Jump Cut
Berlinale 2006

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Rodrigo Moreno: El Custodio (Argentinien 2006)

Von Ekkehard Knörer

Mit einem Bildausschnitt beginnt der Film: Wir sehen, durch den Spalt einer Tür zwischen Schwarz und Schwarz auf der Leinwand, einen Mann, der sich wäscht. Er macht sich, das sehen wir weiter, bereit für den Einsatz. Er ist, wir sehen das weiter, Ausschnitt um Ausschnitt, der Leibwächter eines hochrgangigen Politikers. Wir erfahren, was wir erfahren, über den Mann der bewacht wie über den bewachten Mann, noch manches, aber immer nur, und immer nur sehr gezielt: im Ausschnitt.

Der Leibwächter hat eine Schwester, die hat eine Tochter und die kann nicht singen. Der Politiker hat eine Geliebte und eine Tochter, die einem Freund im Auto unter der Beobachtung des Leibwächters einen runterholt. Es lässt sich vermuten: Sie spielt mit ihm, mit seinem Blick, seinem Begehren, das sich für die Funktion, die er bekleidet, nicht gehört. Auch der Politiker selbst verfügt über den Mann, der ihn bewacht, nach Belieben. Mit dem trockenen Witz, den er – gelegentlich – besitzt, kommentiert der Film diese Rolle als Mädchen für alles in der Familie in einem sehr präzise gewählten Ausschnitts-Bild. Wir sehen durch eine Tür einen Teil der Küche und hören, wie die Frau des Politikers den Befehl gibt, ein Kleid zu bügeln. Es ist nicht klar, wen sie adressiert, man sieht nur sie, den Leibwächter und das Kleid, erst nach einigen Sekunden Verzögerung kommt ein Dienstmädchen ins Bild.

Man weiß nicht, worauf „El Custodio“ hinausläuft. Man weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt auf irgendetwas hinausläuft. Die Spannung, die der Job nun mal nahelegt, bleibt derart latent, dass sie nur ganz gelegentlich spürbar wird. Wenn etwa das Funkgerät piept und keiner geht ran. Die Ausschnitthaftigkeit des Films ist so radikal, dass er einem keine eindeutigen Hinweise gibt, wie der Mann, der sein Titelheld ist, all das versteht. (Es wird, ganz zuletzt, eine Antwort geben, die hinreichend deutlich ist.)

Mit einer Entschlossenheit, von der man nicht weiß, ob man sie noch atemberaubend finden soll oder nicht doch ziemlich enervierend, übt sich „El Custodio“ in Empathieverunmöglichung. Der Held dieses Films, der kaum spricht, der wenig tut, das ihn sympathisch macht, bleibt einem radikal fremd, Ausschnitt für Ausschnitt. Denn es ist keineswegs (eindeutig) seine Perspektive, die hier gewählt wird. Ja, wir wissen überhaupt nicht genau, von wo wir sehen, was wir hier sehen. Wir sehen den Ausschnitt, aber wir sehen und erfahren nicht, was uns vorenthalten bleibt. Wir folgen der Bewegung der Geschichte, aber wir wissen nicht, wohin sie sich bewegt. Wir sind, man muss es sagen, sehr allein gelassen von diesem Film, der doch Minute um Minute den Eindruck vermittelt, er wisse, was er tut. „El Custodio“ hat einen quasi-autistischen Helden. Er ist ein quasi-autistischer Film.

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