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Mani Ratnam: Nayakudu (Indien 1986)

Von Ekkehard Knörer 

Eine Legende, erzählt in scharf voneinander abgegrenzten Episoden. Die Ankunft, erster Widerstand gegen Staatsgewalt, erste Begegnung mit der späteren Frau, zweite Begegnung, Heirat, sie stirbt. Veerai Naidu wird zum Mafia-Boss. Er hält das Recht in der eigenen Hand, er steht auf der Seite der Guten. Er wird verehrt, er wird verfolgt. Seine Tochter verleugnet ihn. Mani Ratnam setzt nicht auf Ausmalen und Kontinuität, er handelt diese Geschichte, diese Legende ab mit der Unerbittlichkeit dessen, der nicht nur das Ende schon kennt, sondern es in jedem Moment, der geschildert wird, schon sieht. Die Legende hat die Zeit-Struktur der Moritat: Wehe, wenn ich auf das Ende sehe.

Eine Moritat, aber keine klare Moral. Es werden Zwischentöne eingetragen und Schattenseiten sichtbar. Der Film zeigt keine Lust an der Gewalt, die er für die Verhältnisse des indischen Kommerzkinos mit unerhörter Schärfe zeigt. Song and Dance sind in einem viel radikaleren Sinn als üblich Zwischenspiel, Verschnaufpause zwischen Dringlichkeiten. Wie so oft bei Mani Ratnam sind sie auf die erste Hälfte des Films begrenzt; dann verschwindet das Glück, es verschwinden die Atempausen.

Zuvor aber, als einzigartige Verschränkung von Plot und Tanz eine Überfahrt per Boot. Die Bewährungsprobe des aufstrebenden Gangsters, er schmuggelt Ware im Auftrag der Etablierten, die ihn in Wahrheit an die Polizei verraten, um seinen Aufstieg zu verhindern. Das misslingt, Veerai ist zu clever. Die Überfahrt aber geht ohne Realismus ab. Die Schmuggelware wird ins Meer versenkt, aus den Augen, aus dem Sinn für die Zollbeamten und für uns. Auf dem leeren Deck, an Stelle des Plots also, der so in den Hintergrund gedrängt wird: eine Frau, die tanzt, aufreizend tanzt. Spannung wird durch Sex (bzw.Sex-Ersatz) ersetzt. Buchstäbliche Par-Odie einer Genreszene des Spannungskinos. Ein Gesang nebenher, der sich in den Vordergrund spielt. Die Frau tanzt, aufreizend, der Gesang und der Tanz, eindeutig sexuell, setzen sich fort auch bei der Durchsuchung des Boots durch die Staatsmacht.

Ein letztes Mal setzen sich in dieser Szene der Aufstieg als Traum, die Legende als Erfolgsgeschichte durch gegen die Realität, die bald darauf umso mächtiger hereinbricht. Eindeutig aber ist der Bruch mit der Konvention, der Ratnam in den ersten Song-and-Dance-Szenen des Liebesglücks mit auffliegenden Tauben noch folgt wie blind. Das Glück der Liebe und die jouissance der Musik entsprechen einander und ergeben kein gemischtes Gefühl. Auf dem Boot dann die klare Konfrontation zweier Zeit-Formen: Song-and-Dance gegen Genre, Musik und Bewegung als Genuss der Gegenwart gegen Spannung als Richtung auf Zukunft. Der Tanz als eine Variation über das Glück, das nicht dauert, dem aber doch in der Form von Tanz und Gesang sein Recht verschafft, eine unbegrenzt-begrenzte Dauer gegeben werden kann.

Unbegrenzt-begrenzt, da es doch das Gesetz der Song-and-Dance-Sequenzen ist, dass in ihnen die Zeit – des Plots, des Lebens – aussetzt; ersetzt wird durch eine andere Zeit, die vergisst, was das ist: die Zeit. Zurückgeholt – aber nie vollständig – wird die Aus-Zeit nur durch den Fortgang, das Weitererzählen, das aber das Vergessen nicht vergessen, den unbegrenzten Moment nicht rückgängig macht. Nur aussetzt. Freilich gehört es zu Mani Ratnams Konsequenz im Umgang mit den Zeitbedingungen der Bollywood-Form, dass er diese Aussetzung dann nicht mehr zurücknimmt. Das Glück, die Dauer bleiben im Fortgang der Legendenerzählung aus. Das Moment der Versöhnung am Ende bleibt eben das: momentan, findet nicht zur Dauer des Aussetzens der Zeit im Gesang.

Und was wäre das anderes als ein aus der Form gewonnener Meta-Kommentar zur Moral der Geschichte? Die Rekapitulation der Bilder am Schluss bestätigt nur die Notwendigkeit dieses Endes. "Nayakudu" ist ein Film über Unentrinnbarkeit; die Legende als Tragödie.

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