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Berlinale 2006

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Jafar Panahi: Offside (Iran 2006)

Von Ekkehard Knörer

Die ewigen Weiheiten des Fußballs: Der Ball ist rund. Das Spiel dauert neunzig Minuten. Frauen dürfen nicht ins Stadion.

Letzteres jedenfalls gilt im Iran. Das Irritierende ist: Es gibt da nicht eigentlich ein Gesetz, es gibt nur die wohlmeinenden Männer, die finden, dass ihr Verhalten im Stadion Frauen einfach nicht zuzumuten ist. Es steht auch nicht wirklich fest, wie mit Frauen, die es dennoch versuchen, genau umzugehen ist. Also schickt Jafar Panahi in „Offside“ ein paar Frauen, als Männer verkleidet, ins Stadion zum WM-Qualifikationsspiel gegen Bahrain. Er macht also einfach die Probe aufs patriarchale Exempel und führt vor, wie Spielräume im totalitären Regime aussehen könnten.

Natürlich ist „Offside“ Fiktion. Als solche hält der Film sich jedoch, wo er kann, ans Reale. Die Aufnahmen, die man sieht, stammen vom tatsächlichen Spiel, der Jubel auf den Straßen am Ende ist echt. Die Darstellerinnen der weiblichen Fans sind ebenso Laien wie die der Soldaten, in deren Obhut sie, nachdem man sie geschnappt hat, während des Spiels genommen werden. Der Ort dieser Obhut ist nun weder draußen noch drinnen. Abgezirkelt ist ein Geviert an der Außenmauer des Stadions. Der Lärm von drinne dringt direkt nach draußen, ein paar Schritte weiter ist ein Gitter, das den Blick aufs Spielfeld erlaubt. Einer der Soldaten kommentiert, von den Frauen angefeuert, stellenweise live.

In ihrem Geviert vor der Mauer sind die Frauen die Geiseln der Soldaten, doch das heißt nicht, die Verhältnisse wären von vorneherein klar. „Abseits“ ist, in Jafar Panahis Film, wenn die Frauen sich keineswegs damit abfinden, nicht zugelassen zu sein. Sie revoltieren, sie diskutieren, sie kaspern und fiebern, sie fügen sich nicht in die ihnen zugedachte Rolle als ertappte Übertreterinnen geltender Gesetze. Hier misst der Film die Spielräume in den Geschlechterverhältnissen einer zerrissenen Gesellschaft mit spielerischer Präzision aus. Eine der Frauen schimpft wie ein Rohrspatz und verwendet justament jene Sprache, die Männern vorbehalten ist, vor der die Frauen jedoch, wie vor sich selbst, zu schützen sind. Dass die Wächter selbst Wehrpflichtige sind, zum Dienst am Vaterland eher Gezwungene als sich Drängende also, macht die Grenzen, die sie im Namen einer diffusen, und durch ihre Diffusität auch verhandelbaren Rechtmäßigkeit wegen zu ziehen haben, nur unklarer.

„Offside“ ist ein Film von größtmöglicher Einfachheit. Alles daran übt eine weit reichende Mimikry ans Dokumentarische. Kein Stilwille, keine Absicht zur Sichtbarkeit einer Form drängen sich zwischen die semidokumentarische Wirklichkeit und ihre nach Möglichkeit unmittelbare Abbildung. Man hat Panahis Arbeiten, mit einigem Recht, neorealistisch genannt – und gewiss verträgt das, was er will, weder dramaturgische Zuspitzungen noch allegorische Aufladung. Über die simple Offensichtlichkeit des Titels hinaus, der die Rolle der Frauen in einer von Männern dominierten Gesellschaft beschreibt, geht es hier sehr ums Konkrete. Es ist gut und auch schön, dass die Figuren des Films weit reichende Konflikte aushandeln, ohne jede für sich für etwas anderes zu stehen als eben nur für sich selbst.

Und doch war ich von Jafar Panahis Film etwas enttäuscht. Es fehlt, was Abbas Kiarostamis keineswegs unähnlich angelegtes Kino so meisterlich macht, die Spur, die oft leise Spur, der Reflexion der eigenen Darstellungsverfahren im Film. Der dokumentarische Neorealismus in „Offside“ gibt sich naiv – und sucht für diese Naivität kein Widerlager in, zum Beispiel, Formen der Selbstbeschränkung. Abbas Kiarostami hat dies in „Ten“ mit ganz einfachen Mitteln erreicht, durch die starre Kamera, die das Innere eines Taxis nie verlässt, durch die minimalistische Experimentalsituation. In „Offside“ jedoch gewinnt das Geviert im Abseits, nicht drinnen, nicht draußen, in den flinken Blickwechseln der Kamera, im naturalistischen Spiel der Laien-Darstellerinnen, in den manchmal etwas schwerfälligen Dialogen nie die Kraft, den dargestellten Konflikten eine Bedeutung zu geben, die in anderer als beliebiger Weise über das, was man sieht, hinaus wiese.

Auch das Ende bleibt Geschmackssache. Nach dem Sieg der Mannschaft und der Qualifikation für die WM hierzulande versucht sich Panahis Film in feierndem Überschwang, der eine alle einschließende, aber doch eine geschlossene Nation als Gemeinschaft erträumt. Dazu hört man über den Abspann gelegt ein Lied, nicht die Nationalhymne zwar, aber ein tradierter – den Iran beschwörender - Gesang auf den Widerstand der Nation gegen westliche Bedrückun. Ein Ausschnitt, ein besonderer Moment, mehr nicht, keine Frage. Und doch stimmt der Film allzu umstandslos in diesen Jubel mit ein.

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