Theater im Film, gefilmtes Theater, Filme
über das Theater, Theaterfilme: Das könnten drei, vier oder mehr
Genres sein, das eine nicht ohne Schwierigkeiten gegen die anderen abzugrenzen,
aber Abgrenzung interessiert hier auch nur sekundär.
Entscheidend vielmehr die Beobachtung, daß der Film nicht oder jedenfalls
nie ganz vom Theater lassen konnte, auch wenn v.a. die frühe Filmtheorie
(Eisenstein & Co.) zu nichts anderem geraten hat. Das Theater ist geblieben
oder wiedergekehrt - als Modell, Sujet, Dispositiv, Phantasma, etc. -, und
wenn es umgekehrt etwas wie eine Mythologie des Theaters gibt, hat das Kino
daran keinen geringen Anteil. Es ist sogar möglich, daß ein bestimmte
Weise, "Theater" vorzustellen oder zu spielen, nirgendwo mehr existiert,
außer eben in den Filmen, die Geschichten vom Theater erzählen.
Welche Geschichten aber erzählen sie? Und wie stellt sich Theater von
Film zu Film dar? In Kritiken und Essays, die ab November 2003 mehr oder
weniger regelmäßig erscheinen werden, verfolgt diese Website,
was die eine Kunst mit der anderen anzufangen wußte, welche Bilder
sie von ihr in Umlauf gebracht und welche Ideen sie zu ihr entwickelt hat.
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Quand
la mer monte (Yolande Moreau, Gilles Porte, F 2004)
Als Theaterfilm stellt er eine Ausnahme dar, ganz einfach, weil sich in diesem
Genre kaum jemand für die Sparte "Kleinkunst" interessiert, die
Bühnenauftritte in QUAND LA MER MONTE aber ohne jeden Zweifel in dieser
Sparte angesiedelt sind, und auch sonst relativ viel Zeit darauf verwendet
wird, einen Berufsalltag zwischen Kulturzentren, Jahrmarktzelten, dem Festsaal
eines Altenheims und einem "Festival des Lachens" irgendwo in der Provinz
zu porträtieren.
Louis Malle: Wanja auf der
42. Straße (USA 1994)
Überhaupt wäre es schwierig, dem, was Theater heißt, hier
eine Grenze zu bezeichnen, erstens, weil man sich nach einer kurzen
Eingangssequenz (Schauspieler, die von der Kamera in der Menge aufgegriffen
werden) für den Rest des Films in den geschlossenen Raum des Theatersaals
begibt; zweitens, weil dieser Raum selbst nicht parzelliert ist und die
vertrauten Einteilungen eine Bühne, auf der agiert wird, ein
anderer Ort, der den Zuschauern reserviert ist in diesem Fall nicht
vorhanden sind.
Jean Renoir: Die goldene Karosse
(F 1953)
Eine andere Lesart des Theatralen: Kulissenhaftigkeit, Draperien, Fassaden,
Konstrukte, Staffagen, wohin das Auge blickt. Das Ganze bevölkert mit
Akteuren, die manchmal eine Perücke tragen und immer ein Kostüm,
so wie sie auch immer einen Text zu sprechen und eine Rolle zu gestalten
haben, was sie mit mehr oder weniger Grandezza tun.
Ernst Lubitsch: Sein oder
Nichtsein (USA 1942)
Von Stefanie Diekmann
Dies ist ein Film der Auftritte, vieler Auftritte, von denen zwei aus der
Luft erfolgen und alle anderen konventionell, das heißt: durch Türen.
Bühnentüren, Toilettentüren, Wohnungstüren, Türen
ins Schlafzimmer und Türen in den Zuschauerraum, Türen mit Ordonnanzen
davor, Türen, hinter denen ein totes Double wartet, gepolsterte Türen,
vergitterte Türen, bewachte, belagerte und solche, über denen man
noch schnell das Schild ausgewechselt hat.
All About Eve
(Joseph L. Mankiewicz, USA 1950)
Am Ende, wenn die Erzählung abgeschlossen scheint und sich der neue
Star der Bühne nach einer Preisverleihung in sein Hotelzimmer
zurückzieht, wird dort bereits die nächste Aspirantin warten: noch
eine Eva, noch eine Intrigantin - wie Lubitsch, Renoir, und ein paar andere
weiß auch Mankiewicz, daß sich Geschichten über das Theater
am besten im Modus der Wiederholung erzählen.
Scaramouche / Scaramouche, der galante
Marquis (George Sidney, USA 1952)
Von Stefanie Diekmann
Die deutsche Fassung des Titels ist, wie so oft, irreführend: weder
ist Scaramouche galant noch ist er ein Marquis; genaugenommen hat er
überhaupt keine Identität außer jener sehr begrenzten,
befristeten, die ihm das Spiel auf der Bühne gewährt.
Opening Night (John Cassavetes;
USA 1977)
Vielleicht gibt es keinen Film, in dem das Theater so ernst genommen wird
wie in diesem; das gilt jedenfalls für die, die hier Theater machen.
Exzessivität der Forderungen, Exzessivität der schauspielerischen
Hingabe: Man leidet Schmerzen, im Theater und um seinetwillen, man hat
Zu-sammenbrüche, halluziniert, säuft sich fast zu Tode; man macht
das Theater zum Schauplatz einer Krise und sucht in ihm zugleich seine Rettung;
man zerbricht an ihm, man ist süchtig nach ihm, man überlebt es,
wie alle ernsthaften Gefahren, bisweilen nur wie durch ein Wunder. |
Louis Malle: Mein Essen mit
André (USA 1981)
Ein Spielfilm, fast wie andere, sein Plot der Ablauf einer asymmetrisch
organisierten Begegnung. Einer spricht und einer nickt; einer hat Geld, der
andere nicht, und einer wählt aus der französischen Speisekarte
aus, die dem anderen erst übersetzt werden muss. Es sind Dinge wie diese,
die an Mein Essen mit André auffallen, ohne dass ganz klar
wird, ob und wie weit sie nach Auffassung des Regisseurs und seiner Autoren
/ Darsteller wichtig zu nehmen sind.
Mel Brooks: Sein oder
Nichtsein (USA 1983)
Ein unerfreulicher Film, und das ist noch zurückhaltend formuliert.
Das Verhältnis, das Mel Brooks' Sein oder Nichtsein zu der
berühmten Vorlage von 1942 unterhält, ist weder eines der Nachahmung
noch eines der Überbietung, sondern eine Mischung von beidem: in manchen
Momenten sklavische Kopie, in anderen (den meisten) bemüht, witziger,
spannender, mit einem Wort: besser zu sein als das Original, was insgesamt
106 Minuten in Anspruch nimmt und nicht eine einzige lang unterhaltsam ist.
In the
Bleak Midwinter (Winternachtstraum, Kenneth Branagh, GB
1995)
Von Stefanie Diekmann
In der langen Geschichte der Konkurrenz zwischen Film und Theater, die das
Genre des Theaterfilms immer wieder reflektiert hat, ist dies ein krudes
und zugleich interessantes Beispiel. Angelegt als Rückkehr zum Wesentlichen,
als Hommage und Liebhaberprojekt zwischen zwei Großproduktionen, verwandelt
er sich unter der Hand in ein kleines Monster der Vorabenddramaturgie: Hamlet
als Heuler für diejenigen, von denen Branagh annimmt, daß sie
eigentlich nicht ins Theater gehen.
George Cukor: A Double Life (USA
1947)
Wenn je ein Film daran gearbeitet hat, den Beruf des Theaterschauspielers
zu pathologisieren, dann ist es dieser, der seinen Helden als durch und durch
schizophrene und eben deshalb exemplarische Existenz präsentiert - ein
"warnendes Beispiel", ein "unglücklicher Fall", und auf der anderen
Seite ein Darsteller, der seine Arbeit mit aller gebotenen Hingabe betreibt.
The Actress / Theaterfieber (George
Cukor; USA 1953)
In diesem Theaterfilm (es ist einer; ohne Zweifel) bleibt der Übertritt
in die Welt jenseits des Zuschauerraumes über das letzte Bild hinaus
suspendiert. Was auf die erste Szene folgen könnte - das Vorsprechen,
die Talentprobe, die Auftritte, die Triumphe etc. -, findet nicht statt,
und wenn, dann höchstens in der Phantasie der Hauptfigur, die viel vorhat
und kaum etwas zustande bringt, sieht man von zwei Besuchen hinter die
Bühne ab. |