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Berlinale 2006

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Rafi Pitts: Zemestan (Iran 2006)

Von Ekkehard Knörer

Eine Erzählung, ein Lied: Es ist Winter. Ein Mann am Waschbecken, seine Frau, seine Tochter im Haus, das sie sich geleistet haben. Jetzt bräuchten sie das Geld. Das Haus ist ein hässlich ins Nirgendwo gesetzter Betonbrocken mit flachem Dach, aber es ist ein Haus. Der Mann aber verlässt es, bricht auf, will Geld verdienen im Ausland. Er geht davon.

Ein anderer ist angekommen, sein Name, sagt er, ist Marhab und das heißt "Willkommen", bald findet er einen Freund. "Willkommen" ist Marhab nicht in dieser Gegend im Winter. Der Freund verhilft ihm zu einem Job, der ein Scheißjob ist. Der Ankömmling widerspricht dem Chef, er sitzt herum und raucht, er bekommt kein Geld. Der Freund leiht ihm welches, Marhab investiert in einen Teppich und schenkt ihn der Frau in dem Haus, auf die er ein Auge geworfen hat. Sie hat inzwischen die Nachricht erhalten, ihr Mann sei in der Fremde gestorben. Wir werden erfahren und sehen, dass das nicht stimmt. Fürs erste.

"Zemestan" dekliniert die Grundbewegungsarten des Unglücks am äußersten Rand der iranischen Gesellschaft: Sitzen und Verharren, Gehen und Humpeln, und manchmal ein Rennen – einmal auch durch eine Straße in einer größeren, bunten Stadt - als Ausbruch, der unmöglich bleibt. Sehr schön sind die Einstellungen, die das Gehen, Humpel, Rennen zeigen als Bewegung hinein in die Tiefe des Bildes. Oft sind sie mit so langer Brennweite gedreht, dass die Figuren kaum von der Stelle zu kommen scheinen, so eilig sie auch gehen. Gefangen im Winter dieses von keiner dauerhaften Hoffnung erlösten Missvergnügens.

Auch sehr schön sind ein paar Szenen, die den Helden Marhab zeigen, frontal und in Großaufnahme, die Gesprächspartner lange nicht im Bild. Was wiederkehrt sind die Motive, die Gleise, der Zug, der Schnee, das Haus aus Beton, das Lied, das dem Film den Titel gibt. Alles sehr konkret und alles sehr Parabel zugleich für ein Land, ein Leben am Ende. Aber auch alles nicht viel mehr als poetischer Miserabilismus. Ein Werk, noch dazu, das die Klischees, die der Westen so hat vom iranischen Film, nur bestärkt. Das ist kaum Rafi Pitts Schuld, aber ein Problem für die Rezeption ist's bei der Platzierung im Wettbewerb doch.

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