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Raj Khosla: Meera Saaya (Indien 1966)

Von Ekkehard Knörer 

Ein Mann kehrt zurück aus Europa, denn seine Frau ist schwer krank. Wir sehen das Flugzeug, das Auto, die Treppe, das Schlafzimmer, er nimmt sie in den Arm, sie spricht kein einziges Wort mehr und stirbt. Also wäre "Meera Saaya" ein Film über den Verlust und die Trauer. Thakur Saheb, der Mann, der seine Frau verloren hat, überlässt sich der Erinnerung und Melancholie in einer Memorialinstallation. Er im Sessel, daneben das Tonband, das den Erinnerungssong spielt, über ihm, mit einer Girlande geschmückt, ihr Foto. Oder auch: Im Freien auf einer Terrasse, der Blick (seiner, unserer) wandert über die Architektur, aus der die Frau verschwunden ist. Und sie kehrt, im Rückblick, zurück.

Allein, sie kehrt auch anders zurück. Kehrt als eine andere zurück. Und diese andere, die ihr aufs Haar gleicht, behauptet, sie sei dieselbe. Der Mann traut seinen Augen nicht und was sein Herz sagt, bleibt unklar. Jedenfalls ist Thakur Saheb Rationalist und an Geister glaubt er nicht - so wenig wie dieser Film, der sich, mit der Stimme einer seiner Figuren, im Zeitalter der Aufklärung verortet. Man könnte auch sagen: Thakur Saheb will in seiner Trauer nicht gestört werden. Er will verharren, wie wir, in der Erinnerung, in der das Glück und die Liebe ihren Ort haben, fixiert sind, ein für allemal, wie die Bilder der Fotografie. Die Belebung des Bildes, als Belebung zur Szene der Fotografie, ist ungefährliche Belebung: als Rückblende. Der Trauernde kann es einordnen, so wie wir diese Bilder einordnen können. "Meera Saaya" insistiert auf dieser Ordnung. Keine Geister kommen ihr in die Quere.

In der wiedergekehrten Toten verkörpert sich ein Wunsch, der leidenschaftlich abgelehnt werden muss, weil er der Wunsch des Unmöglichen ist. In einer Geschichte, die zutiefst sich dem Rationalen verschreibt, ja mehr noch: der radikalen Skepsis, gibt es für die "Begegnung" mit diesem Geist, der keiner ist, nur den einen Ort: das Gericht. Das Drama der emphatischen Verkennung gerät zum Drama um Zeugnis und Beweis. Die wiedergekehrte Tote weiß, was sie nicht wissen kann, ist sie nicht, wer sie zu sein behauptet. Und doch darf nicht sein, was nicht sein kann. Die alle psychologische Komplexität so pragmatisch wie prekär reduzierende Wunscherfüllung wider besseres Wissen - die "Solaris"-Option - verbietet sich diesem Mann und diesem Film.

Emblematisch dargestellt in der zentralen Szene des Films. Der Mann, die Frau ziehen sich in einen privaten Raum zurück; sie sagt ihm dort Dinge, die nur die Ehefrau wissen kann. Wir aber betreten diesen Raum nicht, die Kamera bleibt außen vor, fährt von links nach rechts, an dicken Pfeilern vorüber, so dass die Leinwand für ein paar Momente sogar ganz schwarz wird. Wir hören kein Wort des Dialogs, sehen nur, wie Thakur Saheb erregt wird; und erregter. Dazu eine Musik, die sich für indische Verhältnisse sehr weit vorwagt ins Atonale. Das Herz dieses Films ist diese "Black Box" der Wahrheit. Der unbetretbare Raum der Skepsis, Einkapselung des Sachverhalts in dem einen Wort, das der Mann auch zweimal wiederholt, als er diesen Raum verlässt: "Impossible, impossible."

Offenkundig geht es um eine Wahrheit, die sich der Logik des Gerichts entzieht. Kein Beweis wird je genügen. Und so wird auch die Aufklärung und Auflösung, die der Film zu bieten hat, einerseits enttäuschend sein und andererseits nicht ohne ihre phantasmatischen Züge. Die Wahrheit tritt auf als Zeugnis eines sterbenden Verbrechers. Nicht vor Gericht, sondern inmitten der Memorialinstallation. Narration (einer durch und durch kolportagehaften Vorgeschichte) und das Wort einer zutiefst unzuverlässigen Figur (Bandit mit Turban und Bart) und eine Geste (das Abnehmen der Girlande) leisten im Verbund, was Argument und Evidenz nicht leisten konnten - und ein weiteres Mal noch gerade eben nicht leisten konnten, als aus dem Schrank purzelndes Beweisstück. Man wird also zweifeln dürfen an der Beseitigung der Skepsis; der Zug der Setzung bleibt der Aufhebung inhärent. Liebe tritt an die Stelle der Skepis, der Wille zum Glauben an die Stelle des Willens zum Zweifeln. In Wahrheit könnten wir immer weiter zweifeln; nur sollten wir es, würde Stanley Cavell sagen, nicht tun. Weil er dem anti-skeptischen Imperativ - übertreibe den Zweifel nicht! - nicht folgt, gerät Thakur Saheb in eine ethisch zusehends prekäre Situation.

Man kann das an sich selbst beobachten. Strukturell steht der Betrachter eindeutig auf der Seite der Skepsis, also des Mannes - weil der Film einen genau dort haben will. Wir wissen so wenig wie er, wie es sich verhält. Und doch werden wir zusehends ungeduldig mit ihm. Der Wille zum Glauben schleicht sich in unseren Blick und so wechseln wir hin und her, zwischen seiner und ihrer Position. Wir wollen glauben, dass sie die ist, die sie zu sein behauptet. (Und dann zweifeln wir wieder.) Wir beginnen zu fantasieren, uns Geschichten auszudenken, die den rätselhaften Sachverhalt klären und die Zweifel, die wir glaubend so gerne ausräumten, beseitigen. Für diese Fantasmen gibt uns der Plot höchst kokett leisen Anhalt hier und da; wir greifen danach. (Es versteht sich von selbst, dass die Position bei jedem weiteren Sehen eine - fast - ganz andere ist.)

Freilich ist unser Schwanken und Oszillieren, das Wechseln der Positionen, vom Film selbst strukturell auch vorgesehen. Darum verteilt er sich so vielfältig auf die unterschiedlichsten Orte: den Raum des Verharrens im Erinnern (Memorialinstallation), den Raum der ungebeugten Insistenz und unmöglichen Evidenz (Gericht), den Raum der Fantasie (die Banditen), den Raum der Rationalität (die Diskussionen der Rechtsgelehrten), den Raum des Unsinns (die beiden komischen Figuren, die näher an Shakespeare sind als am üblichen Johnny-Walker-Slapstick), den Raum der scharf begrenzten Wunscherfüllung als Erinnerung (Song and Dance, Fotografie, Verschränkung von Fotografie und Song and Dance) und eben den Raum der Skepsis (atonale Black Box im Innern des Gerichts).

Dass "Meera Saaya" diese Räume als unterschiedene präsentiert, heißt nicht, dass sie unterscheidbar wären. Die Pointe der Konstruktion ist gerade, dass jenseits dieser "künstlichen" Ebenenunterscheidungen alles durcheinander geht. Die Tote lebt. Der Mann wünscht sich ihren Tod und ihr Leben. Er zweifelt und zweifelt am Zweifel. Er erkennt und verkennt sich und seine Liebe und die Frau. Darum ist das Ende abrupte Reduktion aus Rücksicht auf Plot. Wir sollten diesem Ende vielleicht einfach nicht glauben. Wir sollten weiter wünschend zweifeln, zweifelnd wünschen, unsinnig fantasieren, trauernd verharren, erinnernd genießen. Schatten und Schleier im Bild lassen.

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