Jahrzehntelang haben die Cinephilen des Westens, ohnehin im
wesentlichen auf Europa und Hollywood fixiert, aus Japan vor allem das
Dreigestirn der Meister Ozu-Kurosawa-Mizoguchi gekannt. Gelegentlich auf
Festivals auftauchende Filme anderer Regisseure, etwa die der 'Art Theatre
Guild' also der japanischen 'Nouvelle Vague' fanden, mit der
zentralen Ausnahme Nagisa Oshimas, wenig Beachtung. In mehreren Retrospektiven
der letzten Jahre ist immer deutlicher geworden, dass das im Vergleich der
Filmkulturen ungefähr so ist, als kennte man zwar Ford und Lang und
Hitchcock und Coppola, aber Robert Aldrich nicht und auch nicht Don Siegel
oder Robert Wise. (Von Phänomenen wie Russ Meyer zu schweigen, dem in
gewisser selbstverständlich kaum vergleichbarer - Weise die 'pinku
eiga' korrespondieren, die japanischen Softpornos von gelegentlich herausragender
Qualität.)
Weithin unbekannt geblieben sind Regisseure, die zwar in Genres arbeiteten,
das aber in oft eigenständiger Weise. Hiroshi Shimizu, dem vor drei
Jahren eine kleine Werkschau zum großen Oeuvre gewidmet war, von dem
freilich weite Teile für immer verloren sind, scheint ein Mann vom Kaliber
des viel bekannteren Dreigestirns. Für Tomu Uchida, dessen "The Mad
Fox" im letzten Jahr für Aufsehen sorgte, gilt das wohl so wenig wie
nun für Nobuo Nakagawa. Beide haben sie eine Unzahl von Filmen gedreht,
auf kein Genre festgelegt, flexible Auftragsarbeiter, die aber in ihren besten
Filmen den Erwartungen, auf die sie stießen, mit einer deutlich ins
Gebiet des Künstlerischen, ja Avantgardistischen reichenden Auffassung
ihres Handwerks begegneten.
Nicht weniger als 97 Filme finden sich in Nobuo Nakagawas (1905-1984)
fünfzig Jahre umspannender Filmografie, vieles davon, vor allem in den
sechziger Jahren, wie am Fließband produziert, mit einer Handvoll Filme
im Jahr. Das meiste, darf man mutmaßen, ist von nur mehr historischem
Interesse. Acht Filme wurden für die Werkschau des Forums ausgewählt,
zu sehen sind sie in der nach dem Ausfall des letzten Jahrs reaktivierten
Mitternachts-Schiene des Programms.
Der chronologisch erste der gezeigten Filme, "Lynch" (1949), zerfällt
in zwei Teile, zwischen denen fast zwanzig Jahre liegen. Handelt es sich
im ersten Teil um eine Art Film Noir im Yakuza-Milieu, so kippt die Geschichte
nach dem Bruch in gelegentlich fast neorealistische Beschreibung des
Nachkriegsjapan. Unversehens wird "Lynch" so zum Porträt eines radikalen
Umbruchs, von dem sogar das eigene Erzählen infiziert scheint. Was am
meisten verblüfft, sind nämlich weniger die Elemente der Handlung,
die man zu sehen bekommt, als ihre Auslassungen. Der Plot wird immerzu in
Einzelteile und aus dem Strom der Erzählung jäh herausschnellende
Fragmente zerlegt. Eine lange Kamerafahrt, die in ein Haus dringt wie in
einen transparenten Körper, durch ihn hindurch und wieder zurück
(etwas ganz Ähnliches gibt es übrigens in Shimizus "Mr. Shosuke
San" aus demselben Jahr). Eine lebensgefährliche Autofahrt einen Berg
hinunter. Eine Flucht durch dunkle Straßen, über schwankende
Brücken, in atemberaubendem Tempo montiert.
Der Kriminalplot dreht sich um eine geraubte Statue, Erpressung des Helden
Seikichi durch die Mafia, einen Mord und eine lange Haftstrafe. Mittendrin
aber kommt es zum zunächst wenig markierten Zeitsprung ins
zeitgenössische Nachkriegsjapan. Eine strahlend schöne junge Frau
singt zur Musik ihrer Band in den Straßen von Tokio. Die Kamera verliebt
sich, Großaufnahme um Großaufnahme, in ihr Gesicht. Ein junger
Mann, der als Schuster arbeitet, tut es und der Zuschauer auch
der Kamera nach. Ihre Vergangenheiten, der Konflikt der Väter, stehen
im Wege, aber von seinem Plot lässt sich der Film nicht allzu sehr
beeindrucken. Er will vor allem Tempo und Sprünge und Atmosphäre
und das Gesicht der jungen Frau.
Als die beiden Meisterwerke Nakagawas gelten "Ghost Story of Yotsuya" (1959)
und "Jigoku" (1960). Sie sind ganz anderer Art und Machart als der schnelle,
schwarz-weiße, zu nicht geringen außerhalb des Studios gedrehte
"Lynch". Was heute als J-Horror Schule macht, hat hier seine Wurzeln
freilich ist in den Farb- und Bildkompositionen wie im Schauspielstil bei
Nakagawa und seiner Generation (etwa auch in Uchidas "Mad Fox") der
mächtige Einfluss des streng stilisierten japanischen Kabuki- und
No-Theaters noch unübersehbar.
Schon die erste Szene in "Ghost Story of Yotsuya", die mit einem Mord endet,
der eine Menge Blut und dann den Horror der Geister nach sich ziehen wird,
ist atemberaubend artifiziell. Wie auf einer Bühne inszeniert Nakagawa
den Kampf zwischen dem herrenlosen Samurai Iemon und dem Mann, dessen Tochter
er heiraten will. Der weigert sich, Iemon tötet ihn und gehorcht fortan
den Einflüsterungen einer finsteren Jago-Figur. Er lässt sich treiben
zu Mord und Mord. In sorgfältig komponierten Bildern und effektbewusster
Farbdramaturgie zwischen blutrot und verwesungsgrün treten dann die
Geister auf und spuken als entstellte Körper durch Iemons Geist und
durch die Einstellungen des Films. Genauer gesagt ragen sie und fallen sie
aus Ecken und Winkeln des Bildes, sie tauchen aus Sümpfen und verfolgen
den Helden, der seines Lebens nicht mehr froh wird, überallhin.
In "Jigoku" findet sich, nach gelegentlich etwas mühsam grotesker Exposition
in der ersten Hälfte, der Held Shiro (Amachi Shigeru) in einer Hölle
wieder, deren Darstellung angemessen surreal ist. Das ist von Dante nicht
weit entfernt, exquisit sind die Martern der Verdammten, delirant ist der
satte Farbauftrag. Es geht hier, anders als im neueren japanischen Horrorfilm,
nicht so sehr um Effekte der Latenz, aus der der Grusel kommt, sondern eher
um eine stete Präsenz, ja um Darstellung des Schreckens. Das macht Staunen
eher als Fürchten. Die Nakagawa-Werkschau ist dennoch ein Gewinn für
jeden, der auszieht, das japanische Kino kennenzulernen.
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