Als "kolonialistischen Softporno" hat Klaus Theweleit "The
New World" beschimpft. Dieses Urteil ist nicht einfach richtig oder falsch,
es ist vielmehr der schärfstmögliche Widerspruch zu dem Projekt,
um das es sich bei Malicks Film handelt. Dieses Projekt ist so simpel wie
maßlos: die Darstellung der Unschuld, und zwar am Nullpunkt der
amerikanischen Zivilisation, wie wir sie kennen, in der Begegnung der Ureinwohner
mit den ersten Besiedlern. Es ist das Jahr 1607, aber im Grunde ein Jahr
Null.
Oder nicht die Darstellung, sondern die Herstellung, denn das Projekt ist
kein historisches - es nutzt nur die nahe liegende historische Gelegenheit
-, sondern ein philosophisches. Und ein philosophisches eher als ein
(film)ästhetisches, darin liegt eine entscheidende Krux der Unternehmung.
Was Malick inszeniert ist eine tota allegoria der Unschuld der Welt an ihrem,
oder jedenfalls: einem, über alles historisch Besondere eben aufs
Grundsätzliche hinausweisenden Ursprung. "Tota allegoria" heißt
nun, dass Malicks Film, "The New World", sich darstellt als geschlossenes
Übertragungssystem von Bedeutungen, in dem nichts nur das meint, was
es ist und alles, was man sieht, mehr meint als es ist. Der Wind in den Halmen,
das Lächeln der Frau, deren Namenstaufe so lange aussteht, die Weißen,
die Roten, das Huhn und die See: alles es selbst und noch mehr, die Unschuld,
die Liebe, Mutter Natur.
Die Bedeutungen, die Malick allegorisch hineinträgt, wir sollen sie
fühlen. Das versteht sich nicht von selbst und führt - sehr konsequent
- zu einer bestimmten Form von Überwältigungsästhetik. Und
die ist, was nur auf den ersten Blick überrascht, in schlichter Weise
konventionell. Das betrifft vor allem James Horners Musik, die mit
unablässiger Pasticheproduktion beschäftigt ist. Der Rahmen ist
dabei eng gesteckt, von früher bis später Romantik, Chopin bis
Bruckner und Wagner in etwa, letzteres für den Aufschwung ins Sakrale,
der ein ums andere Mal nicht ausbleibt.
Bezeichnend, dass er bis zu, grob gesagt, Mahler nicht mehr gelangt. Denn
hier beginnt die Zitathaftigkeit, die Möglichkeit einer Übernahme,
die einklammert und in Frage stellt statt einfach nur hinauszuweisen ins
Gefühlte einer anderen Welt. Die Überwältigung zur Unschuld,
auf die Malick hinauswill, ist teuer erkauft. Mit dem Verzicht auf Witz und
Ironie, auf Reflexion und Bewusstsein von Form und ästhetischer Tradition.
"The New World" reicht über die Formensprache Hollywoods keineswegs
hinaus.
Unschuld, als in konventioneller Herstellung behauptete, ist mitunter so
fad wie der Puritanismus, der mit ihr hier einhergeht. Denn irgendwann gibt
es zwar ein Kind, aber Sex hatten die Eltern im Bild jedenfalls nicht.
Und dennoch: Es bleibt für den, der es mag, die Möglichkeit, der
Überwältigung sich nicht gänzlich zu entziehen. So teuer die
Unschuld erkauft sein mag, in den Grenzen, die Malick ihr zieht, hat sie
ihre vom Kitsch schlichter Machart im großen und ganzen doch
unterscheidbaren Reize. Der Mut und die ja fraglos sehr bewusste
Entschlossenheit, mit dem hier den Theweleits dieser Welt die nackte Schulter
gezeigt wird, verdienen einen gewissen Respekt.
Und doch wird man denen, die glauben, das Paradies, falls das Kino es herstellen
kann, müsse so aussehen wie "The New World" nun aussieht, widersprechen.
Jean-Luc Godard hat seinen letzten Film "Notre Musique" als Triptychon gestaltet,
mit Darstellung des Paradieses am Schluss. Dies Paradies, als Vision, ist
ohne die Hölle der Kriege, die Hölle des Wissens, das wir haben
von den Verbrechen der Menschheit, so Godards These, nicht zu haben. Das
Paradies bei Godard ist ein Ausblick wider besseres Wissen. Aus dieser
Perspektive ist Malicks Unschuld einfach falsch. Das Auge des Betrachters
kann und darf den Kolonialismus so wenig vergessen wie den nahe liegenden
Sexismus des Kamerablicks. Dies Vergessen wäre dann die Reinform
ästhetischer Ideologie. Und "The New World" nichts weiter als ein
kolonialistischer Softporno.
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