Jump Cut
Berlinale 2006

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Sabu: Shisso/Dead Run (Japan 2006)

Von Ekkehard Knörer

Die Filme Sabus, die ich kenne, leben von ihrer Struktur. Der Zufall spielt entscheidende Rollen als etwas, das Sabus Drehbuch seinen Figuren antut, die an Punkten zusammentreffen, an denen sich ihr Leben arrangiert. "Shisso" ist, das zeigt sich bald, anders. Zwar wird eine scheinbar klare Differenz eingeführt schon im ersten Dialog: Es gibt das Küstenland und das Land vor der Küste, das einst Ozean war und nun gefüllt ist. Die Leute von der Küste verachten die vom Land vor der Küste. Diese Differenz jedoch hat nicht die Kraft, den ganzen Film zu strukturieren, der auf ein komplexes - jedenfalls kompliziertes - Geflecht von Motiven setzt. Sein Held, Shuji, ist entsprechend einer, der, voller Neugier, die Differenz von Anfang an quert; als einer vom Festland kehrt er immer wieder in den über eine lange Straße zu erreichenden Landstrich davor zurück. Und der Film selbst scheint im Verzicht auf festen Boden unter den Füßen sehr bewusst eher auf Wasser als Festland gebaut.

Von Shuji erzählt dieser Film, seinem Schicksal, von seiner Neugier auf ein Leben außerhalb der recht engen, von Institutionen der Erziehung vorgesehenen Grenzen. Die Shule wird präsentiert als Ort der Zurichtung durch Lehrer und Mitschüler, die Familie als Brennpunkt der Traumatisierung fürs Leben. Darum geht es um Träume von der Möglichkeit einer Gegenwelt, die aber nicht ohne Gefährdungen eigener Art zu haben ist. So trifft Shuji auf eine andere Außenseiterin, eine Verletzte auch sie, Nanba Eri, deren Eltern Selbstmord begangen haben. Sie geht in die Kirche zu dem Priester, dessen Bruder zum Mörder wurde nicht ohne des Priesters Schuld.

"Shisso" verhält sich narrativ seltsam. Es beginnt mir der merkwürdigen Perspektive der Voiceover-Stimme, die den Helden, Shuji, mit einem Du anspricht: Dies Shuji, ist deine Geschichte. Wer spricht, wird ganz klar erst am Ende, das es mit dem Helden genommen haben wird. Was diese Erzählung strukturiert, sind vor allem Motive. Schuld und Tod, Feuer und Wasser, Blut und Verbrechen, das Rennen und das Humpeln. Aber es geht auch um ein Leben im Außenbereich der Gesellschaft, die Solidarität der Außenseiter, mit der es nicht immer weit her ist. Es kommt zu Ellipsen und Sprüngen nach ganzen, nicht so kurzen Weilen flach dahinerzählter Lebenswirklichkeit. In seinen Motiv-Verdopplungen und narrativen Abwegen erscheint manches eher kompliziert als komplex. Am Ende schließt sich ein Kreis, aber Sabus Lust an Punkten großer Verdichtung, von denen der Plot ausgeht, zu denen der Plot zurückkehrt, um dazwischen episodische Wegstrecke zu sein, ist diesmal nicht ausgeprägt.

Es ist ihm diesmal auch nicht um Komik zu tun. Der Sabu eigene Lakonismus steht in"Shisso" im Dienst einer durch Wiederholungen, nicht durch schlichte Erklärung, von einem Ereignis zum nächsten treibenden Überstürzungsdramaturgie. Es gibt Verlagerungen, Abbrüche, ein verstörendes Verhältnis von Erklärtem und Unerklärtem, von Ausgebreitetem und nachholendem Vollzug von Geschehenem. In nichts, was geschieht, wird grundsätzlich die Einsicht verweigert, oft jedoch kommt sie zu früh oder zu spät. Es ist weniger die Logik des Traums, die hier herrscht, als die erzählerischer Willkür. Zu heftig scheinen die Eingriffe eines unsichtbaren Erzählers. Seine Verkörperung ist nur die Stimme, die spricht, die das Schicksal als vollendetes präsentiert. Ein solches Erzählen ruft Widerstände hervor.

"Shisso" aber scheint sich auch als Arbeit an und mit diesen Widerständen zu verstehen, ja, es kann einem vorkommen, als suche er in seiner Sprunghaftigkeit auf zu erwartende Vorwürfe schon zu reagieren, indem er neu ansetzt, zurückkommt auf angespielte Motive und gelegentlich auch in die Irre führt. "Shisso" ist von den Filmen Sabus, die ich kenne, das am wenigsten geschlossene Werk. Vielleicht ein Befreiungsschlag für den Regisseur, der, so viel steht fest, der Gefahr, auf lakonischen Strukturalismus mit komischen Effekten festgelegt zu werden, mit diesem ambitionierten Film fürs erste entgeht.

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