Jean-Pierre Léaud bleibt in der Schwebe. Seine, Alexandres,
Haltlosigkeit bildet Symptome aus und diese fügen sich zu einer Geschichte
aus Worten. Diese Worte sind leer, bleiben in der Schwebe, haften sich an,
für Momente, verselbständigen sich, passen zur Figur, zur Situation
oder auch nicht. Die Worte erschaffen Situationen oder sie verhallen
in ihnen. Jedenfalls: Sprechakttheoretisch höchst ambivalente
Verhältnisse. Die Worte sind schwach wie das Fleisch Alexandres, der
Heiratsanträge macht, als wisse er nicht, was er sagt. Zwischen den
Dingen, die ihn umgeben, den Gefühlen, die er hat, den Worten, die er
macht, den Menschen, mit denen er redet, gibt es nichts als lose Verbindungen.
Schon die Frage, ob er meint, was er sagt, unterstellt eine Identifizierbarkeit
des Willens, Wollens und Meinens, die sich in den Strömen von Geschichten
und Nebensächlichkeiten, pathetischen Behauptungen und Non-Sequiturs
früh schon verloren hat.
Es geht aber weiter. Vieles bleibt folgenlos, wenngleich auch der Unterschied
zwischen dem, was eine Folge wäre (Leid, Schmerz, Liebe), und der
Folgenlosigkeit (man macht einfach weiter, was Alexandre sagt und tut, hat
keine Konsequenz) diffundiert. Die Worte, die gerichtet sind, an sich selbst,
an den anderen, modulieren die Leere und so gibt es in "La maman et la putain"
Leeren, die sich unterschiedlich anfühlen, aber eine Fülle als
genaue Bestimmbarkeit gibt es nie. Die Komik entsteht genau an den Ritzen
zwischen dem Gesagten und dem Verhallen im Unbestimmten. Große Gesten
im Kontrast zu narzisstischen Kleinlichkeiten. Je genauer Alexandre sich
selbst beschreibt, in einer an Proust, den er liest, durchaus gemahnenden
Differenzierungswut, desto größer wird die Kluft zu dem, der er
ist. Die leer laufende Beschreibung macht das Beschriebene verschwinden.
Dem korrespondiert die atemberaubende Oberfläche des Jean-Pierre
Léaud, seine erhobenen Zeigefinger, sein mitunter sehr irrer Blick,
das ernste Gesicht, der Mund, der redet und redet, Gesten, Andeutungen von
Erschöpfung und das Weiterreden. Man kann sich gar nicht vorstellen,
dass Alexandre wirklich still sitzt und liest. Im Café vollzieht er
nur die Geste des Lesens als Rücckzug für Veronika.
Auch Eifersucht ist nur ein Wort. Alexandre reißt die Augen auf, probiert
es an, verspricht sich etwas davon. Zu bedeuten hat das nichts. Und
selbstverständlich ist Politik nur ein Wort, ein verächtliches
zudem. Eine radikalere Absage ans Politische als dieser Film sie vorführt
ist kaum je ausgesprochen worden. Wenn Handeln im Zeichen des Politischen
heißt, dem eigenen Tun die Verantwortbarkeit für eine Gemeinschaft
zu unterstellen, der man sich zugehörig fühlt, dann ist Alexandre
der vollkommene Antiheld des Politischen. Gemeinschaft ist ein Wort, das
er nicht aussprechen könnte, es reimt sich nicht auf Ich. Alexandre
kann nicht Wir sagen, auch darum hat er zu keiner der Frauen, mit denen er
schläft, das, was man eine Beziehung nennen könnte. Das Versprechen
der Ehe und es gibt die verzweifelte Suche nach einer privaten
Gemeinschaft, bis zuletzt - wäre so leer, wie das, was man in einer
Sprache, die man nicht versteht, sagt, nur leer sein kann.
Der Film besitzt, auch in seiner endlos kreisenden Geschwätzigkeit eine
atemberaubende Präzision als Symptom (es ist das Jahr 1972) und
weiß zugleich sehr genau, dass er dieses Symptom ist, ja, er will trotzig
entschlossen dieses Symptom sein. Er teilt die Lust der Hauptfigur an der
Provokation, wenn er mit ihr ein Buch über die SS durchblättert
und nicht mehr als einen Anlass für schlechte Scherze darin sieht. Für
die Frauenbewegung gilt dasselbe. Einem Behinderten wird ohne Gewissensbisse
der Rollstuhl geklaut. Es gibt vulgäre Scherze über Araberinnen.
Natürlich ist "La maman et la putain" nicht reaktionär, er ist
nur nihilistisch, führt jedenfalls einen Nihilismus vor, hat ihm nichts
entgegenzusetzen und vielleicht ist gerade dieses Nichts-Engegenzusetzen-Haben
der tiefste Grund der Folgenlosigkeit allen Redens und Handelns. Vorausgesetzt
ist das Scheitern revolutionärer Politik. Was man dreieinhalb Stunden
lang vorgeführt bekommt, ist eine Zerfallsform des Politischen. Alexandre
seziert sich vor den Augen seiner Mitwelt, vor unseren Augen. Er
anästhesiert sich mit Worten. Die Züge des Skalpells sind präzise
gesetzt. Da ist ein furchtbarer Schmerz, er ahnt ihn, wir ahnen, aber zu
spüren ist er nicht. Und das ist es, was ihn am furchtbarsten macht.
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