Sascha Rettig berichtet von der
Berlinale
Tag 10: Vermischtes
Connery gefunden!
Lag es an Sean Connery oder an den ungeschickten Fragen
der Journalisten? Auf jede zweite Frage sagte Connery Dinge, wie z.B. "Das
ist aber schwer zu beantworten.", "Ich verstehe die Frage nicht." oder "Da
muss ich erstmal drüber nachdenken.". Eigentlich war das aber auch egal.
Connery ist Connery Der Saal, in dem die Pressekonferenzen abgehalten werden,
war so vollgestopft mit stargeilen Reportern, dass die Chance, den ersten
Bond mal aus der Nähe zu sehen, ziemlich gering war. Ich stand ziemlich
weit hinten, was jeden Blick auf Connery, zwischen den vielen Köpfen
und gereckten Hälsen, zum Geschenk machte. Was er und sein junger
Schauspielerkollege
Brown sagten, wurde da sowieso zweitrangig. Zieht
man die Situation in der Pressekonferenz in Betracht, dann erklärt sich
auch fast von selbst, warum Gus van Sants rührselige Mainstream-Mär
und Wunderkind-Story "Finding Forrester" den Weg in den Wettbewerb gefunden
hat.
Die Antwort auf die erste Frage war dann auch gleich der amüsante
Höhepunkt der gesamten Konferenz.
"Herr Connery, Sie gelten immer noch als einer der sexiesten Männer
der Welt. Was ist Ihr Geheimnis?" Connery: "Ah, ich glaube, dass werde ich
wohl mit ins Grab nehmen..."
Es folgten langweilige Fragen zu "Finding Forrester", die Frage, welcher
Bond der richtige Bond sei (Connery: "Ich bevorzuge alle anderen aussermir
selbst!") und welche der Filme, in denen er mitgespielt hat, seine liebsten
seinen (Connery: "Es kommt drauf an, wonach ich das beurteilen soll. Ich
könnte aber durchaus "Indiana Jones" sagen oder "The Man who would be
king"..."). Der Rest war Starglamour, für den jetzt zum
Berlinale-Schluß zwei, ja man kann es schon sagen, Hollywood-Greise
zuständig waren.
Sean Connery wird wohl der letzte große Star dieser Berlinale
gewesen sein. Für morgen ist jedenfalls keine internationale Prominenz
angekündigt (bis auf Regisseur Michael Winterbottom).
Lili Taylor - Die kleine, kleine Independent-Größe bei
der Berlinale
Lili
Taylor, mit Schlabberklamotten und irgendwie
süß-schüchtern-kindisch-reizend, hatte heute abend nach der
Aufführung ihres neuen Filmes "Julie Johnson" (Panorama) einen Kurzauftritt
vor dem Kinopublikum. "Danke, danke, danke, dass ihr die Filme zeigt, die
in Amerika noch niemand gesehen hat!" Sagte sie und verschwand wieder. In
dem Film ging es um eine frustrierte Suburbia-Hausfrau, die ihre verborgenen
Talente
entdeckt, ihren Mann rausschmeisst, ihre beste Freundin bei sich einziehen
lässt (Courtney Love, die wieder gezeigt hat, dass sie eine hervorragende
Schauspielerin ist. Leider war sie nicht in Berlin!) und mit ihr eine zum
Scheitern verurteilte Liebesbeziehung beginnt. Ein sehr vorhersehbares
Stück Celluloid, stark vereinfachend, aber immerhin mit zwei stark
aufspielenden Darstellerinnen in den Hauptrollen. Love und Taylor retten
den Film! Das Publikum war von "Julie Johnson" allerdings sehr angetan. Langer
Applaus.
Rose glaubt an die digitale Revolution
Fast schon militant und sehr sarkastisch ließ sich der Regisseur
Bernard Rose (in Deutschland bekannt geworden durch den Beethoven-Film "Immortal
Beloved" und den jüngsten "Anna Karenina"-Film) nach der Vorführung
seines komplett digital gedrehten, neuen Werkes "Ivansxtc" über das
amerikanische Studiosystem aus. Rose glaubt fest an die digitale Zukunft
des Filmes und an einen Kollaps der amerikanischen Major-Studios. Gespickt
waren seine Hasstiraden mit kleinen Anekdoten. Hier ein paar Kostproben eines
Mannes, der uns seinen unerschütterlichen Glauben an digitale Wackelbilder
demonstriert und uns über Hollywood das sagt, was wir schon immer geahnt
haben:
"I hate the studios , their blind stupidity and their
arrogance!"
"All they've done, we've seen it already. They are redoing all these
movies. Next year, you'll see "103 Dalmations"."
"Companies and studios are the only ones making profit of copyrights.
Copyright is good for them, not for the author. When you shoot films digitally,
you are the owner of what you created"
"Point the camera to human beings and not to... To Julia Roberts.
If you know what I mean!?"
"When I did this film on Beethoven an agent for film-composers called
me and wanted to know if I needed a composer for the score of the film. I
said that Beethoven had actually composed quite a lot of stuff and that I
didn't need anyone for the score. Then he answered that it would be better
to jazz up theses Beethoven-songs..."
"If had asked a Hollywood producer to use Wagner music in my movie,
he would have said: "Wagner? Why Wagner? What about Britney Spears? She's
much cooler!"."
"Up your's, Weinstein. And up your's Spielberg!"
Ach, übrigens handelte "Ivansxtc" vom Leben und Sterben in
Hollywood.... Wen wundert's?
Tag 9 - Legende in Ehren
"Man muss nur alt genug werden, um alle wichtigen Preise zu bekommen."
Kirk Douglas
Die
jährliche Berlinale-Hommage, die in den vergangenen Jahren z.B. Catherine
Deneuve, Jack Lemmon oder Jeanne Moreau gewidmet war, galt bei dieser Berlinale
einem der legendärsten Sandalenträger der Filmgeschichte
überhaupt - Kirk Douglas. Zu Ehren des 84-jährigen wird am Freitag
abend Stanley Kubricks "Paths of Glory" gezeigt und Douglas der goldene
Ehrenbär für sein Lebenswerk, das mehr als 80 Filme umfasst, verliehen.
Heute hatte zunächst die Presse die Möglichkeit, nach alten
Hollywoodanekdoten und anderen unwichtigen, aber doch sehr interessanten
Dingen zu fragen. Die maßlos überfüllte
Pressekonferenz leitete ausnahmsweise der Festivalchef De Hadeln
persönlich. In mehr als einer halben Stunde plauderte ein sehr
alters-versönlich gestimmter aber auch sehr witziger Kirk Douglas aus
dem Starnähkastchen und das trotz eingeschränkter Sprachfähigkeit
durch die Folgen eines Schlaganfalls.
Schon als er den Saal betritt, gibt es starken Applaus. Eine lebende
Legende? Denken sich bestimmt viele, und da ist auch irgendwie was dran.
Wann wird man in seinem Leben schon nochmal die Gelegenheit haben, Spartakus
zu applaudieren? Wie auch immer, hier die Highlights:
Douglas über moderne Filme:
Heutzutage gibt es mir in den Filmen zuviel Gewalt und zuviele
Special-Effects. Früher war das anders. Da erzählten die Filme
von Menschen, von interessanten Charakteren. Ich habe mich einmal mit Arnold
Schwarzenegger unterhalten und sagte zu ihm: "Heute schießen sie in
Filmen hundertmal, um jemanden umzubringen, früher brauchte ich dafür
nur einen Schuss..."
Douglas, der russischer Herkunft ist, über seinen russischen
Namen Issur Danielovitch Demsky , den er hatte, bevor er sich Kirk Douglas
nannte:
Mit dem Namen hätte ich sehr gut Ballett-Tänzer werden
können...
Douglas über Technik:
Handy? Sowas habe ich gar nicht. Ich habe auch neulich
ein Auto geschenkt bekommen. Ein ganz modernes, das sogar sprechen kann.
Als ich das erste Mal damit fahren wollte, sprach es mich plötzlich
an. Seitdem fährt meine Frau den moderenen Wagen und ich den
alten.
Douglas über Filme, die er besser nicht hätte machen sollen
und Fehler, die er bei der Filmauswahl gemacht hat:
Fehler? Habe ich viele gemacht. Wenn ich alle meine Filme aufzählen
müsste, die mir nicht gefallen, würde das sehr lange dauern. Von
meinen über 80 Filmen gibt es vielleicht zwanzig, die ich mag...
Douglas über seine Schwiegertochter und den Altersunterschied
zwischen seinem Sohn Michael und dessen Gattin Catherine Zeta-Jones:
Catherine ist eine wundervolle Frau. Ein richtiger Familienmensch...
Als es um den Altersunterschied ging, sagte Michael zu ihr: "Ich werde
auch sehr alt werden. Das liegt bei unserer Familie in den Genen. Mein Vater
hatte einen Herzanfall, einen Schlaganfall und außerdem einen
Hubschrauberabsturz überlebt. Und? Er lebt immer noch!"
Douglas auf die Frage, mit welchem Regisseur er gerne noch
zusammengearbeitet hätte oder noch zusammenarbeiten will:
Steven Soderbergh.
Douglas über Kubricks Filme:
Ich mag Kubricks Filme sehr. Nur seine letzten waren sehr kühl.
"Eyes Wide Shut" war nicht sexy, sondern kühl...
Am Ende dann ein rührender Augenblick: Kirk Douglas entschuldigt
sich dafür, dass die Pressekonferenz nach einer halben Stunde beendet
wird. Sehr gerne würde er noch Stunden weiterplaudern, aber er habe
ja diese Schwierigkeiten seit dem Schlaganfall, könne nur noch langsam
reden. Dann sagt er noch zwei, drei nette Sätze über Berlin und
verläßt schließlich die Bühne. Salve, Kirk!
Tag 8 - Wild und sexy
Patrice Chereau und Marianne Faithfull auf der Pressekonferenz
zu Intimacy
Eigentlich kann man sich in diesem Jahr über den Wettbewerb nicht
beklagen. Zugegeben: Bislang gab es, abgesehen von Soderberghs "Traffic"
und vielleicht auch noch Lone Scherfigs "Italienisch für Anfänger"
keine wirklich herausragenden, keine, sagen wir, bärenwürdigen
Filme, aber interessant und nicht selten auch kontrovers waren viele der
Beiträge allemal. Spike Lees "Bamboozled" spaltete das Heer der Filmkritiker
ebenso in wie zwei Lager wie "A ma soeur" von der Französin Catherine
Breillat. Lucrecia Martels "La Ciénaga - Der Sumpf", von vielen in
die Langweilerecke gestellt, gilt bei einigen gar als ein Geheimfavorit.
Ja, bunt geht's zu, bei De Hadelns letzter Vorstellung. Einhellig verrissen
wurden bisher nur "Duell", "Chocolat" und, soweit ich das richtig mitbekommen
habe, der neue Tornatore "Maléna".
Heute nun folgte ein weiteres, sehr interessantes Stück Celluloid
- eines,
das
ebenfalls sehr erhitzt diskutiert wurde. Patrice Chéreaus (Foto)
"Intimacy" mit Mark Rylance und Kerry Fox, sowie Timothy Spall und Marianne
Faithfull (Foto unten)in den Nebenrollen, basiert auf einem gleichnamigen
Kurzroman von Hanif Kureishi und erzählt die Geschichte von Jay und
Claire, die zwar nichts voneinander wissen, sich aber jeden Mittwoch treffen,
um begierig
übereinander herzufallen und Sex zu haben. Erst
als Jay versucht, mehr über Claire herauszufinden, entwickelt sich eine
Beziehung, die für beide einen sehr schwierigen Verlauf nimmt und auf
ein für beide sehr schmerzhaftes Ende zusteuert. Gleich zu Beginn des
Filmes, der sehr roh und ruppig daherkommt und an das graue, dreckige und
ungeschminkte London erinnert, das man aus Mike-Leigh-Filmen kennt, zeigt
Chéreau das Zügellose und Emotionslose in der Sexbeziehung zwischen
Jay und Claire. Sehr direkt ist der Sex, den er vorführt, schmeißt
die Kamera ins Geschehen und läßt sie beoachten, ohne zu verdecken.
Chéreau zeigt viel, mehr als die meisten anderen, schließlich
fängt, laut Regisseur, in "Intimacy" der Sex da an, wo er in anderen
Filmen aufhört. Es ist Sex ohne Liebe, denn lieben können sich
Menschen nur, wenn sie mehr voneinander kennen als nur den Körper des
anderen. Durch Jays Drang mehr von Claire erfahren zu wollen, entwickelt
sich ein zerstörerischer Sog. Es geht um Wahrheit, Neugier und auch
Selbstbetrug. Am Ende gehen Jay und Claire auseinander, werden wieder zu
Fremden. Fremde, die um des Wissens über und die Gefühle für
den anderen eigentlich keine sein wollen. Mit Gewißheit gehört
"Intimacy" zu den preisverdächtigen Filmen dieses Wettbewerbs.
Um
Sex im übertragenen Sinne geht es bei Emir Kusturicas "Super 8 Stories",
einer Dokumentation über die Balkan-Band "No Smoking", bei der Kusturica
selbst Gitarre spielt. Musik sei wie Sex, sagte der Regisseur (rechts im
Bild, neben ihm der Bandleader) während der Pressekonferenz. Die Band
existiert es bereits seit 20 Jahren, tritt aber seit einigen Jahren in neuer
Besetzung auf. Die alten "No Smoking" trennten sich wegen
"socio-psycho-historical reasons" erklärte Kusturica. Seine "Super 8
Stories" sind laut, sehr laut und direkt. Ein Musikzirkus. Im Film zeigt
er Ausschnitte aus internationalen Auftritten, u.a. auch vom Gig in der
Volksbühne in Berlin, Ende 1999 und vermengt sie mit Filmschnippseln,
die die einzelnen Bandmitglieder vorstellt. Es vermischt sich Dokumentarisches
mit Fiktivem, Interessantes mit Langweiligem, Aufdringliches mit Intimem,
Super-8-Bilder mit Digitalen. Schnell montiert, ergibt sich ein sehr
anstrengendes Portrait einer Band, deren Musik, laut Werbung, von einer Welt,
der Welt des Balkans, spricht, die wild, verrückt, kreativ und dramatisch
ist. Der Film und seine Musik bleiben letztendlich Geschmackssache.
Bei der Pressekonferenz zu "Super-8-Stories"
erzählte der "Underground"-Regisseur, dass er als Schauspieler für
den César nominiert sei. Die nächste Stufe sei dann ein Job als
Supermodel, sagte er lachend und fuhr sich durch die fettige Zottelmähne.
Erstmal wäre allerdings ein Besuch bei Udo Walz fällig...
Nachtrag zu gestern (zitiert in "Moving Pictures")
Spike Lee: Hier in Berlin ist es so kalt, dass einem das Handy am
Ohr festfriert...
Es ist tatsächlich kälter geworden in Berlin.
P.S. Heute ist Kirk Douglas angekommen. Höchste Zeit für
den Ehrenbären...
Tag 7: Und das obwohl Mobiltelefonieren wie Rauchen für die Ohren
ist...
Pressekonferenz
zum Kubakrisen-Drama Thirteen Days mit Bruce Greenwood (spielt JFK),
Roger Donaldson (Regisseur) und Steven Culp (spielt Bob Kennedy).
.
Zu gerne hätte ich einen Vergleich: Wie war es vor zwanzig, ja
sogar noch vor zehn Jahren, als es noch keine Handys gegeben hat?
Wie war es da bloß auf der Berlinale? Todesstille bei den
Vorführungen, lange Schlangen vor den Münztelefonen und viele Menschen,
die hektisch kettenrauchend statt telefonierend von Vorführung zu
Vorführung laufen, um den Eindruck zu machen, beschäftigt zu
sein.
Heutzutage klingelt's überall. Auf der Straße, da ist es
ok; vorm Kino auch, im Café wird es schon brenzlig, aber es bimmelt
selbst nach der Aufforderung die Handys auszuschalten im Kinosaal, während
in Stalingrad gebombt wird oder der Marquis de Sade gerade elendig verreckt.
Der Filmdeal findet im Film statt oder ist es doch nur die Ehefrau, die Herrn
Filmkritiker bittet, noch etwas Broccoli mit nach Hause zu bringen?
Manchmal hat man als Festivalbesucher, der sich mobil-technisch korrekt
verhält, das Glück, einen dieser raren Augenblicke erleben zu
dürfen, in denen ein Handy im Film klingelt. Dann nesteln alle, die
ihr Mobiltelefon nicht ausgeschaltet haben (und das sind nicht wenige...),
nervös in ihren Jacken und Mänteln herum. Köstlich.
Heute klingelte im Wettbewerbsbeitrag "Betelnut Beauty" das Handy
der Hauptfigur, als er gefesselt vor drei miesen Gangstern kniete und den
Tod vor Augen hatte. Die Gangster waren konsequent und haben den Klingeler
hingerichtet. Dabei mußte ich lachen. Es war die perfekte Visulisierung
einer seit sechs Tagen gehegten Fantasie.
P.S. Ich war heute morgen entgegen aller Erwartungen pünktlich
im Berlinale-Palast. Noch vor Detlev Buck...
Promihighlight
des Tages war die Pressekonferenz zu "Thirteen Days" (außer Konkurrenz).
Anwesend: Bruce Greenwood (Foto links), Roger Donaldson und Steven Culp.
Wahrscheinlich ist das jetzt das Berlinale-Loch. Einen Tag nach der Halbzeit.
Aber der achte Tag verspricht Besserung. Erwartet werden Emir Kusturica (zwar
kein Star, aber sehr spannend!) und Marianne Faithfull!
Der letzte Handy-Splitter:
"Oh, that one should be punished!"
Die Reaktion der Filmerin Kate Davis (Foto rechts; links: Lola Cola
aus Southern Comfort) auf ein Handyklingeln während des Q&A nach
der Vorführung ihres Dokumentarfilmes "Southern Comfort"
Tag 6 -Hektik
Pressekonferenz zu Félix et Lola
Die Festivalorganisatoren sind wirklich ungnädig. Pünktlich
früh um 9.00 Uhr erfolgt der Cineasten-Appell. Dann nämlich findet
im Berlinale-Palast normalerweise die erste Wettbewerbs-Pressevorführung
des Tages statt. Bei einem täglichen Pensum von vier bis fünf Filmen
und der Pflicht der täglichen Berichterstattung landet man allerdings
erst so spät im Bett, dass es unter normalen Umständen kaum
möglich wäre, wieder so früh aufzustehen. Aber wenn die
Wettbewerbssirenen singen, kommt man nicht umhin und manchmal auch zu spät
zum Berlinale-Palast. Für Personen, die sich zu der Zeit zufällig
am Marlene-Dietrich-Platz aufhalten, ereignet sich ein doch recht amüsantes
Schauspiel. Journalisten, bepackt mit den ersten wichtigen Publikationen
des Tages und bei den ziemlich milden Temperaturen mit einigen
Schweißperlen auf der Stirn, eilen, wie Gazellen auf der Flucht vor
einem Löwen, hektisch blickend auf die großen Glastüren des
Festivalszentrums zu. Hat man den Palast erstmal erreicht, ist das Drama
aber noch nicht vorbei: Das Parkett ist bereits voll, der erste Rang auch,
ebenso der zweite und dritte. Im vierten Rang kommt man außer Atem
an und zieht beim Betreten des Saales böse Blicke der Pünktlichen
auf sich. Wenn man Glück hat, sieht man das nicht, weil es schon dunkel
ist, dafür hat dann schon der Film begonnen. Als mir all das heute morgen
auf dem Weg zur Vorführung des neuen Spike-Lee-Joints, der bitteren
und unsatirischen Medienschelte "Bamboozled" passierte, war ich nicht der
einzige und in prominenter Gesellschaft. Detlev Buck war auch zu spät
- mit Hut und in Hektik.
135 zähe Minuten später muß man weiter. Oh, nein,
auch die Vorführung von Jean-Jacques Beineix' erstem Streich seit langer
Zeit ist bereits im Gange. "Mortel Transfert" (Panorama) bietet die
kühle Ästhetik, für die der Franzose geliebt und kritisiert
wird und einen guten Jean-Hugues Anglade als Psychiater, der nicht weiß,
ob er seinen Verstand verliert. Die Geschichte? Eher befremdlich. Eine Mischung
aus morbidem Humor, Freud'scher Traumdeutung und Suspense.
Der Film danach ist schöner. "Lost and Delirious" (Panorama)
von Léa Pool (Foto), die vor zwei Jahren im Wettbewerb mit "Emporte-moi"
auf sich aufmerksam gemacht hat, rührt mit einer Geschichte vom
Erwachsenwerden und der ersten großen Liebe, die, wie auch in diesem
Film, die letzte sein kann, wenn sie nicht erwidert wird. Der Film erzählt
von dem Mädchen "Mouse", die frisch in ein Internat kommt und feststellt,
dass ihre Zimmergenossinnen sich lieben. Diese diese Liebe wird aber von
einer der beiden, aufgrund äußeren Druckes, in Frage gestellt,
doch ihre Freundin und Geliebte (Piper Perabo, die Nachwuchs-Julia-Roberts)
gibt sich nicht kampflos geschlagen. Zwar kommt der Film nicht ganz ohne
Klischees aus, aber er kriegt, nicht zuletzt wegen der starken Sympathien,
die man für die Hauptdarstellerinnen hat, ein ums andere Mal die Kurve.
Zuerst Mädchengeschichten im Internat, dann Liebesgeschichte zwischen
zwei Mädchen und dann Gott sei Dank keine Coming-Out-Krise, wie man
sie schon so oft im Kino sehen konnte, sondern ein Kampf um die Liebe mit
einem bitteren Ende. Schön!
Peinlichkeit nach der Vorführung, während des Q&A mit
Léa Pool:
Ein Zuschauer kritisierte das Ende des Filmes.
Pool: OK, I'll call you for next script!
Doch er blieb hartnäckig und bohrte weiter.
Pool (ein wenig genervt, aber man konnte es verstehen; außerdem
buhte das Publikum den Frager auch schon aus!): Ok, I'll call you for my
next film!
Daraufhin stürzte der junge Mann nach vorne, gab der Regsseurin
eine Visitenkarte und verschwand fluchtartig. Maybe the beginning of a beautiful
friendship?
Als letzter Film des Tages (Hektik: Im CinemaxX 7! ): "Félix
et Lola" von Patrice Leconte. Ein Liebesfilm, der im Schausteller- und
Rummelplatzmillieu spielt. Minimalistisch, poetisch und dank der wunderbaren
Charlotte Gainsbourgh geheimnisvoll und sehenswert.
Für heute reicht's. Ich bin müde, fahre nach Hause und gehe
ins Bett, damit ich morgen früh wieder da sein kann. Hoffentlich
pünktlich...
P.S. Da doch einige Stars, wie z.B. Johnny Depp und Emma Thompson,
abgesagt haben, greifen manche Autogrammjäger
auf eher obskure Objekte der Begierde zurück. Moritz de Hadeln hat in
seinem Festivaltagebuch, das in der FAZ veröffentlicht wird, geschrieben,
dass er dieses Jahr schon einige Male um ein Autogramm gebeten wurde. A star
is born!
5. Tag - Der Tag, als Hannibal Lecter kam
Filmkritiker sind seltsame Geschöpfe. Als sich heute morgen
Hauptdarsteller und Regisseur des japanischen Wettbewerbsbeitrages
"Chloe" der Presse stellten, waren kaum Journalisten zur
Pressekonferenz erschienen. Und das, obwohl diese surrealistische,
betörende Seltsamkeit, jedenfalls am Applaus nach der Vorführung
gemessen, durchaus Zuspruch erhalten hat.
Ganz anders war es vor und nach der Aufführung von Ridley Scotts
"Das Schweigen der Lämmer"-Sequel "Hannibal" und während
der anschließenden Pressekonferenz. Gezeigt wurde der Thriller im
berüchtigten CinemaxX 7. Massen drängelten sich bereits eine halbe
Stunde vor Beginn des Screenings. Als der Einlaß Zuschauer für
Zuschauer ganz langsam begann, begann auch die Drängelei. Die Angst
vor dem Kino ist mit der Angst während des eher zäh erzählten
und recht spannungsarmen "Hannibal" nicht zu vergleichen. Aber drin
war drin. Und wer drin war, war glücklich. Als der Film vorbei war,
fast schon ein Gesetz bei publikumsträchtigen Hollywoodfilmen, blieb
der Applaus aus, dafür wanderten die Heerscharen schnurstraks in die
Pressekonferenz, bei der Sir Anthony Hopkins, Giancarlo Giannini,
Produzenten-Urgestein
Dino de Laurentiis (Foto, mit Hans Zimmer), Martha
de Laurentiis und der Komponist der "Hannibal"-Musik Hans Zimmer erwartet
wurden. Ridley Scott konnte leider nicht kommen: Seine Mutter ist vor ein
paar Tagen gestorben. Noch bevor die Pressekonferenz begann, verlas Martha
de Laurentiis die aktuellen Einspielergebnisse des Filmes, der vor diesem
Wochenende in Amerika gestartet ist und bereits jetzt Rekorde gebrochen
hat. Egal! Der Pressekonferenz an sich war zu großen Teilen eine Lobhudelei
Hopkins' auf den Charakter des Hannibal Lecter, allerdings verriet er auch,
dass ein weiteres Sequel zu "Das Schweigen der Lämmer" geplant
sei, möglicherweise noch im kommenden Jahr, wieder mit Ridley Scott
als Regisseur und, soweit ich das richtig verstanden habe, auch wieder mit
Julianne Moore als Starling.
Konferenzsplitter
Spanischer Journalist: Mr. Hopkins, do you know mad cow? You know
mad cow!
Hopkins: Yes, why?
Spanischer Journalist: Maybe that's the reason why Hannibal Lecter
prefers human meat...
zu den Notizen der ersten
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