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Masahiro Shinoda: Double Suicide (Japan 1969)

Von Ekkehard Knörer 

Der Beginn zeigt die Errichtung des Raums und das Hantieren mit den Bunraku-Puppen. Ein Stück wird gespielt werden, die Kamera bewegt sich neugierig, das Geschehen suchend, registrierend, durch die Welt, die ersteht, ein visuelles Gegenstück zum Stimmen der Instrumente vor dem Beginn des Konzerts. Dann aber erfolgt ein Schnitt hinaus – und in diesem Hinaus erst eröffnet der Film sich die Differenz zwischen Innen und Außen. Unter einer Brücke liegen wie tot zwei menschliche Figuren (der Titel suggeriert: eine Antizipation des Endes). Keine Puppen. Mit diesem doppelten Schnitt: nach draußen, von der Puppe zum (toten) Menschen zerreißt der Raum der Repräsentation, kaum ist er etabliert.

Es ist nicht der neue Raum – draußen, Menschen -, der sich stabilisiert, sondern dieser Riss. Man wird also nicht einfach vom Übergang von Stilisierung zu Realismus sprechen können. Der scheinbar realistische Blick hinter die Kulissen einer Bunraku-Aufführung wird abgelöst von der stilisierten Darstellung einer abstrakten Inszenierung realer Darsteller. Koharu, die Kurtisane, und Jihei, der Freier, der sie liebt und freizukaufen neunzehnmal versprochen hat, begegnen einander in Kleidern aus schwarzen und weißen Mustern auf einem schwarzen und weißen Grund. Auf der Bühne scheinen sie mit dem Bühnenbild zu verschmelzen. Als Begrenzung des Raums dominieren Gitter aus Holz, durch die wir immer wieder blicken, Innenräume werden von außen sichtbar, von Spalt zu Spalt, der Trennraum ist im Zug der Trennung auch transparent.

Weitere, atemberaubende Verschränkungen. Die Wände zum einen Teil Gitter, zum anderen – wie auch die Böden - im Stil expressiver Abstraktion schwarz und weiß gemustert, zwischen Schrift und ihrer Explosion, stillgestellte Dynamik. Streng gekleidet, streng frisiert, strenge Herrscher über ihre Gesten die Figuren. Zwischen ihnen aber, kauernd, sich zusammenrottend, abwartend, behende, aber still, aus der abwartenden Erstarrung sich lösend, andere Figuren, schwarz gekleidet, die Gesichter hinter schwarzer Gaze, unter spitz zulaufenden Kapuzen. Unheimliche Gestalten. Es sind die Puppenspieler. Als zwischen Präsenz und Absenz, zwischen Repräsentation und Kulissenpersonal schwankende Figuren bleiben sie auf der Bühne, werden tätig in Handreichungen, ohne den Repräsentationsraum zu betreten. Die Darsteller sind die Puppen, die sich von ihren Spielern gelöst haben, aber nicht ganz. Die schwarzen Gestalten sind Markierung und Rest des Risses, in dem der Film sich einrichtet, in dem er das Bunraku-Stück um Liebe und Ehre und Selbstaufgabe und gesellschaftliche Zwänge ansiedelt.

Der Riss – zwischen Innen und Außen, zwischen stilisiertem Puppenspiel und abstraktem Realismus – stabilisiert sich nicht endgültig. Die schwarzen Gestalten fallen heraus, weil sie zwischen den Räumen und Ebenen der Repräsentation schillern. Zudem geraten Außenräume ins Bild, kein bisschen realer als die Bühnenräume. Abstrakte Muster von Dachziegeln, Wänden, Höfen verschalte Natur und Künstlichkeit. Einmal ein Rennen hinaus auf die Straße, die Kapuzengestalten eilen hinterher, die Kamera verharrt. Dann rennen die schwarzen Gestalten, die unheimlichen, ihrer eigentlichen Tätigkeit beraubten Puppenspieler zurück, auf die Kamera zu, füllen das Bild, bis es gänzlich schwarz ist: Löschung der Repräsentation. Von dieser Löschung bleibt der nie endgültig stabilisierte Raum immerzu bedroht.

Keine Szene bleibt von diesen Löschungsfiguren unbeobachtet, auch nicht der letzte Liebesakt auf dem Friedhof. Ein Kapuzenmann drückt Jihei das Schwert in die Hand, mit dem er Koharu töten wird. Das Blut auf ihrem Gesicht erinnert an die schwarzen Spritzer auf den Wänden der Bühne; Annäherung an die Abstraktion. Jihei selbst winden die schwarzen Männer die Schlinge um den Hals, knüpfen ihn auf. Man sieht in den Close Ups das Leuchten ihrer Augen, als wären sie Raubtiere, verstoßen aus ihrem Repräsentationsraum, versessen auf Rache in jeder unterwürfigen Geste ihrer Hilfstätigkeit. Es sind so die Reste und Markierungen des Puppenspiels, die den anderen Raum, den der Film als abstrakt realen etabliert, wieder löschen. Ein endgültiger Sieg ist es nicht: die Puppen des Beginns kehren nicht zurück. Aber, immerhin, zuletzt, als Ende, nach dem Tod: die Schwarzblende. Und auch, zuvor: die schwarzen Zähne Osans, der Frau von Jihei, die am Selbstmord der Kurtisane nicht schuld sein will, und so den Doppelselbstmord herbeiführt.

Die Kamera sorgt dafür, dass aus dem sich nicht stabilisierenden Zwischenraum aus Puppenspiel und illusionierender Theaterdarstellung etwas anderes entspringt. Es gibt kein Publikum – und auch die Kamera ist es nicht. Es gibt keine vierte Wand, weil es überhaupt keine Wände gibt, die den Darstellungsraum versiegeln. Die Kamera bewegt sich, als eigener Akteur, als der Akteur nämlich, der Sichtbarkeit und Repräsentation überhaupt erst gibt, durch die Szenerie, diese mit jedem Zug in Szene setzend. Sie ist der Widerpart der schwarzen Gestalten. Sie schafft, was diese löschen wollen, sie ist der Wille zur Darstellbarkeit. Wie im Schock gefriert das Bild, als einmal Jihei sich daran macht, den Raum, den sie schafft, in rasender Wut einzureißen. Die gefallenen Bühnenbilder, ihres Illusionscharakters endgültig beraubt, werden von den Löschungsfiguren hinausgetragen; das Bild der Kamera aber hat da seine Beweglichkeit wiedergefunden.

Und doch spielen – als gäbe es einen Gott, der die Notwendigkeit von gleichzeitiger Schaffung und Löschung noch einmal inszeniert – beide zusammen, die Schwarzen und die Kamera. Wir sehen, wie ein schwarzer Mann im Bühnenraum geräuschlos eine Laterne auf den Boden stellt. Diese nimmt die Kamera groß in den Blick. Sie fährt etwas zurück, ins Bild kommen die Köpfe der schlafenden Kinder von Jihei und Osan. Die Kamera fährt nach links und ins Bild kommt Osan, ihr Gesicht, den Kindern zugeneigt. So ist die Schöpfung des Raums im Zusammenspiel von Löschungsfiguren und Kamera beschaffen, das Ineinander von Licht und Bildgebung, geräuschloser Bewegung der Hilfsfiguren und Ins-Bild-Kommen der Figuren, die dann den Text des alten Puppenstücks sprechen. Gesprochen von diesem Stück, aber nicht mehr gespielt von ihren Spielern.

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