Seine Frau ist tot, die Trauergesellschaft verabschiedet sich.
Der Mann ist allein, sein Name ist Kamali. Wir sind mit ihm allein, für
den Rest des Films, Einstellung für Einstellung. Kamali schweigt. Und
schweigt. Kamali wird bis zum Ende des Films kein Wort gesprochen haben.
Er ist verstummt. Er tut Dinge. Er tauscht das Trauerfoto seiner Frau auf
der Kommode gegen ein anderes, auf dem sie lebendiger aussieht. Er geht in
sein Büro, sitzt dort an seinem Tisch, und schweigt. Er eilt, um zu
weinen, auf die Toilette. Er rasiert sich und sieht im Spiegel einen neuen
Mann. Wir sehen ihn auf dem Friedhof, er weicht den ums Grab versammelten
Trauernden aus, nicht beim ersten, aber beim zweiten Mal. Später versucht
er sich an der Waschmaschine, aber sie macht keinen Mucks. Also stellt er
sich unter die Dusche und wäscht seine Sachen von Hand. Er hängt
sie, als der Wäscheständer voll ist, übers Mobiliar.
Bei all diesen Dingen beobachten wir Kamali, den Mann, der schweigt. Man
sollte meinen, Nasser Refaies "Another Morning" sei deshalb ein trauriger
Film. Ein Film über Trauer. Das ist er auch aber er ist auch
komisch. Und nicht nur das er ist auch ein recht gewagtes Porträt
der iranischen Gegenwartsgesellschaft. Schweigen nämlich ist Kamali
unterwegs, zu Fuß und mit dem Auto, auf den Straßen der Stadt
und der Vorstadt. Dinge stoßen ihm zu. Einmal beobachtet er eine
Drogenübergabe, so sieht es jedenfalls aus. Eine Gruppe junger Männer
stürmt an ihm vorbei, er läuft, weiß der Teufel warum, einer
spontanen Eingebung folgend, mit ihnen mit und bekommt es mit der
Staatssicherheit zu tun. Kamali ist, für uns, das beginnen wir irgendwann
zu begreifen, mehr als ein schweigender Mann in Trauer. Er ist auch unser
Mann in Teheran.
Seine Augen sind so groß wie die unseren und er bewegt sich durch diese
Welt, als wisse er nicht, wie ihm geschieht. Er ist ein wandelnder
Distanzierungseffekt und somit die komische Figur par excellence. Durch den
Tod seiner Frau ist die Bindung zur Lebenswelt zerstört, also fallen
Leben und Welt auseinander. Die Begegnung mit den Dingen des Alltags wird
zum komischen Kampf, nicht viel anders als für Monsieur Hulot. Und auch
der spricht ja nicht (viel).
Wie sieht die Welt nun aus, wie der Alltag in Teheran, die unser Mann uns
zeigt und vor Augen führt? Die Lotterie spielt eine wichtige Rolle,
das Fernsehen zeigt Nachrichten und Shows und Filme und Fußball. Die
Behörde macht es denen, die zu ihr kommen, nicht leicht. Kriminalität,
auch die Klage über die wachsende Kluft zwischen arm und reich, sind
gegenwärtig. Am Nationalfeiertag sieht man einen Prediger, Refaie erlaubt
sich den Scherz, ihn durch den Glasdurchbruch einer Tür zu filmen. So
wird er distanzierend gerahmt vom Holz der Tür. Was er sagt, ist nicht
zu hören. Wie hier, zeigt sich die Raffinesse des Films, der strikt
auf Einfachheit setzt, im Kleinen. Man könnte sagen: Der Trauer seiner
Figur wird er nicht gerecht. Er denunziert sie nicht, aber er nutzt sie um,
als verfremdende Beobachterperspektive. Kamali fällt aus der Welt und
schließt sie uns dadurch auf.
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