Was unterscheidet das Kinderfilmfest vom Rest der
Berlinale?
Mit Sicherheit nicht die Qualität der Filme. Bei allen Sektionen geht
es darum, die bestmöglichen Filme ins Programm zu nehmen. Sachen, die
man sonst nicht ohne weiteres zu sehen kriegen würde. Das Kinderfilmfest
unterscheidet dann, dass wir uns an das Publikum zwischen vier und 14 plus
wenden. Wobei wir erfreulicherweise auch immer viele Erwachsene im Kino haben,
die hinterher entgeistert zu uns kommen und sagen: Tolle Filme. Als wäre
es eine große Überraschung, dass man Qualitätsfilme zu sehen
kriegt, wenn man sich mit Filmen an Kinder wendet. Wir versuchen, einmal
im Jahr die besten Filme für diese Zielgruppe ranzuschaffen, auf die
wir uns konzentrieren. Das hat natürlich einen Hintergrund: Die Berlinale
ist ein internationales Festival in der Regel mit Weltpremieren und
europäischen Premieren. Diese Filme haben alle noch keine FSK-Freigabe
(Freiwillige Selbstkontrolle). Die Berlinale findet also generell ab 18 statt.
Nur bei uns nicht. Wir haben eine der wenigen Leinwände für diese
zehn Tage, auf der Filme für ein junges Publikum und mit unseren
Altersfreigaben gespielt werden, ohne eine FSK-Freigabe.
Mit welcher Absicht wurde vor einem Jahr das Kinderfilmfest um die Reihe
14 plus erweitert?
Wir haben bei den Sichtungen für das Suchraster vier bis 13 Jahre Filme
gesehen und immer wieder gedacht, wie jammerschade es ist, dass es gerade
nicht mehr passt. Zum anderen ist es jetzt die 28. Ausgabe des Kinderfilmfests,
und man bildet ein Publikum, betreibt Geschmacksbildung, bringt Kinder auf
den Trichter, dass es ganz unterschiedliche Erzählrhythmen, ganz
unterschiedliche Herangehensweisen an Filme gibt, und dann werden die 14
und fühlen sich beim Kinderfilmfest nicht mehr richtig wohl. Ausgerechnet
in dieser schwierigen Phase, wo man sowieso Pickel kriegt und mit Gott und
der Welt Probleme hat. Ausgerechnet dann sagt auch noch die Berlinale: Das
wars, du musst jetzt noch vier Jahre warten, bis sie dich beim Panorama
oder beim Forum reinlassen. Das erschien mir völlig unangebracht.
Wir haben 14plus absichtlich nicht nach hinten begrenzt, weil wir zum Beispiel
Innocent Voices spielen. Das ist die europäische Premiere
und wird mit Sicherheit ein internationales Publikum aller Altersgruppen
anziehen. Und wir spielen Turtles can Fly von Bahman Ghobdadi.
Die Protagonisten sind zwischen 7, 14 und 16,17, aber der Film ist großes
Weltkino. Nach der Erweiterung im letzten Jahren haben alle gemerkt, dass
wir eine gute Mischung aus den Teenies haben, die wir mit 14 plus meinen,
aber auch aus Leuten, die schlau sind und merken, dass es bei uns eine gute
internationale Auswahl des jungen Arthouse-Kinos zu sehen gibt
Ist es schwierig, Produzenten und Regisseure dafür zu gewinnen, ihre
Filme beim Kinderfilmfest zu zeigen?
Jeder Film, der bei uns läuft, hat ein Ticket für den großen
und würdigen Auftritt auf dem globalen Marktplatz. An der Berlinale
hängt ein internationaler sehr bedeutender Filmmarkt dran, und es wird
viel gehandelt. Es gibt Länder, die ein sehr genaues Gespür dafür
haben, was für ein Potential hinter dem Kinderfilmfest steckt. Aber
es gibt immer noch Firmen, die sagen, dass Kinderfilm ein Ghetto ist, auf
dem sie ihren Film lieber nicht starten wollen. Wenn man einen sehr reduzierten
Blick darauf hat, kann man es sich so herbei konstruieren. Wenn Leute ihre
Filme hier nicht spielen wollen, heißt es: Wir planen eine Auswertung
auf der Arthouse-Schiene. Wenn der bei euch läuft, kriegt er einen Stempel
als Kinderfilm, und das tut dem Regisseur, dem Produkt nicht gut. Aber da
nölen wir nicht großartig rum. Wir haben eine tolle und eine starke
Auswahl. Für die Anzahl unserer Slots gibt es immer genug.
Wie kommen die Filme zu Ihnen, wie treffen Sie und Ihr Team die Auswahl?
Die Filme kommen auf unterschiedlichem Wege zu uns. Man kann sich ganz normal
bewerben, an der Berlinale teilzunehmen. Man kann im Internet einfach ein
Einreichformular downloaden und zahlt 50 oder 100 Euro Sichtungsgebühr.
Dann gucken wir uns den Film an. Die Berlinale verfügt über ein
internationales Netz von Delegierten, die in den jeweiligen Kulturräumen
und Filmlandschaften verankert sind und uns frühzeitig darauf hinweisen,
was ist in der Mache, wo wir ein Auge drauf haben sollten und sie wirken
ganz direkt auch auf die Filmproduktionen, auf die Filminstitute ein: Gib
mal Sichtungskopien her, reich den Film mal ein, lasst unsere Leute mal gucken.
Dann reisen meine Kollegin Maryanne Redpath, die Co-Direktorin, und ich auf
Festivals, z.B. nach Kopenhagen, da hängt ein großes nordisches
Showcase dran, da sind wir im September und gucken uns die ganzen Filme aus
dieser für Kinderfilme traditionell sehr fruchtbaren Ecke neu an. Festivals,
Delegierte, Einreichungen, in dieser Mischung.
Wie viele Filme wurden in diesem Jahr gesichtet, wie viele werden
während des Kinderfilmfests aufgeführt?
Aus 360 langen und kurzen Einreichungen wurden 10 Spielfilme und 20 Kurzfilme
fürs Kinderfilmfest und 9 Spielfilme für 14plus ausgewählt.
Welche Preise werden auf dem Kinderfilmfest verliehen?
Eine Kinderjury vergibt die Hauptpreise: den Gläsernen Bären für
den besten Spielfilm, den Gläsernen Bären für den besten Kurzfilm.
Zudem gibt es die Möglichkeit der lobenden Erwähnung, also einen
zweiten Preise für einen Spiel- und einen Kurzfilm. Wir haben eine
Jugendjury, die den Gläsernen Bären für den besten Spielfilm
in 14plus verleiht. Das sind die Hauptpreise. Dann vergibt eine internationale
Jury, das sind fünf internationale Filmfachleute, also Regisseure, Autoren,
Festivalleute usw., die Preise des Deutschen Kinderhilfswerks. Das sind dotierte
Preise. Da gibt es ein bisschen Geld für die Gewinner
In diesem Jahr berichten wieder die Jungen Journalisten auf der Internetseite
http://www.kinderfilmfest.net
über das Festival. Wie entstand diese Idee?
Das ist ein tolles Projekt und schon zehn Jahre alt. Ein ehemaliges Jurykind,
das vom Kinderfilmfest nicht genug kriegen konnte, hat es im Anschluss ins
Leben gerufen. Er war damals 14, ist heute 24 und hat sich die Domain beschafft,
zwei, drei Jahre in Eigenregie geschrieben. Dann wurde er erwachsen, studierte
in Amerika und hat das aus der Ferne gemacht. Er hat natürlich ein bisschen
den Kontakt zu der ganzen Geschichte verloren. Ich war immer ein großer
Fan von dieser Side und als ich vor drei Jahren angefangen habe, hatte er
sich gerade sehr weit davon entfernt. Dann habe ich gesagt: Lass uns doch
mal in den nächsten zwei, drei Jahren versuchen, eine Struktur aufzubauen.
Kinderpartizipation wird immer wichtiger in der Gesellschaft, das lässt
sich immer besser kommunizieren. Unser Partner, das Deutsche Kinderhilfswerk,
hat im Grunde sein ganzes Tun und Wirken auf Kinderpartizipation in der
Gesellschaft gestellt. Da habe ich gesagt: Wollen wir das nicht zusammen
machen, wollen wir nicht ein richtiges Projekt draus machen? Und mittlerweile
sind das 20 begeisterte Filmmaniacs, denen wir eine Akkreditierung umhängen
und die dann auf dem Festival rum düsen, Filme gucken und Interviews
machen. Für uns ist das Zielgruppenbindung. Wir können Leute begeistern
und wir können dieses unendliche Begeisterungspotential von Leuten in
der Zielgruppe für uns nutzen. Wir können keine bessere Werbung
für uns selbst machen, als wenn Kinder sagen: Hallo, toll, oder: Hm,
ganz schön ernstes Thema, aber ich finde, der Filmemacher ist dem nicht
aber wirklich gerecht geworden. Wir brauchen da gar nicht willfährige
Berichterstattung, jede Art, wo sich Leute abbeißen und reiben an unserem
Programm, dafür machen wir das hier.
Dann gibts auch das Beispiel der Zusammenarbeit mit unserem Medienpartner
Fox Kids auf Premiere. Die haben eine neue Marke, JETIX, kombiniert aus
Fernsehsender, einer Internetplattform und Inhalten. Die interessieren sich
sehr für gutes Kino und für tolle Filme und greifen uns unter die
Arme. Mit diesem Geld können wir die ganzen Schauspieler einfliegen,
die Kinder und die jungen Leute. Damit der Kooperationspartner zu seinen
werblichen Auftritten kommt, versuchen wir immer, ein Trägerelement
zu finden. Das heißt, sie haben Reporterkinder laufen, die gebrandet
sind. Die haben JETIX-Kappen auf und sind als solche erkennbar. Sie filmen
für den Sender Interviews und machen das in diesem Jahr auch in
Zusammenarbeit mit der Kinderseite vom Tagesspiegel. Wir
unterstützen das alles, weil es unsere Zielgruppe ist. Wenn die kommen,
schreiben und das nach außen tragen und wieder multiplizieren, kommt
es uns entgegen.
Das Kinderfilmfest führt ein Pilotprojekt mit Berliner Schulen durch.
Wie werden die Lehrer vorbereitet?
Das Kinderfilmfest hat seit seiner Entstehung naturgemäß eine
enge Bindung an Schulen. Lehrer, Erzieher, Eltern sind unsere Multiplikatoren.
Überzeugen Sie einen Lehrer und Sie haben 30 Zuschauer im Publikum.
Das ist das Schwaben-Argument. Wir stellen in den letzten zehn Jahren fest,
dass der Zulauf enorm ist. Diese Fragestellung audiovisueller Medien in der
Kindheit hat einen irrsinnigen Stellenwert gewonnen. Es gibt Initiativen:
Bundeszentrale für politische Bildung, FFA, Kino macht Schule, Filmkanon.
Als Festival sind wir immer außen vor, weil wir nicht Repertoire bilden.
Bei uns gehen drei, vier Filme ins Repertoire über. Daher müssen
wir ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass jemand, der in Berlin oder
erreichbarer Nähe unserer Kinos ist, in diesen zehn Tagen Gas geben
und hier her kommen muss, weil ganz tolle Filme laufen, viermal, dann sind
die auch weg. Ein paar kommen in den Verleih, ein paar kriegen eine
nichtgewerbliche Betriebsstruktur, aber es gibt einfach das Risiko, dass
die Filme weg sind. Deswegen haben wir überlegt, wie wir die Bindung
zu Schulen nachhaltiger gestalten können. Wir haben aus den bisherigen
Erfahrungen mit Schulen Kontakt aufgenommen und ein Pilotprojekt angeboten:
Schickt uns Lehrer mit einer besonderen Motivation für neue Medien im
Unterricht vorbei, denen bieten wir eine erweiterte Tour an. Wir haben mit
denen seit letztem September Kontakt. Man hat sich erstmal kennen gelernt.
Wir haben einen Medienpädagogen beauftragt, der das Bedarfsprofil von
25 Lehrern ermittelt und die Filme frühzeitig gesehen hat. Er hat ihnen
Vorschläge unterbreitet. Die Lehrer konnten sich die Filme vorab in
den Pressevorführungen anschauen und anschließend zusammen mit
dem Medienpädagogen Konzepte entwickeln. Das Ganze wird evaluiert und
sorgfältig angeguckt. Wenn das funktioniert, suchen wir uns einen Partner
und bauen es auf.
Zurück zu den Filmen: Gibt es thematische Schwerpunkte, die bei der
Auswahl zum Tragen kommen?
Die machen sich selber. Das ergibt sich alles von selber. Wir gucken nur,
dass wir den Rahm oben abschöpfen und daraus ergibt sich dann eine Tendenz.
In meinem ersten Jahr, obwohl ich kein besonders frommes Auswahlgremium um
mich habe, war das Kindheit und Spiritualität an allen Ecken
und Enden haben die nach Sinn gesucht und haben die klassischen Religionsangebote
auf Brauchbarkeit abgeklopft. Dieses Jahr ist es offensichtlich, dass Krieg
ein riesengroßes Thema ist. Dieser Umbruch, in dem sich die Welt befindet,
und nicht nur der Krieg, der irgendwo an offiziellen Kriegsschauplätzen
ausgerufen wird, sondern auch der Krieg in Gesellschaft, in Familie, in Schulen.
Es ist ein extrem herbes und brutales Programm dieses Jahr, das wir Gott
sei Dank an ein paar Punkten abfedern können. Wir haben nette Fabeln
und Märchen. Die Substanz dieses Programms ist, dass die Welt in einem
rabiaten Zustand ist, dass Kinder weniger denn je irgendwie Schutz
genießen, dass es keinen common sense mehr gibt, dass Kinder ein Recht
auf Integrität, auf unverletzte Kindheit haben, sondern das sie
überall im Sperrfeuer stehen, es um die Ohren kriegen und sich irgendwie
durchfinden müssen. Das machen nicht wir, das machen die Filme selber.
Wir sagen nicht: Toll, der nächste Kriegsfilm, sondern wir versuchen
einfach die guten Filme von den schlechten Filmen zu unterscheiden. Dieser
oben abgeschöpfte Rahm wird dann gezeigt.
Ist es wichtig, dass ein Kinderfilm ein Happy End hat?
Nein. Ich würde es mir öfter mal wünschen, aber das ist ein
altmodischer Anspruch. Es ist auch ein Irrglauben, dass Kinder das wollen.
Das gibt es nicht mehr her. Ich erwarte eine aufrichtige Erzählhaltung.
Wir gucken schon, dass wir keine Filme ins Programm nehmen, die komplett
zermalmend wirken, die nur aussichtslos die Grausamkeit der Welt spiegeln.
Wir gucken schon, dass das Filme sind, wo die Kinder bei allem, wie sie gefordert
und geschlaucht werden, starke Persönlichkeit oder Kraft entwickeln.
An der Reibung mit dem Schicksal kann man Energie entwickeln. Aber wir machen
die Filme nicht. Wir suchen sie nur aus, programmieren sie und versuchen,
sie so gut wie möglich hier zu präsentieren.
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