Alles meins. Alles ich. Ich ist ein anderer. Ich ist viele
andere. Die Ausstellung als Allegorie eines egopetalen oder egofugalen
Rezeptionszusammenhangs. In den Spiegel, der den kleinen Ausstellungssaal
des Berliner Guggenheim-Museums vom Kino trennt, in das ein Durchbruch ohne
Tür führt, blicken wir. Wir sehen, etwas verzerrt, uns und die
Schrift an der Wand, Ashes to Ashes, die von Laurence Weiner stammt.
Sie findet sich an der Spiegelgegenwand. Dazwischen erstreckt sich der Raum
der Kunst des Douglas Gordon, der sich hier eine künstlerische Genealogie
zusammenkuratiert.
Der Kurator als Künstler, der Künstler als Kurator, Kunst als
Beziehungsreichtum, idisynkratische Mixtur der Dinge, in denen ich mich spiegle.
Oder erkenne. Oder finde. Diese Bewegung: Im anderen sich finden. Das zeigt
sich dann am eigenen. Die Polaroids im Stil von Andy Warhol hängen neben
den Polaroids von Andy Warhol. Die Polaroids von Andy Warhol zeigen Andy
Warhol, geschminkt, mit Perücke, als Frau. In den Polaroids von Andy
Warhol, auf denen Andy Warhol kaum wiederzuerkennen ist, erkennt Douglas
Gordon sich und seine Kunst. Ohne diesen Akt und diesen Gestus des Sich-Erkennens
in dem, das er nicht ist, ist, sagt Gordon, meine Kunst nicht zu denken.
Louis XIV von Jeff Koons steht im Raum, das glatte Gesicht aus Metall,
in dem man sich nicht spiegeln kann, das man aber anfassen möchte, wie
man die scheußlich glatten Oberflächen von Koons immer anfassen
möchte als wären sie zarte Haut. Auch im Gemälde von Pietro
Perugino (1493-94) erkennt Gordon sich, oder etwas, das er als Ich ausstellen
kann. Genauer gesagt, genau gesagt: Im Pfeil, der den Hals des Heiligen Sebastian
trifft (nicht die zarte Haut hier, die man streicheln möchte, sondern
ein Akt des Durchstoßens, des Ritzens wenigstens), die Signatur des
Künstlers, verkehrt herum: "Petrus Perusinus pinxit." Nicht aber Gordon,
der in einen schwellenden Rahmen eine digitale Kopie des Gemäldes
hängt, die einigermaßen echt aussieht. Oder Duchamp, der sich
für das fotografische Bild seiner selbst den Kopf kahl scheren lässt,
eine Perücke aufsetzt. Erst ritzt der Pfeil das Ich, die Haut des Heiligen,
dann proliferieren die Bilder von Künstlern, die Ich immer nur sagen
können, indem sie ein anderer sind, wenn nicht viele.
Wo das Ich sich spiegelt, ist die Eitelkeit nicht weit. Von diesem Sachverhalt
die Vanity des Ausstellungstitels: The Vanity of Allegory. Aber auch
der ist noch einmal verdreht; denn an Allegorien der vanitas, der
Eitelkeit des Seins, die sich in der Eitelkeit des Ich zu falschen Triumphen
aufschwingt, fehlt es nicht. Natürlich ist da Mapplethorpe, sein
weißes Gesicht im schwarzen Grund, Todesgrund, der Stock mit dem Totenkopf
in der rechten Hand. Eine apotropäische Aneignung: Der Tod, der sich
mir nähert, bin ich. Allegorie der Eitelkeit und Eitelkeit der Allegorie.
Dem Tod ins Angesicht sehen, indem man, allegorisch, selber Tod wird. Diese
Geste, für Mapplethorpe eine gültige, eine letzte Geste, eignet
Douglas Gordon sich an. Sein Kunst kuratorischer Appropriationen ist auch
eine der Versteinerung, der Mortifikation: Roni Horns tote Eule, gedoppelt.
(Wie die Kopie hier nicht als Agent der Unheimlichkeit auftritt, sondern
als letztes, aber in der Dopplung sich selbst banalisierendes Wort.) Auch
der Koons. Der Spiegel.
Das Ich der eitlen Allegorie sieht immer nur sich selbst, in allen Werken.
Und weiß davon. Und erzählt davon. Immunisiert sich, dies die
letzte Geste einer solchen Bewegung, gegen jede Kritik, weil sie, als
identifikatorische Aneignung jeder Nicht-Identität, sich immer schon
als Gruppenbild präsentiert. Ein jeder mögliche Vorwurf ist im
Porträt schon antizipiert. Der Titel sagt es. Mit der einen Hand
dekonstruiert Gordon die Allegorie, um sie mit der anderen Hand durch die
Souveränität seiner Dekonstruktion als dekonstruktive Allegorie
wieder zu errichten. Als ließe sich, das muss man dann doch etwas
kopfschüttelnd einwerfen, der Tod dekonstruieren. Douglas Gordon geht
da zu weit. Oder anders gesagt: Vor dem Tod bleibt eine Scheißangst.
Leer aus geht zuletzt, möchte man, als advocatus ultimi, dann
doch einwerfen: die Allegorie; dies ihre eigentliche Vergeblichkeit.
Bleibt noch das Kino. Man verlässt den Spiegelraum und findet, im Dunklen
und Roten, umwabert vom Mischmasch eines katastrophalen Sounds, nun auch
das Kino als etwas, in dem Gordon sich erkennt. Der Zufall will es (und hier
ist dann doch ein, in Maßen, aleatorisches Moment im Spiel), dass Albert
Lewins Dorian Gray zu sehen ist, an diesem Sonntag Nachmittag. Es
laufen viele andere Filme, auch das hat Gordon noch kuratiert (von
Fountainhead bis The Searchers, von All About Eve bis
Satyricon), aber wahrscheinlich ist der Dorian Gray doch das
perfekte Exempel zur Ausstellung: Vertrackte Allegorie der Eitelkeit, der
Todesangst. Die Wahrheit über Dorian Gray befällt seinen Körper
im, als Moment seines Todes. Die Kunst, die lang ist, wird rückinfiziert
mit dem strahlenden Schein. Die restitutio in integrum im Bild, das
bleiben wird, allegorisiert den Doppelcharakter der Eitelkeit: Die Vergeblichkeit
im Angesicht des Todes, der Sieg der Eitelkeit in der, durch die Kunst. Die
Wahrheit, die die Geschichte wäre, wird ins Zeitlose gelöscht.
Die Narration des Romans, des Films freilich sträubt sich
gegen die Abschlussgesten des Bildes, indem sie die Geschichte des Bildes
zur Ansicht freigibt. So jedenfalls kommt, im Film, die Allegorie anders
ins Spiel.
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