Dieser Film scheint verrückt, erst einmal. Er kehrt Inwendiges
nach außen und projiziert es, blutrot, buchstäblich, auf
Außenwände. Ein Riesenrad dreht sich, wir wissen nicht wo, wir
wissen nicht, wie real es ist. So verrückt der Film scheint, als so
nüchtern, so viel darf man sagen, wird er sich am Ende erweisen, wenn
auch auf seine ganz eigene Art. Vielleicht ist das sogar sein einziger Fehler,
dass er einen klaren Kopf behält inmitten der Hölle aus Sex, Blut,
inmitten des brutalen Psychodramas, das er heraufbeschwört.
Schon im ersten Bild ist das Versprechen des Titels erfüllt. Wir finden
uns wieder in einem, weiß Gott, seltsamen Zirkus, voller
Transvestiten und Artisten, inmitten ansteckender Musik und plüschiger
Dekoration. Die Guillotine nicht zu vergessen, die auf der Bühne steht
und auf einen Kopf wartet, der rollen wird. Und wir sind es, die auf die
Bühne gebeten werden, oder wenigstens scheint es so, für einen
Moment. Wir finden uns an der Stelle der Kamera, im nächsten Moment
jedoch nimmt die Protagonistin des Films unseren Platz ein. Nennen wir sie
der Einfachheit halber Mitsuko. Sie wird sich bald genug als schizoide
Persönlichkeit erweisen, die sich auf Arten, die wir nicht glauben,
die wir uns nicht vorstellen wollen, mit ihrer Mutter identifiziert. Nennen
wir ihre Mutter der Einfachheit halber Sayuri.
Einfach ist hier freilich nichts. Der Plot, der sich in gnadenlos blutigen
Details entfaltet und umfaltet, zwingt uns in eine Dreiecksgeschichte au
Liebe, Vergewaltigung, Gewalt, Rache und Blut. Man darf von diesem Plot nur
so wenig wie nötig verraten, denn die Art und Weise, wie er sich entwickelt
und verwandelt, ist von entscheidender Bedeutung dafür, wie wir wahrnehmen,
was wir sehen und zu sehen gezwungen werden. Und diese schizoide Geschichte
zwingt uns auf Wege und in Korridore, von denen wir hoffen, sie wären
nicht real. Sie macht uns schaudern, sie flößt uns Angst ein vor
jedem nächsten Bild, aber mit gutem Grund.
Es handelt sich nicht um Gore um seiner selbst willen, wie oft genug in den
Filmen von Takashi Miike. Das durchaus psychoanalatisch lesbare Psychodrama,
das sich vor unseren Augen entwickelt, ist nur zu plausibel. Der Regisseur
Sono Sion sein Debütfilm trug den Titel Ich bin Sono
Sion (man mag es nach Strange Circus bezweifeln), er hat,
so ist zu lesen, auch schon bei Schwulenpornos Regie geführt
weiß, was er tut, er verwendet seine filmischen Mittel kontrolliert.
Die Räume, die er entwirft und erfindet, sind präzise Allegorien,
nach Außen gewendetes Inneres.
Der delirante Mahlstrom der Bilder, mit dem Strange Circus beginnt,
lässt im Verlauf des Films nach. Die zweite Hälfte offeriert dann
eine Lesart der ersten, die schrecklichen Sinn macht, und zwar umso
schrecklicher, je nüchterner sie daherkommt. Wir befinden uns am Ende
am Ort des Beginns, wie es scheint. Auf der Bühne eine Guillotine, die
auf einen Kopf wartet, der rollen wird. Ein seltsamer Zirkus fürwahr.
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