Eine der simplen und zugleich entscheidenden Wahrheiten über den Theaterfilm
lautet, daß die meisten Theaterfilme Filme über Schauspielerinnen
sind. Das Genre hat ein Gender, vgl. so bekannte Beispiele wie "Sein oder
Nichtsein", "Kinder des Olymp", "Opening Night" oder "Die letzte Métro",
und die paar Ausnahmen, die sich auch in diesem Fall finden (eine davon:
"A Double Life", eine andere: "Mephisto") sind, wie immer, solche, die die
Regel bestätigen. Es ist die Schauspielerin, über die das
Verhältnis zum Theater reflektiert, ausgehandelt, in Szene gesetzt wird,
sowohl aus der Figurenperspektive wie aus der der Regisseure (Theaterfilme
von Frauen? Vergessen Sie's), und es könnte sein, daß sich die
Aushandlung nirgendwo so ausführlich und so hinterhältig gestaltet
hat wie in Mankiewiczs "All about Eve".
All about Eve, das heißt zunächst: alles über Eve
Herrington, Inkarnation der jugendlichen Naiven in allen Auftritten auf und
abseits der Bühne. Es heißt aber auch: alles über die
Schauspielerin "an sich", der man hier in ihrer ganzen unverfälschten
Falschheit begegnet; und weiter: alles über die Vertreterinnen des
schönen Geschlechts, die nicht immer Eva heißen, in Eve, ihren
Machinationen und ihren Verstellungen, aber etwas wie eine zentrale
Repräsentantin erhalten sollen; schließlich: alles über
Weiblichkeit, die in ihrer niederen Form viel und in ihrer wahren nichts
mit Schauspielerei zu tun hat, wie an einer anderen Figur demonstriert wird,
die Mankiewicz gegen Ende aus den Beklemmungen einer theatralen Daseinsweise
erlöst. Mit Ausnahme von George Cukors "The Women" (1939), hat Hollywood
vielleicht keine zweite Produktion hervorgebracht, die so misogyn und zugleich
so elegant wäre; ein Miststück von einem Film, immer unterhaltsam,
immer perfide, dabei gar nicht besonders raffiniert, was sich unter anderem
darin äußert, daß bestimmte Dinge gern mehr als einmal
erzählt werden.
Aus der Schatzkiste misogyner Sprüche stammt auch der, daß hinter
jeder starken Frau eine andere stehe, die nichts anderes im Sinn habe, als
sie zu Fall zu bringen. Mankiewicz, der neben der Regie auch für das
Drehbuch von "All about Eve" verantwortlich zeichnet, macht daraus die Geschichte
der großen Schauspielerin Margo Channings (Bette Davis), die eine
theaterbegeisterte Schwärmerin (Anne Baxter) zu ihrer Assistentin und
Gesellschafterin macht und peu à peu entdecken muß, daß
die andere alles daran setzt, sich Margos Rollen, ihren Erfolg, ihren Liebhaber,
ihr Können, ihre Allüren und ihr Leben anzueignen. "She studies
you", sagt Birdie, die Garderobiere, an einer Stelle, "like a book or a picture",
und weil dieser Hinweis ein wenig spät erfolgt und die Schauspielerin
bis dahin nicht allzu wachsam gewesen ist, wird Eve sogar Erfolg haben, wenn
auch (der Film läßt daran keinen Zweifel) nur für eine gewisse
Zeit und zu Bedingungen, die bereits eine Strafe darstellen.
Eve will haben, was Margo hat. Margo wiederum, so ihre unscheinbare Freundin
Karen (Celeste Holm) hat eigentlich alles, will es aber nicht so recht und
wiederholt bei mehr als einer Gelegenheit, es stelle sie nicht zufrieden,
"just Margo Channings" zu sein. Was sie statt dessen will, scheint sie
zunächst nicht sagen zu können und lernt erst nach ein paar bitteren
Erfahrungen, es auszusprechen: einen Mann, ein Heim, eine Ehe, mithin alles,
was bereits die Existenz von Karen ausmacht, die keine Schauspielerin ist
und mit keinem besonderem Ehrgeiz ausgestattet, aber (auch dies einer der
Hinweise des Films) gerade darum glücklicher als alle Frauen, denen
man in dieser Geschichte sonst noch begegnet. Hier wie anderswo ist "All
about Eve" lupenreiner Rousseau, i.e. ganz darauf angelegt, Theater und
Weiblichkeit zunächst über das Moment Verstellung / Verführung
zusammenzudenken, um dann klar zu machen, daß die Frau nach wie vor
am besten zu Hause aufgehoben ist: zu ihrem eigenen Besten, aber auch zum
Wohl des anderen Geschlechts, das durch die Begegnung mit so viel potentieller
Unaufrichtigkeit allzu leicht verwirrt würde.
Eve, die nicht zu Hause bleibt und sich am Ende in Richtung Hollywood
verabschiedet, erscheint in diesem Spiel als eine besonders abgründige
Figur. Scheinbar mit allen wünschenswerten Eigenschaften ausgestattet,
ist ihr die sanfte, gefügige Weiblichkeit nichts als eine Rolle auf
Zeit - eine Maske, hinter der ein wahres Gesicht auftaucht und wieder
verschwindet, ganz wie es die Situation gebietet. Bezeichnenderweise sind
es nicht die Theatermacher - die Schauspielerin, der Regisseur, der Produzent
oder der Stückeschreiber -, die als erste über diese
Doppelgesichtigkeit orientiert sind, sondern vielmehr jene, die auf die
Bühne von sehr weit außen blicken: die Garderobiere Birdie,
Spezialistin für sämtliche Vorgänge hinter den Kulissen, vor
allem aber der Theaterkritiker Addison de Witt (George Sanders), der über
Aufstieg und Fall eines Bühnenkünstlers mit ein paar Sätzen
in seiner Theaterkolumne entscheidet, der das Theater liebt und von allen
gehaßt wird, und der als Kommentator eingesetzt ist, um die Geschichte
Eve Herringtons (deux ou trois choses je sais d'elle ...) in einer langen
Rückblende zu aufzurollen. Am Ende, wenn die Erzählung abgeschlossen
scheint und sich der neue Star der Bühne nach einer Preisverleihung
in sein Hotelzimmer zurückzieht, wird dort bereits die nächste
Aspirantin warten: noch eine Eva, noch eine Intrigantin - wie Lubitsch, Renoir,
und ein paar andere weiß auch Mankiewicz, daß sich Geschichten
über das Theater am besten im Modus der Wiederholung erzählen.
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