Jump Cut Theaterfilme
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Magazin für Film & Kritik

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Theaterfilme 4: A Double Life (George Cukor, USA 1947)
 
Von Stefanie Diekmann


 

 

 
Ist es ein Doppelleben? - Eine Existenz in zwei Biographien, Psychologien, in zweierlei Gestalt und zwei Verhaltensmustern? Oder ist es etwas anderes - eine Geschichte, die der von Jekyll & Hyde nicht so sehr in ihrer ersten Phase (jener der säuberlich geteilten personae) ähnelt, sondern sehr viel mehr in der zweiten, wenn die Trennung nicht länger aufrechtzuerhalten ist und der eine Charakter den anderen immer weiter in Besitz nimmt? Der allmähliche Einbruch der künstlich geschaffenen Figur in Bewußtsein und Erleben ihres Schöpfers ist Thema von Stevensons Roman ebenso wie von Cukors Film, in dem der Schauspieler Anthony John (Ronald Colman) von seiner Bühnenpersona mitsamt den zugehörigen Sätzen, Affekten, Impulsen heimgesucht wird wie von einem Dämon.

Ein Dämon, ein Unhold, ein böser Geist. Nicht so sehr als psychologisches Drama, als das er gelegentlich beschrieben worden ist, sondern nach dem Muster der Spukgeschichte ist "A Double Life" gestaltet. Anthony John hört Stimmen, sieht Schimären; er halluziniert, wacht aus bösen Träumen auf, und wo er geht und steht, verfolgen ihn Sätze, die für eine Bühnenfigur geschrieben wurden und nun seine eigenen Handlungen orchestrieren. Er ist besessen, spätestens von dem Tag an, an dem er beginnt, die Rolle des Othello zu proben, und eigentlich schon viel früher, als ihm das Stück zum ersten Mal vorgelegt wird, er zum ersten Mal den Text des Othello spricht und wenig später im Spiegel der Schaufensterscheibe beobachtet, wie sich ein dunkles Gesicht über das seine schiebt wie ein Schatten oder eine Maske. Mit jeder Aufführung mehr erfährt John im Folgenden das Jekyllsche Schicksal, von einer anderen Existenz aufgezehrt zu werden - eine Bedrohung, die im Fall des Bühnenkünstlers ihre spezifische Vorgeschichte hat. (Auch: ihre spezifischen Rahmenbedingungen. In bestimmtem Sinne ist der Wahnsinn des Anthony John, wachsend über 100, dann 200, dann 300 und mehr Vorstellungen, nur möglich in einer Theaterkultur des en suite-Spiels. Das deutsche Repertoire-Theater mit seinen vielstelligen Spielplänen hingegen bietet dafür nicht die richtigen Voraussetzungen; genauer: der Wahnsinn, der sich in einem System der fortgesetzten Rollen- und Aufführungswechsel entfalten könnte, wäre ganz entschieden ein anderer.)

"Wenn ein Schauspieler nicht mehr zwischen sich und seiner Rolle unterscheiden kann, ist es Zeit, ihn zu feuern", sagt der alte Theaterproduzent, der es wissen sollte, und von dem man annimmt, daß ihm bereits eine Reihe solcher Fälle begegnet sind. Über den Protagonisten sagt er nur, er fände dessen Fähigkeit zur vollständigen Verwandlung "beängstigend"; doch paßt sein Statement ganz gut zu dem, was zuvor über John erzählt worden ist. Dieser Bühnenkünstler so heißt es, sei immer das, was ihm die aktuelle Rolle gebiete: heiter, solange er Komödien spielt, depressiv, sofern man ihn für eine Tragödie besetzt hat, liebenswürdig oder unausstehlich entsprechend der Disposition der derzeit von ihm verkörperten Figur. Wenn je ein Film daran gearbeitet hat, den Beruf des Theaterschauspielers zu pathologisieren, dann ist es dieser, der seinen Helden als durch und durch schizophrene und eben deshalb exemplarische Existenz präsentiert - ein "warnendes Beispiel", ein "unglücklicher Fall", und auf der anderen Seite ein Darsteller, der seine Arbeit mit aller gebotenen Hingabe betreibt.

Einbruch des Bühnengeschehens in die Existenz off stage, Usurpation des Schauspielers durch die Bühnenpersona: Die Objekte, auf die der Film bei der Inszenierung dieses Dramas fokussiert, sind verschiedene Spiegel (in der Garderobe, auf der Straße, im Badezimmer, in einer kleinen Pension), vor allem jedoch eine ganze Anzahl von Vorhängen. Der Vorhang als das klassische Requisit der Demarkation, das im Theater den Raum der Darstellung vom Raum der Außenwahrnehmung trennt, ist bei Cukor in ständiger Bewegung, und wenn nicht in Bewegung, dann unübersehbar ins Bild gesetzt: Ein Vorhang schirmt das Bett der Desdemona (Signe Hasso) gegen die Blicke eines atemlosen Theaterpublikums ab, so wie später ein anderer Vorhang das Bett eines anderen Mordopfers (Shelley Winters) gegen die Blicke der Filmzuschauer. Vorhänge wehen in Zimmer, rahmen die Türen, durch die der Auftritt der Schauspieler erfolgt; sie werden zugezogen, aufgerissen, umklammert, zugehalten, und natürlich schließen sich nach jeder Vorstellung die Portieren zu beiden Seiten der Bühne, um bei Einsetzen des Schlußapplauses wieder geöffnet zu werden und den Blick auf die Schauspieler an der Rampe frei zu geben. Als Grenze/Instanz, die zwischen Lebenswirklichkeit und Bühnenhandlung, Bühnenhandlung und Lebenswirklichkeit gesetzt ist, markiert der Vorhang auch eine Grenze zwischen Leben und Tod, ein sehr kurzes Intervall (er schließt sich, er öffnet sich), in dem die Toten auferstehen und die Abwesenden zurückkehren, als wäre nichts geschehen oder als hätte die Bühnenhandlung keine Bedeutung über die zwei oder vier Stunden der Aufführung hinaus.

Auch "A Double Life" endet mit dem bekannten Ritual, nur daß diesmal, nach der soundsovielten Vorstellung, vergeblich auf das Erscheinen Othellos gewartet wird. Desdemona ist wiederauferstanden (gut 100 Vorstellungen vorher war sie dem Tode einmal sehr nah), ebenso Emilie und Rodrigo, nicht aber der Protagonist, so daß der Spalt zwischen den Portieren leer bleibt bis auf einen hellen Lichtkegel. Hier stand der, der nicht mehr auftreten wird: Der Lichtkegel markiert seine Abwesenheit und besetzt zugleich jene Stelle, über der sich der Bühnenvorhang bis zum Ende des Films nicht ganz schließen wird.

 
 

 

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