Die Filme Sabus, die ich kenne, leben von ihrer Struktur. Der
Zufall spielt entscheidende Rollen als etwas, das Sabus Drehbuch seinen Figuren
antut, die an Punkten zusammentreffen, an denen sich ihr Leben arrangiert.
"Shisso" ist, das zeigt sich bald, anders. Zwar wird eine scheinbar klare
Differenz eingeführt schon im ersten Dialog: Es gibt das Küstenland
und das Land vor der Küste, das einst Ozean war und nun gefüllt
ist. Die Leute von der Küste verachten die vom Land vor der Küste.
Diese Differenz jedoch hat nicht die Kraft, den ganzen Film zu strukturieren,
der auf ein komplexes - jedenfalls kompliziertes - Geflecht von Motiven setzt.
Sein Held, Shuji, ist entsprechend einer, der, voller Neugier, die Differenz
von Anfang an quert; als einer vom Festland kehrt er immer wieder in den
über eine lange Straße zu erreichenden Landstrich davor zurück.
Und der Film selbst scheint im Verzicht auf festen Boden unter den
Füßen sehr bewusst eher auf Wasser als Festland gebaut.
Von Shuji erzählt dieser Film, seinem Schicksal, von seiner Neugier
auf ein Leben außerhalb der recht engen, von Institutionen der Erziehung
vorgesehenen Grenzen. Die Shule wird präsentiert als Ort der Zurichtung
durch Lehrer und Mitschüler, die Familie als Brennpunkt der Traumatisierung
fürs Leben. Darum geht es um Träume von der Möglichkeit einer
Gegenwelt, die aber nicht ohne Gefährdungen eigener Art zu haben ist.
So trifft Shuji auf eine andere Außenseiterin, eine Verletzte auch
sie, Nanba Eri, deren Eltern Selbstmord begangen haben. Sie geht in die Kirche
zu dem Priester, dessen Bruder zum Mörder wurde nicht ohne des Priesters
Schuld.
"Shisso" verhält sich narrativ seltsam. Es beginnt mir der
merkwürdigen Perspektive der Voiceover-Stimme, die den Helden, Shuji,
mit einem Du anspricht: Dies Shuji, ist deine Geschichte. Wer spricht, wird
ganz klar erst am Ende, das es mit dem Helden genommen haben wird. Was diese
Erzählung strukturiert, sind vor allem Motive. Schuld und Tod, Feuer
und Wasser, Blut und Verbrechen, das Rennen und das Humpeln. Aber es geht
auch um ein Leben im Außenbereich der Gesellschaft, die Solidarität
der Außenseiter, mit der es nicht immer weit her ist. Es kommt zu Ellipsen
und Sprüngen nach ganzen, nicht so kurzen Weilen flach dahinerzählter
Lebenswirklichkeit. In seinen Motiv-Verdopplungen und narrativen Abwegen
erscheint manches eher kompliziert als komplex. Am Ende schließt sich
ein Kreis, aber Sabus Lust an Punkten großer Verdichtung, von denen
der Plot ausgeht, zu denen der Plot zurückkehrt, um dazwischen episodische
Wegstrecke zu sein, ist diesmal nicht ausgeprägt.
Es ist ihm diesmal auch nicht um Komik zu tun. Der Sabu eigene Lakonismus
steht in"Shisso" im Dienst einer durch Wiederholungen, nicht durch schlichte
Erklärung, von einem Ereignis zum nächsten treibenden
Überstürzungsdramaturgie. Es gibt Verlagerungen, Abbrüche,
ein verstörendes Verhältnis von Erklärtem und Unerklärtem,
von Ausgebreitetem und nachholendem Vollzug von Geschehenem. In nichts, was
geschieht, wird grundsätzlich die Einsicht verweigert, oft jedoch kommt
sie zu früh oder zu spät. Es ist weniger die Logik des Traums,
die hier herrscht, als die erzählerischer Willkür. Zu heftig scheinen
die Eingriffe eines unsichtbaren Erzählers. Seine Verkörperung
ist nur die Stimme, die spricht, die das Schicksal als vollendetes
präsentiert. Ein solches Erzählen ruft Widerstände hervor.
"Shisso" aber scheint sich auch als Arbeit an und mit diesen Widerständen
zu verstehen, ja, es kann einem vorkommen, als suche er in seiner
Sprunghaftigkeit auf zu erwartende Vorwürfe schon zu reagieren, indem
er neu ansetzt, zurückkommt auf angespielte Motive und gelegentlich
auch in die Irre führt. "Shisso" ist von den Filmen Sabus, die ich kenne,
das am wenigsten geschlossene Werk. Vielleicht ein Befreiungsschlag für
den Regisseur, der, so viel steht fest, der Gefahr, auf lakonischen
Strukturalismus mit komischen Effekten festgelegt zu werden, mit diesem
ambitionierten Film fürs erste entgeht.
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