Ein Mann, einen Koffer in der Hand, betritt ein Hotel an einem
Strand. Das Wetter ist schlecht, die Bilder sind bleich. Der Mann klopft
an eine Tür in dem Hotel, keiner macht auf. Der Mann, den er sucht,
war da, ist aber verschwunden. Eine Zigarette in einem Aschenbecher zeugt,
scheint es, von diesem Verschwinden. Der Mann holt aus dem Koffer eine
Digitalkamera und macht ein Foto. Eine Frau taucht auf, der Mann holt aus
dem Koffer ein Bündel Geld, noch eines, noch eines. Die Frau verrät
ihm nicht, wohin der Verschwundene verschwunden ist. Eine Tür zu einem
Reisebüro, das der Verschwundene betreibt, es befindet sich, wie das
Hotel, am Strand. Der verschwundene Mann, sagt der Mann im Reisebüro,
ist in Peking. Oder in Vietnam.
Der Mann mit dem Koffer, die Frau, die auch nicht weiß, wo der
Verschwundene ist, warten gemeinsam, haben nur einander und ihre Suche an
diesem gottverlassenen Ort am Meer, er isst ekelhafte Würmer, sie nicht,
sie machen einen Ausflug auf eine Insel, geraten in eine Kirche, kehren
zurück. Eine weitere Frau kommt ins Spiel, aus einem anderen
Reisebüro. Der Mann mit dem Koffer macht Fotos, dann schickt er den
Koffer mit der Digitalkamera an seinen Auftraggeber. Das Geld packt er in
eine Tüte und verschwindet.
Ein anderer Mann, einen Koffer in der Hand, betritt dasselbe Hotel am selben
Strand. Das Wetter ist schlecht, die Bilder sind bleich. Der Mann klopft
an eine Tür in dem Hotel, keiner macht auf. Jetzt wird der Film, dessen
Rätsel und Irreführungen einem zuvor prätentiös und beliebig
vorkommen durften, interessant. Jetzt kommt es zu Wiederholungen und
Verschiebungen. Die eine Frau taucht wieder auf, die andere auch. Der Mann
mit dem Koffer (der andere Mann mit dem Koffer) macht mit der Frau einen
Ausflug auf dieselbe Insel. Gegenstände tauchen auf, in der Wiederholung,
die die Rätsel nicht löst, ihnen auch keine Tiefe gibt, bilden
sich Muster. Die Leere der Bilder, die Einfachheit des Arrangements, machen
nun Sinn als Hintergrund, der Kontrast gibt zu den Anordnungen und Verbindungen,
die auf dem Vordergrund der Narration sich langsam zu verfestige beginnen,
ohne je ganz auszuhärten. Wir können der Geschichte beim Bilden
von Mustern und Strukturen zusehen. Wir sehen, dass es nicht um
Verrätselung geht, um aufgeschobenen, einzulösenden Sinn, sondern
um die Herausbildung von Struktur. Der Film will keine psychologische
Erschließung des Verhaltens der Figuren, er will vielmehr vor allem
die Relation. Die Beziehung der einen zur andern erschließt sich nicht,
sondern wird eingetragen, als Muster, in eine Fläche von Wiederholungen
und Verschiebungen.
Das Presseheft verweist auf Antonioni, in dessen Filmen die Figuren an den
Rand des Kommunikablen kadriert werden: einander fremd, sprachlos fast, in
ein Bild gestellt, das existenziell lesbar ist. Diese existenzielle Lesbarkeit
(Unfähigkeit, sich auszusprechen, miteinander zu kommunizieren) evozieren
auch die Bilder von Wang Zhings Film. Sie verdichten sich jedoch nicht zu
Symbolen. Die Gegenstände, das Ruder eines Schiffs, die Meerwürmer,
die gegessen, die weißen Perlmutt-Stücke, die in einen Felsen
gesteckt werden, sie verschließen sich einer Lesbarkeit, die ein
Schlüssel wäre zur Bedeutung des Films. Sie gehen Beziehungen ein
zu anderen Elementen des Films: Der zweite Mann färbt ihre Spitzen rot,
rot wie das Blut, das mit der Schwangerschaft einer der Frauen assoziierbar
ist. Über die Assoziierbarkeit, die keine spezifische Lesart erzwingt,
öffnet sich "Before Born" dem Bedeuten, während er sich allem leicht
zu habendem Sinn verweigert. Er tut dies aber nicht wie eine Muschel, die
im Innern ihren Perlmutt-Schatz-verbirgt, er verteilt vielmehr die Zeichen
als Wiederholungen in Variation über seine Geschichte. Er gibt Struktur,
nicht Sinn. Er befriedigt eine Lust am Muster, nicht an tieferer Bedeutung.
Man kann das abstrakt nennen. Es ist aber eine Abstraktion, die nach genauestem
Blick verlangt, auf das, was sie zeigt, nach konzentrierter Aufmerksamkeit,
die nicht leer ausgeht bei offenem Ende.
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