Start: 28. Juli
Ein Film aus dem Ruhrgebiet lotet seelisches Niemandsland aus. Lavinia
Wilson wurde für ihre Darstellung einer instabilen jungen Frau in dem
Spielfilmdebüt Allein von Thomas Durchschlag auf dem
Max-Ophüls-Festival ausgezeichnet.
Auf den ersten Blick wirkt Maria wie ein x-beliebiges hübsches
Mädchen. Sie hat braunes schulterlanges Haar, trägt Jeans und T-Shirt
und fährt mit dem Bus zur Arbeit. Sie arbeitet in der
Universitätsbibliothek, trifft sich mittags in der Mensa mit ihrer Freundin
Sarah und geht abends tanzen. Der erste Eindruck täuscht. Maria ist
anders. Sie kommt häufig zu spät zur Arbeit, weil sie am Abend
zuvor versumpft ist. Sie kennt kein Maß, lebt impulsiv ihre
Bedürfnisse aus, raucht und trinkt zu viel, nimmt Drogen. Ihr Kontakt
zu Männern beschränkt sich auf Sex, der sie Nacht für Nacht
davon befreit, allein zu sein. Dann verliebt sie sich in Jan, und alles soll
sich ändern.
Es deutet sich an, in den Gesprächen mit der Freundin, in den Anspielungen
des aufdringlichen Vorgesetzten, dass es Maria nicht gut geht. Ihre
Unbeständigkeit wirkt zwanghaft, der abrupte Stimmungswechsel
unkontrolliert. Sie vollzieht ein Ritual der Selbstzerstörung, schneidet
sich mit der Rasierklinge in die Handgelenke. In der Medizin wird dieses
Verhalten als Borderlinesyndrom bezeichnet, da sich die Anzeichen auf einer
Grenzlinie zwischen Neurosen und Psychosen bewegen.
Grenzfälle sind oftmals die Filme, die sich mit den Abgründen der
Seele beschäftigen. Nicht alle sind so erfolgreich wie das mit fünf
Oscars ausgezeichnete Anti-Psychiatrie-Drama Einer flog übers
Kuckucksnest (1975) von Milos Forman mit Jack Nicholson in der Hauptrolle
oder setzen die Phantasiewelt eines schizophrenen Teenagers sensibel um wie
in der Adaption der Autobiografie einer Betroffenen in Ich habe dir
nie einen Rosengarten versprochen (1977). Trotz Starbesetzung mit Winona
Ryder und Angelina Jolie, die einen Oscar für ihre Nebenrolle erhielt,
macht z.B. Durchgeknallt (1999) nicht die Phänomene
transparenter, sondern verheizte die attraktiven weiblichen Insassen einer
Psychiatrie für den Showeffekt.
Dies liegt dem 1974 in Oberhausen geborenen Regisseur Thomas Durchschlag
fern. Er kann sich in seinem Debüt Allein auf ein fein
aufeinander abgestimmtes Team verlassen, allen voran die ausdrucksstarke
Lavinia Wilson. Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht,
tröstet Maria ihren hilflosen Freund Jan. Sie stehen zu zweit auf der
Spitze der Schurenbachhalde, vor dem tonnenschweren Stahlkörper der
Bramme. Im Gesicht trägt Maria die Verletzungen der Nacht wie die Narben
einer Kriegerin. Sie ist nicht mehr allein in ihrem Niemandsland, dass in
der kargen Umgebung seine räumliche Entsprechung findet.
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