Die ewigen Weiheiten des Fußballs: Der Ball ist rund.
Das Spiel dauert neunzig Minuten. Frauen dürfen nicht ins Stadion.
Letzteres jedenfalls gilt im Iran. Das Irritierende ist: Es gibt da nicht
eigentlich ein Gesetz, es gibt nur die wohlmeinenden Männer, die finden,
dass ihr Verhalten im Stadion Frauen einfach nicht zuzumuten ist. Es steht
auch nicht wirklich fest, wie mit Frauen, die es dennoch versuchen, genau
umzugehen ist. Also schickt Jafar Panahi in Offside ein paar
Frauen, als Männer verkleidet, ins Stadion zum WM-Qualifikationsspiel
gegen Bahrain. Er macht also einfach die Probe aufs patriarchale Exempel
und führt vor, wie Spielräume im totalitären Regime aussehen
könnten.
Natürlich ist Offside Fiktion. Als solche hält der
Film sich jedoch, wo er kann, ans Reale. Die Aufnahmen, die man sieht, stammen
vom tatsächlichen Spiel, der Jubel auf den Straßen am Ende ist
echt. Die Darstellerinnen der weiblichen Fans sind ebenso Laien wie die der
Soldaten, in deren Obhut sie, nachdem man sie geschnappt hat, während
des Spiels genommen werden. Der Ort dieser Obhut ist nun weder draußen
noch drinnen. Abgezirkelt ist ein Geviert an der Außenmauer des Stadions.
Der Lärm von drinne dringt direkt nach draußen, ein paar Schritte
weiter ist ein Gitter, das den Blick aufs Spielfeld erlaubt. Einer der Soldaten
kommentiert, von den Frauen angefeuert, stellenweise live.
In ihrem Geviert vor der Mauer sind die Frauen die Geiseln der Soldaten,
doch das heißt nicht, die Verhältnisse wären von vorneherein
klar. Abseits ist, in Jafar Panahis Film, wenn die Frauen sich
keineswegs damit abfinden, nicht zugelassen zu sein. Sie revoltieren, sie
diskutieren, sie kaspern und fiebern, sie fügen sich nicht in die ihnen
zugedachte Rolle als ertappte Übertreterinnen geltender Gesetze. Hier
misst der Film die Spielräume in den Geschlechterverhältnissen
einer zerrissenen Gesellschaft mit spielerischer Präzision aus. Eine
der Frauen schimpft wie ein Rohrspatz und verwendet justament jene Sprache,
die Männern vorbehalten ist, vor der die Frauen jedoch, wie vor sich
selbst, zu schützen sind. Dass die Wächter selbst Wehrpflichtige
sind, zum Dienst am Vaterland eher Gezwungene als sich Drängende also,
macht die Grenzen, die sie im Namen einer diffusen, und durch ihre
Diffusität auch verhandelbaren Rechtmäßigkeit wegen zu ziehen
haben, nur unklarer.
Offside ist ein Film von größtmöglicher Einfachheit.
Alles daran übt eine weit reichende Mimikry ans Dokumentarische. Kein
Stilwille, keine Absicht zur Sichtbarkeit einer Form drängen sich zwischen
die semidokumentarische Wirklichkeit und ihre nach Möglichkeit unmittelbare
Abbildung. Man hat Panahis Arbeiten, mit einigem Recht, neorealistisch genannt
und gewiss verträgt das, was er will, weder dramaturgische
Zuspitzungen noch allegorische Aufladung. Über die simple Offensichtlichkeit
des Titels hinaus, der die Rolle der Frauen in einer von Männern dominierten
Gesellschaft beschreibt, geht es hier sehr ums Konkrete. Es ist gut und auch
schön, dass die Figuren des Films weit reichende Konflikte aushandeln,
ohne jede für sich für etwas anderes zu stehen als eben nur für
sich selbst.
Und doch war ich von Jafar Panahis Film etwas enttäuscht. Es fehlt,
was Abbas Kiarostamis keineswegs unähnlich angelegtes Kino so meisterlich
macht, die Spur, die oft leise Spur, der Reflexion der eigenen
Darstellungsverfahren im Film. Der dokumentarische Neorealismus in
Offside gibt sich naiv und sucht für diese Naivität
kein Widerlager in, zum Beispiel, Formen der Selbstbeschränkung. Abbas
Kiarostami hat dies in Ten mit ganz einfachen Mitteln erreicht,
durch die starre Kamera, die das Innere eines Taxis nie verlässt, durch
die minimalistische Experimentalsituation. In Offside jedoch
gewinnt das Geviert im Abseits, nicht drinnen, nicht draußen, in den
flinken Blickwechseln der Kamera, im naturalistischen Spiel der
Laien-Darstellerinnen, in den manchmal etwas schwerfälligen Dialogen
nie die Kraft, den dargestellten Konflikten eine Bedeutung zu geben, die
in anderer als beliebiger Weise über das, was man sieht, hinaus wiese.
Auch das Ende bleibt Geschmackssache. Nach dem Sieg der Mannschaft und der
Qualifikation für die WM hierzulande versucht sich Panahis Film in feierndem
Überschwang, der eine alle einschließende, aber doch eine geschlossene
Nation als Gemeinschaft erträumt. Dazu hört man über den Abspann
gelegt ein Lied, nicht die Nationalhymne zwar, aber ein tradierter
den Iran beschwörender - Gesang auf den Widerstand der Nation gegen
westliche Bedrückun. Ein Ausschnitt, ein besonderer Moment, mehr nicht,
keine Frage. Und doch stimmt der Film allzu umstandslos in diesen Jubel mit
ein.
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