"Murder, my Sweet" ist ein Versuch, für das Ich,
das erzählt, für die distinktive Stimme eines
Erzähler-Ichs filmische Entsprechungen zu finden. (Und mehr als
alles andere ist die Literatur von Raymond Chandler ja diese Stimme, die
so unverkennbar ist, dass sie tausendfach nachgeahmt wurde seither.) Edward
Dmytryk und der Drehbuchautor John Paxton begeben sich dieser Stimme nicht,
sondern unterschieben ihr eine klare filmische Logik. Sie plausibilisieren
die Voiceover-Off-Narration, indem sie sie aus der unbestimmten Zeit
des Erzählers in die Diegese hineinziehen: Philip Marlowe steckt zu
Beginn mit verbundenen Augen in der Klemme, in einer Befragung auf dem
Polizeirevier. Die Narration des Films ist die Rückblende auf das, was
zu dieser Situation geführt hat. Philip Marlowe erzählt, was geschehen
ist: der Polizei und uns.
Das ist die Übertragung der an einen Ich-Erzähler gebundenen
literarischen Narration in eine filmgrammatische Konvention: die
Flashback-Konstruktion. Was dem literarischen Text fremd ist (das
Off), ist dem Film natürlich. Was dem Film der Tendenz des Bildes
zur Objektivität wegen fremd ist (ein subjektives
Erzähler-Ich), ist dem literarischen Text und der Sprache
natürlich.
(Immer: der Konvention nach. Denn dass der Sprach- und Sprechakt je wirklich
einen Ursprung in einem Ich hätte, das intentional über
ihn verfügte, ist bekanntlich sehr zweifelhaft. So zweifelhaft wie,
umgekehrt, die Evidenz der Objektivität im Bild des Films. Man könnte
gar versucht sein, das ganze gerade anders herum zu denken: Womöglich
ist die mit strengen Regeln konventionalisierte Sprache ihrer Struktur nach
"objektiver" als der Film, bei dem von Konventionen buchstäblich, von
einer wirklichen Grammatik und Lexik - also Sprache - immer nur
metaphorisch die Rede sein kann.)
Dmytryk überträgt die Stimme in Filmgrammatik, indem er sie ins
Off verlegt, das aber in eine Kontinuität zum On der ersten
Szene gesetzt wird. Das Ich, das spricht, wandert als erzählendes
aus dem Bild ins Off und kehrt zuletzt zurück. Man kann das eine
Rahmung nennen, freilich ist dieser Rahmen - anders - zugleich
immer auch im Bild, als Figur. Marlowe (Dick Powell) ist "Vertreter"
des Subjekts, das den Rahmen gibt, als die Figur, der geschieht, wovon sie
spricht, im Bild, in der Erzählung. Indem er dergestalt die
Subjektivität objektiviert, wahrt der Film die Bindung an ein personal
vorzustellendes Subjekt, das spricht – von einem Ort aus, der dem
Film, seinen tempi und topoi, vertraut ist.
Man muss dabei natürlich die subjektive Kamera in "The Lady in the Lake"
mitdenken, die immer – und nicht zu Unrecht - als den Konventionen
des Films fremder Übertragungsversuch des Subjektiven des Erzählens
in den Film begriffen wurde. Was sich darin zeigt, ist vor allem, dass die
geläufigen Ansichten, die das Off, aus dem eine Erzähl-Stimme
spricht, für unfilmisch halten, irren, jedenfalls dann, wenn es um ein
Ich geht, das spricht. Unfilmisch ist vielmehr der scheinbar filmische
Versuch, ein Korrelat zu finden, das aus der Grammatik des Films nicht vertraut
ist. Die Kamera ist nicht das Ich, das spricht. Der Ort für dieses
Ich im Film ist das Off. Der Film als Bildproduktion führt
diesen Ort als in der scheinbaren Ausschließung eingeschlossenen stets
mit – oder eher sollte man sagen: Das konventionelle filmische
Erzählen ist konstituiert durch diesen als sein Anderes mitgeführten
Ort, der im Schweigen die Bilder objektiviert. Problematisch, weil redundant,
wäre dann immer nur eine objektivierende "epische" Erzählstimme
aus dem Off. Denn schon und gerade im Ausbleiben dieser Stimme, im
Schweigen, das eine Präsenz ist, keine Absenz, objektiviert das
Off die Bilder. Und umgekehrt ist nur das Off der Ort, an dem
der Schein von Subjektivität sich als Markierung eintragen lässt.
Die Kamera als Ich einzusetzen, ist ein Solözismus. Und das
agrammatische Sprechen in radikalisierter Kamerasubjektive macht vielleicht
Experimentalfilme, aber keine dem Anschein nach saumlos decoupierte
Erzähl-Illusionierung – also eben: genau keinen Hollywood-Film.
Freilich: Dmytryk sucht objektive Korrelate einer subjektiven Perspektive.
Er übersetzt die Erfahrung des Ich, das spricht, ins Bild. (Kurz:
Er objektiviert sie.) Sehr buchstäblich lässt er den Worten das
Bild folgen, vor allem dann, wenn das Ich vom Schwinden des Bewusstseins
spricht. (Die Bilder des Films verstehen sich also als Wahrnehmungskorrelat.)
Dmytryk überträgt die Metapher ins Bild, er schwärzt das Sichtbare
ein, füllt das Bild mit dieser Schwärze als Metapher vom Schwinden
des Bewusstseins. Nicht anders verfährt er mit der Rede des Ich
vom Spinngewebe der drogeninduzierten Verwirrung. Mit der Lust an primitivster
Buchstäblichkeit im Metaphorisieren wird das Bild durchzogen von grauen
Fäden, durch die hindurch wir aber nicht sehen, was der Vertreter des
Ich, das spricht – also die von Dick Powell dargestellte
Marlowe-Figur – sieht. Vielmehr sehen wir durch den
Spinnenfädennebel, von dem das Ich aus dem Off spricht,
gerade den Vertreter dieses Ich im Bild. Im Bild wird, der seltsam
zwingenden (und bei allem scheinbaren Widersinn völlig ungezwungen
wirkenden) "Logik" filmgrammatischer Konventionen folgend, die subjektive
Sicht ins objektive Bild übertragen. Aus dem Off erzählt
der subjektive Erzähler sich objektiv ins/im Bild. Es gibt, für
Momente, auch wirkliche "Subjektiven", einmal, etwa, nach dem Erwachen, das
Bild der Lampe. Oder eben die Schwärzungs-Bilder des
Bewusstseins-Verlusts. Das zeigt aber erst recht: Die subjektive Einstellung
ist nicht naturalisierbar, sie findet ihre konventionelle Verwendung als
kurzer Hinweis, als Markierung, als Verfremdung. Das Bild will aber –
und wir wollen es mit ihm – zurück ins Objektive. Es kommt
- wie Marlowe, aber nicht als Marlowe - wieder zu sich.
Schon in der ersten, höchst ungewöhnlichen Einstellung allegorisiert
Dmytryk sein eigenes Verfahren. Nur nach und nach und in einer Kamerafahrt
figuriert sich im Weiß des Bildes etwas Weißes. Falls man bei
diesem Weiß in Weiß überhaupt von Figuration sprechen kann.
(Eher: Es ent-defiguriert sich etwas, ohne sogleich fassbare Figur zu werden.
Es scheiden sich, ohne erst aus dem Scheiden schon Gestalt zu gewinnen,
umbra und figura.) Nachträglich erfahren wir, dass diese
Entstehung des Bildes, die Herausbildung einer Kontur oder eines Flecks
(mehr nicht) aus dem weißen Nichts, die Gewinnung eines Objekts aus
dem schieren Geschiedensein von Vorder- und Hintergrund als Beschreibung
der Blindheit des Subjekts lesbar ist.
Sein Bild, die Figur aus dem Schatten, gewinnt der Film gerade einer für
uns objektiv sichtbar gemachten subjektiven Blindheit ab. Wir sehen nicht
das, was der sieht, der nichts sieht. (Also: "Schwärze".) Jedoch sehen
wir auch nicht unmittelbar den, der nichts sieht. (Also: Marlowe mit der
Augenbinde.) Bevor wir den sehen, der nichts sieht, sehen wir ein Zu-Sich-Kommen
des Sehens und des Bildes als ein- und dasselbe im Film. Der film
noir "Murder, my Sweet" beginnt mit einem Weißbild, das er
zusätzlich und nachträglich, in einem wahrnehmungslogisch absurden
Verknüpfungsakt, an die weiße Augenbinde seines Helden, die wir
dann sehen wie ihn, knüpft. Der Film macht uns sehen, wo wir
nichts sehen können, ja, wo es nichts zu sehen gibt. Davon schweigt
das Off. Erst wenn es spricht – vielmehr: wenn das
Ich aus ihm spricht –, markiert sich Subjektivität.
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