Wir werden hineingeworfen in diesen Film, mitten in die ausufernde
Fantasieproduktion seines Helden, der gerade ankommt. Michel Gondry ist
übermütig genug, erst einmal nichts zu erklären, sondern seinen
Film mit uns Sachen machen zu lassen, auf die der Reim sich erst später
einstellt, wenn überhaupt. Die Überrumpelung beim Überschreiten
der Grenze ist sein Prinzip. Die Grenze, um die es geht, ist die zwischen
Realität und Traum, zwischen Tagtraum und Brotjob. Stephane taumelt
hin und her, erfindet im Traum ein wahres Leben, das im richtigen Leben das
falsche ist, aber nicht ganz. Denn er trifft auf Stephanie, seine Nachbarin
hinter der Tür gegenüber. Erst rollt und purzelt das Klavier die
Treppe hinunter, dann irgendwann versteht man, dass dadurch zwei fürs
Leben Verstimmte einander finden.
"Science of Sleep" entscheidet sich nicht: für die reine Komödie,
fürs reine Drama. Er hält, polternd, purzelnd, jäh hin und
her schwingend eine eigenartige Form von Balance in steter Bewegung. Die
Traumwelten sehen aus wie eines der wunderbaren Musikvideos von Michel Gondry.
Alles selber gebastelt, aus Filz und Stoff und Pappe. Die Welt wird neu erfunden,
als modellierbar. Weder Räume noch Dinge haben die Stabilität,
die wir von ihnen zu erwarten gewohnt sind.
Manches erinnert zunächst an den Künstler Thomas Demand, der für
seine Fotos Alltagsszenarien, Zimmer, Büros und so weiter aus Pappe
nachbaut. Im Foto sehen sie hinterher täuschend echt aus. Gondry will
von seinen Pappwelten nachgerade das Gegenteil: den Do-it-yourself-Aspekt,
das Gebastelte und Verhaspelte. Mitunter gefällt sich ein Einfall zu
lange in der eigenen Bizarrerie, dann aber geht es, hektisch und verliebt
in die Miniatur, ins Spiel um des Spiels willen, weiter. Natürlich denkt
man an Gondrys letzten Film, das Charlie-Kaufman-Vehikel "Eternal Sunshine
of the Spotless Mind", aber "Science of Sleep" fühlt sich fundamental
anders an; als hätte man aus dem Vorgängerfilm sämtliches
dramaturgische Gestänge herausgenommen. Der neue Film ist ein Weichtier,
ein flinker, sprunghafter, zu allem bereiter Mollusk aus Pappmache und Filz.
Auch ein Gegenentwurf. Die Story kommt, so viel steht fest, kaum vom Fleck.
Als wär's ein Traum, in dem man rennt und rennt und doch geht's fast
nicht voran. Die pathologischen Aspekte der Tagträumerei leugnet der
Film, je länger er dauert, keineswegs. Er schlägt sich trotzdem
nicht auf die Seite eines objektiven Außenblicks. Er ist der Lust am
Fallen aus dem Realen selbst zu sehr verhaftet, eine wunderbare kleine
Traummanufaktur.
Großartig ist das Spiel der beiden Hauptdarsteller, Gabriel Garcia
Bernal und Charlotte Gainsbourg. Er ist ganz Überschwang und rasende
Betriebsamkeit, einer, der dilettantisch, aber doch mit Bravado, ein paar
Bälle zu viel auf einmal jongliert. Linkisch dann auch, verloren zwischen
den Welten, gegen Türen rennend, die geschlossen sind und geschlossen
bleiben. Gainsbourg als sein Widerpart Stephanie verkörpert mit sehr
viel mehr Ruhe eine Art Korrektiv, wenngleich keineswegs das
Realitätsprinzip per se. Sie sind zuletzt, im Leben als Traum, im Traum
als Leben, füreinander geschaffen. Da bringt die Zeitmaschine, die Stephane
erfunden hat, schon die Wahrheit ans Licht. (Wollen wir wenigstens hoffen.)
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