Jump Cut
Berlinale 2006

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Sono Sion: Strange Circus (Japan 2006)

Von Ekkehard Knörer

Dieser Film scheint verrückt, erst einmal. Er kehrt Inwendiges nach außen und projiziert es, blutrot, buchstäblich, auf Außenwände. Ein Riesenrad dreht sich, wir wissen nicht wo, wir wissen nicht, wie real es ist. So verrückt der Film scheint, als so nüchtern, so viel darf man sagen, wird er sich am Ende erweisen, wenn auch auf seine ganz eigene Art. Vielleicht ist das sogar sein einziger Fehler, dass er einen klaren Kopf behält inmitten der Hölle aus Sex, Blut, inmitten des brutalen Psychodramas, das er heraufbeschwört.

Schon im ersten Bild ist das Versprechen des Titels erfüllt. Wir finden uns wieder in einem, weiß Gott, „seltsamen Zirkus“, voller Transvestiten und Artisten, inmitten ansteckender Musik und plüschiger Dekoration. Die Guillotine nicht zu vergessen, die auf der Bühne steht und auf einen Kopf wartet, der rollen wird. Und wir sind es, die auf die Bühne gebeten werden, oder wenigstens scheint es so, für einen Moment. Wir finden uns an der Stelle der Kamera, im nächsten Moment jedoch nimmt die Protagonistin des Films unseren Platz ein. Nennen wir sie der Einfachheit halber Mitsuko. Sie wird sich bald genug als schizoide Persönlichkeit erweisen, die sich auf Arten, die wir nicht glauben, die wir uns nicht vorstellen wollen, mit ihrer Mutter identifiziert. Nennen wir ihre Mutter der Einfachheit halber Sayuri.

Einfach ist hier freilich nichts. Der Plot, der sich in gnadenlos blutigen Details entfaltet und umfaltet, zwingt uns in eine Dreiecksgeschichte au Liebe, Vergewaltigung, Gewalt, Rache und Blut. Man darf von diesem Plot nur so wenig wie nötig verraten, denn die Art und Weise, wie er sich entwickelt und verwandelt, ist von entscheidender Bedeutung dafür, wie wir wahrnehmen, was wir sehen und zu sehen gezwungen werden. Und diese schizoide Geschichte zwingt uns auf Wege und in Korridore, von denen wir hoffen, sie wären nicht real. Sie macht uns schaudern, sie flößt uns Angst ein vor jedem nächsten Bild, aber mit gutem Grund.

Es handelt sich nicht um Gore um seiner selbst willen, wie oft genug in den Filmen von Takashi Miike. Das durchaus psychoanalatisch lesbare Psychodrama, das sich vor unseren Augen entwickelt, ist nur zu plausibel. Der Regisseur Sono Sion – sein Debütfilm trug den Titel „Ich bin Sono Sion“ (man mag es nach „Strange Circus“ bezweifeln), er hat, so ist zu lesen, auch schon bei Schwulenpornos Regie geführt – weiß, was er tut, er verwendet seine filmischen Mittel kontrolliert. Die Räume, die er entwirft und erfindet, sind präzise Allegorien, nach Außen gewendetes Inneres.

Der delirante Mahlstrom der Bilder, mit dem „Strange Circus“ beginnt, lässt im Verlauf des Films nach. Die zweite Hälfte offeriert dann eine Lesart der ersten, die schrecklichen Sinn macht, und zwar umso schrecklicher, je nüchterner sie daherkommt. Wir befinden uns am Ende am Ort des Beginns, wie es scheint. Auf der Bühne eine Guillotine, die auf einen Kopf wartet, der rollen wird. Ein seltsamer Zirkus fürwahr.

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