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Berlinale 2006

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Christoph Hochhäusler: Falscher Bekenner (D 2005)

Von Ekkehard Knörer

Erst ist nur ein Schatten zu erkennen im diffusen Dunkel der breiten Leinwand. Eine Straße bei Nacht, eine Kurve, eine Leitplanke und etwas, das sich bewegt. Dann werden die Umrisse einer Gestalt sichtbar, die sich nähert. Sie bleibt stehen, sie blickt auf etwas, das sich unserem Blick zunächst entzieht. Der Umschnitt zeigt: Ein Unfall ist passiert, ein Mann ist tot. Armin (Constantin von Jascheroff), der junge Mann, den wir gesehen haben, hat nichts damit zu tun, aber er wird einen anonymen Brief schreiben und behaupten, er habe das Unfallauto manipuliert.

Armin ist ein falscher Bekenner. Er tritt aus dem Dunkel ins Licht einer Geschichte, in der er Fremdkörper bleibt. Mit großer Subtilität richtet der Regisseur Christoph Hochhäusler das so ein. Armin hat soeben die Realschule beendet, es wäre jetzt an ihm, ein Erwachsener zu sein. Wie das geht, weiß er nicht. Und er will es nicht wissen. Er bewirbt sich und hat auf die Frage, warum er diesen Job will und nicht irgendeinen anderen, keine Antwort. Die Wahrheit ist: Er will diesen Job gar nicht, und eigentlich auch keinen anderen. Er ist keineswegs dumm, er hat keinen richtigen Grund zur Klage, die Eltern sind nicht verkehrt, auch die Brüder kümmern sich. Nur versteht keiner, was er hat.

Er selbst, so viel wird man sagen können, versteht es auch nicht. Nachts schleicht er auf eine Autobahntoilette, für schwulen Sex. Zugleich nähert er sich einem Mädchen, Katja, auch sie zeigt Interesse. Aber dann sitzen sie bei Kentucky Fried Chicken, sie fragt ihn, wie er sie so sieht und er sagt: Wenn ich mir einen runterhole, denke ich an dich. Selbst das, denkt man, ist womöglich ein falsches Bekenntnis.

Mit der Zielsicherheit dessen, der zu viele simple, verlogene Fernsehfilme gesehen und gehasst hat, vermeidet Hochhäusler jedes nahe liegende Klischee. Die Gründe für Armins Lebensgefühl nennt er nicht. Er zeigt stattdessen Symptome und Gefühlslagen, er untermischt kühn die Alltagsmomente mit der Realität oder Fantasie kaum klar zuordenbaren Szenen. Der Film entgeht so allen Eindeutigkeiten. Nicht gewollt, sondern gekonnt.

Phänomenal ist der Einsatz der Musik, die Seelenlagen präzisiert, die sich nicht nur in Worten, sondern noch durch reine Wortlosigkeit kaum vermitteln ließen. Die Darsteller, Constantin von Jascheroff allen voran, treffen einen Ton, den man so überzeugend sehr selten hört im deutschen Kino. Aus seinen brillant getimeten Auslassungen gewinnt der Film verstörende Kraft. Und vor allem ist Hochhäusler in seinem zweiten Werk – nach dem insbesondere in Frankreich gefeierten, aber etwas überambitionierten "Milchwald" (2003) – zu einem wahren Meister der Mise-en-Scène gereift. Wie er in einer Plansequenz die um den Tisch versammelte Familie mit Freunden von links nach rechts und zurück ins Bild setzt, das ist phänomenal. Übrigens auch komisch, wie auch in den absurden (aber nur zu wahren) Bewerbungs- und mehr noch den Bewerbungsübungs-Gesprächen.

"Falscher Bekenner" ist im letzten Jahr in der prestigeträchtigen Reihe "Un Certain Regard" in Cannes gelaufen. Jetzt war er in der Nebenreihe "German Cinema" auf der Berlinale zu sehen. Er ist nach Frankreich, sogar in die USA verkauft. Der Film ist in kürzester Zeit, mit minimalem Budget gedreht. Die Redaktion von "Das kleine Fernsehspiel" hat, wie Hochhäusler hinterher erzählt, die Finanzierung abgelehnt. Unter den hierzulande herrschenden Filmförderzuständen ist eine Absage des Fernsehens eigentlich das Todesurteil für ein Werk dieses Formats. Hochhäusler hat aber einen Bank-Kredit aufgenommen, viele der Beteiligten haben umsonst gearbeitet. Herausgekommen ist ein erstaunlicher Film. Er ist so brillant inszeniert, dass man ihn unbedingt auf der großen Leinwand sehen sollte. Zum Glück besteht Gelegenheit: Er läuft ab April bei uns im einen oder anderen Kino.

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