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Berlinale 2006

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Claude Chabrol: L'Ivresse du pouvoir (F 2006)

Von Ekkehard Knörer

Man nennt sie Piranha, sagt einer, ein Schnitt und im nächsten Bild sehen wir ein Aquarium mit Zierfischen. Davor sitzt die Untersuchungsrichterin Jeanne Charmant-Killman (Isabelle Huppert), soeben als Piranha tituliert. Sehr zu recht, das wird sich zeigen. Aber Moment, werden Sie fragen, dieser Name, Charmant-Killman, meint Chabrol das denn Ernst?

Ja. Nein. Wie man es nimmt. Es gibt noch den Anwalt Parlebas und den CEO Sibaud. Ernst im Sinne von strikt literal meint Chabrol das gewiss nicht; das Schauspiel, die Szene, wird vielmehr punktiert durch den in sie auf diese Weise - und oft durch die Musik - eingelassenen Kommentar. Über politthrillerhafte Mimesis ans Wirkliche ist Chabrol ebenso erhaben wie über Genre-Klischees. Er kommt den Tatsachen stattdessen mit Ironie. Das alles beruht sehr wohl auf tatsächlichen Begebenheiten. Und darum, sagt eine Schrifttafel ganz zu Beginn, sei jede Ähnlichkeit dazu, "wie man so sagt", reiner Zufall. Dann zeigt der Vorspann, während die Namen diverser Chabrols in unterschiedlichen Funktionen eingeblendet werden, einen Boss, der verhaftet wird und ins Gefängnis gebracht. Er muss sich dort ausziehen, er lässt die Hosen runter. Schwarzblende. Dann der letzte Schriftzug des Vorspanns: Regie Claude Chabrol.

Für keinen bösen Scherz ist er sich zu schade, auch an Sarkasmus mangelt es nicht. Aber mit dem in der Sache blutigen Ernst und den scharfen Zähnen, die Piranhas eigen sind, fräst Chabrol sich durch diese Geschichte. Vielmehr lässt er seine Heldin sich fräsen, die mit knallhartem Charme keine Gnade kennt. Und zwar mit den Männern. Eine bitterböse Abrechnung nämlich ist "L'Ivresse du pouvoir" vor allem mit den Old Boys und Granden, mit den männlichen Bossen in Wirtschaft und Politik. Auch mit dem Schwächling zu Hause, der es, aus bester Familie, nicht erträgt, im Schatten seiner Frau zu stehen. (Es ist wirklich keineswegs so, dass hier das Klischee von den privaten Opfern der in der Öffentlichkeit erfolgreichen Frau bedient würde. Ihr Mann ist ein Schwächling, nichts weiter. Er wird durch seinen Neffen, der auch Chorfunktion hat, einfach ersetzt.)

In der Darstellung der allgemein korrupten Verhältnisse geht es Chabrol nicht um naturalistische Genauigkeit im Detail. Vielmehr inszeniert er durchweg analytisch. Seziert das Verhalten jener, die im Innern von Geld und Macht zwischen Recht und Unrecht nicht mehr unterscheiden. Szene für Szene kommt Eingemachtes frisch auf den Tisch. So ist "L'Ivresse du pouvoir" ein Genrefilm ohne die mindeste Konzession an die Konvention. Der Ironie der sprechenden Namen korrespondiert eine Übergenauigkeit im Arrangement von Räumen, Gegenständen, Figuren.

Die Mise-en-scène nimmt sich sehr zurück - und es ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit. Vielmehr ist die Regie in einer jeden Szene auf unheimliche Weise von beinahe totaler Präsenz, geht ein in die Gesten, die Worte, die Betonung von Silben, den Lichtfall, die Berührung der Körper. Der Rhythmus des Films, das Timing der Schnitte, der Geist der Montagen zeugen vom Können eines alten Meisters auf der Höhe seiner Kunst.

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