebe hält, gar nicht existiert, die in ihm also etwas anderes
und mehr sieht oder sehen will als nur den Mann mit dem Geld. Sie nennt es
jedenfalls, immerhin ist es ein Wort, das man kennt: "Liebe". "Gefangen"
ist ein Film über zwei kapitalistische Deformationssyndrome, die den
Bund der Ehe eingehen.
Er ist aber auch ein Hollywoodfilm und imaginiert darum einen anderen Ort.
Erstaunlich ist, dass er sich diesen nicht sonderlich schön malt und
als eine kaum sentimental überzeichnete Kinderarztpraxis an der armen
New Yorker East Side vorstellt. (Eine Sonderbetrachtung wäre die Karriere-
und Triebgeografie des Films wert: Vom kleinen Zimmer in LA zur knapp verpassten
Yacht im Hafen und dann eine Heirat später hinüber nach Long Island
im Schnee und dann nach New York.) In der Praxis der unbedeutende Arzt als
weißer Ritter, ein gesellschaftliches Nichts namens Larry Quinada ("qui"
wie wer? "nada" wie nichts; aber auch ein Larry, die Vornamenhaftigkeit selbst)
gegen Smith Ohlrig, aber ein Nichts ist genau das, was die selbstgemachte
Leonora jetzt braucht. Was sie auch braucht, sind ein paar alle
Subjektivität unterlaufende, die Triebe vom Karriereehrgeiz aufs Mechanische
umleitende Sekretärsfähigkeiten: Maschineschreiben und Stenografie.
Im Übereifer, den sie darin - etwas verzögert - an den Tag legt,
gewinnt sie ihre Menschlichkeit zurück. (Man beachte, dass der
Sekretär von Smith Ohlrig immerzu Klavier spielt. Die Charaktermaske
bürgerlicher Kultur, die sich der Kapitalist zum Menschenfischen und
zur Unterhaltung hält.)
Wie kann das nun, es muss ja, gut ausgehen? So: Leonora ist schwanger von
Smith. Larry will sie heiraten, trotzdem. Smith gibt sie frei, bekommt er
das Kind. Leonora hat eine Fehlgeburt. Larry betritt das Krankenzimmer. Wir
sehen ihn nur von hinten. (Oft sehen wir Figuren im Film nur von hinten.
Als traute er, diese Spekulation sei als letzte gewagt, seiner eigenen
Herstellung von Subjektivität nicht über den Weg.) Die Tür
schließt sich. Eine andere Figur führt uns einen Gang hinunter
aus dem Film.
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