KANN DENN SüßES SÜNDE
SEIN?
Schokolade macht dick. Schokolade ist schlecht für die Zähne
und sowieso ist diese süße Sünde in Zeiten des Fitness- und
Schlankheitswahns eher Gefahr als Genuss. Der Schwede unter den
Hollywoodregisseuren, Lasse Hallström ("Gottes Werk und Teufels Beitrag"),
versucht sich jetzt an der Ehrenrettung des schmackhaften Kakaoprodukts mit
seiner romantisch-zauberhaften Komödie "Chocolat", die auf dem Roman
"Schokolade - Eine himmlische Verführung" von Joanne Harris basiert
und in der die magische Kraft der Schokolade beschworen wird.
Als sich Ende der 50er Jahre im französischen Dorf
Lansquenet-sous-Tannes der Wind dreht und plötzlich aus Norden weht,
verschlägt es die geheimnisvolle Vivienne (Juliette Binoche) mit ihrer
Tochter Anouk (Victoire Thivisol) in das verschlafene Nest. Sie wird eine
Chocolaterie eröffnen - gegenüber der Kirche, zur Fastenzeit und
in einem Dorf, in dem die sogenannte "Tranquillité" das Leben der
Einwohner bestimmt. Tradition, Moral, Anstand und Sitte sind die Werte, die
den Lebensrhythmus hier, in der tiefsten französischen Provinz, bestimmen.
Besonders dem strengen Comte de Reynaud (Alfred Molina) ist die Chocolaterie,
dieses neue Zentrum des Genusses und der Erquickung der Sinne ein Dorn im
Auge. Er ruft seine Gemeinde zum Boykott dieses geheimen neuen Mittelpunkts
auf, in dem Vivienne mit ihrem Schokoladengeheimrezept Hoffnungen und
Träume, aber auch Enttäuschungen und Lebenslügen ihrer Konsumenten
zu Tage bringt. Vivienne verändert das Leben der Dorfbewohner und befreit
sie von alten Zwängen. Die Auseinandersetzung mit dem Comte eskaliert
aber erst, als der fremde, freigeistige Zigeuner Roux (Johnny Depp) auftaucht
und Vivienne hilft die kleine Stadt endgültig von ihren überholten
Traditionen zu befreien...
"Es war einmal..." heißt es zu Beginn von "Chocolat", und dieser
erste Satz erscheint wie ein Versprechen, das Märchenhaftes und Magisches
verspricht. Doch schon nach kurzer Zeit schimmert die Magie nur noch selten
durch, und der Kampf um Sinnlichkeit und Befreiung von äußeren
Zwängen fällt bisweilen recht unsinnlich und mit einigen Längen
aus. Es geht um brutale Ehemänner, eingeschüchterte Enkelsöhne
und enttäuschte Liebe. Und über alledem steht die Botschaft, das
Leben zu genießen und in allen seinen Facetten zu leben. Erst am Ende
wird das Versprechen eingelöst, denn erst da ist der Film wieder vollkommen
Märchen - mit Happy-End und geläutertem Bösen.
"Chocolat" erzählt viele Geschichten. Das einzige Problem ist
nur, daß er sie unterschiedlich gut erzählt. Manches hat man schon
häufiger gesehen, anderes, wie die Liebesgeschichte zwischen Depp und
Binoche, ist langweilig und uninspiriert erzählt. Versöhnt wird
man mit Kleinigkeiten, wie den zarten Anbandelungsversuchen des alten Guillaume
Blerot (John Wood) bei der Witwe Madame Audel (Leslie Caron), die bereits
seit dem Ersten Weltkrieg um ihren Mann trauert.
Die Besetzung von "Chocolat" ist hochrangig. Ungewöhnlich ist
allerdings, daß Juliette Binoche die Hauptrolle darin spielt, war sie
doch bisher häufig die spröde und kühle Schönheit und
keine Schauspielerin, die üppigen und sinnlichen Genuß
verkörpert. Aber dennoch paßt sie in diese bittersüße
Komödie, weil ihr dieses Geheimnisvolle und auch etwas Verschmitztes
innewohnt. Besser ist da nur noch, wie gewohnt, Dame Judy Dench mit ihrer
forschen, aber gleichzeitig auch menschlich-warmherzigen Art.
Lasse Halström hat immer wieder gezeigt, wie wichtig es ihm ist,
keine eindimensionalen Figuren in seinen Filmen zu zeigen. Er bemühte
sich immer um Menschlichkeit und um Brüche in den Seelen seiner vom
Leben gezeichneten, aber nie resignierenden Schützlinge. Genau das versucht
er auch in "Chocolat", doch leider vermag das, sicherlich auch aufgrund kleiner
Schwächen im Drehbuch, nicht immer zu gelingen. Der Wirt Serge (Peter
Stormare) strampelt sich ab, sich vom prügelnden zum liebevollen Ehemann
zu entwickeln, bleibt aber letztendlich doch im Klischee stecken und auch
dem bösen Comte, der sich so gegen Neues, gegen Genuß und Leidenschaft
wehrt, wird am Ende eine zwar durchaus angekündigte, aber doch eher
gezwungene Wandlung abverlangt.
Am Ende bleibt dann das Gefühl, daß man ein Praliné
gegessen hat, das beim Kauen mal süß und mal bitter schmeckte,
die Sinne aber längst nicht so betören konnte, wie die der Einwohner
von Lansquenet-sous-Tannes. |