Erst ist nur ein Schatten zu erkennen im diffusen Dunkel der
breiten Leinwand. Eine Straße bei Nacht, eine Kurve, eine Leitplanke
und etwas, das sich bewegt. Dann werden die Umrisse einer Gestalt sichtbar,
die sich nähert. Sie bleibt stehen, sie blickt auf etwas, das sich unserem
Blick zunächst entzieht. Der Umschnitt zeigt: Ein Unfall ist passiert,
ein Mann ist tot. Armin (Constantin von Jascheroff), der junge Mann, den
wir gesehen haben, hat nichts damit zu tun, aber er wird einen anonymen Brief
schreiben und behaupten, er habe das Unfallauto manipuliert.
Armin ist ein falscher Bekenner. Er tritt aus dem Dunkel ins Licht einer
Geschichte, in der er Fremdkörper bleibt. Mit großer Subtilität
richtet der Regisseur Christoph Hochhäusler das so ein. Armin hat soeben
die Realschule beendet, es wäre jetzt an ihm, ein Erwachsener zu sein.
Wie das geht, weiß er nicht. Und er will es nicht wissen. Er bewirbt
sich und hat auf die Frage, warum er diesen Job will und nicht irgendeinen
anderen, keine Antwort. Die Wahrheit ist: Er will diesen Job gar nicht, und
eigentlich auch keinen anderen. Er ist keineswegs dumm, er hat keinen richtigen
Grund zur Klage, die Eltern sind nicht verkehrt, auch die Brüder
kümmern sich. Nur versteht keiner, was er hat.
Er selbst, so viel wird man sagen können, versteht es auch nicht. Nachts
schleicht er auf eine Autobahntoilette, für schwulen Sex. Zugleich
nähert er sich einem Mädchen, Katja, auch sie zeigt Interesse.
Aber dann sitzen sie bei Kentucky Fried Chicken, sie fragt ihn, wie er sie
so sieht und er sagt: Wenn ich mir einen runterhole, denke ich an dich. Selbst
das, denkt man, ist womöglich ein falsches Bekenntnis.
Mit der Zielsicherheit dessen, der zu viele simple, verlogene Fernsehfilme
gesehen und gehasst hat, vermeidet Hochhäusler jedes nahe liegende Klischee.
Die Gründe für Armins Lebensgefühl nennt er nicht. Er zeigt
stattdessen Symptome und Gefühlslagen, er untermischt kühn die
Alltagsmomente mit der Realität oder Fantasie kaum klar zuordenbaren
Szenen. Der Film entgeht so allen Eindeutigkeiten. Nicht gewollt, sondern
gekonnt.
Phänomenal ist der Einsatz der Musik, die Seelenlagen präzisiert,
die sich nicht nur in Worten, sondern noch durch reine Wortlosigkeit kaum
vermitteln ließen. Die Darsteller, Constantin von Jascheroff allen
voran, treffen einen Ton, den man so überzeugend sehr selten hört
im deutschen Kino. Aus seinen brillant getimeten Auslassungen gewinnt der
Film verstörende Kraft. Und vor allem ist Hochhäusler in seinem
zweiten Werk nach dem insbesondere in Frankreich gefeierten, aber
etwas überambitionierten "Milchwald" (2003) zu einem wahren Meister
der Mise-en-Scène gereift. Wie er in einer Plansequenz die um den
Tisch versammelte Familie mit Freunden von links nach rechts und zurück
ins Bild setzt, das ist phänomenal. Übrigens auch komisch, wie
auch in den absurden (aber nur zu wahren) Bewerbungs- und mehr noch den
Bewerbungsübungs-Gesprächen.
"Falscher Bekenner" ist im letzten Jahr in der prestigeträchtigen Reihe
"Un Certain Regard" in Cannes gelaufen. Jetzt war er in der Nebenreihe "German
Cinema" auf der Berlinale zu sehen. Er ist nach Frankreich, sogar in die
USA verkauft. Der Film ist in kürzester Zeit, mit minimalem Budget gedreht.
Die Redaktion von "Das kleine Fernsehspiel" hat, wie Hochhäusler hinterher
erzählt, die Finanzierung abgelehnt. Unter den hierzulande herrschenden
Filmförderzuständen ist eine Absage des Fernsehens eigentlich das
Todesurteil für ein Werk dieses Formats. Hochhäusler hat aber einen
Bank-Kredit aufgenommen, viele der Beteiligten haben umsonst gearbeitet.
Herausgekommen ist ein erstaunlicher Film. Er ist so brillant inszeniert,
dass man ihn unbedingt auf der großen Leinwand sehen sollte. Zum
Glück besteht Gelegenheit: Er läuft ab April bei uns im einen oder
anderen Kino.
zur Jump Cut Startseite |