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Shonali Bose: Amu (Indien 2004)

Kritik von Ekkehard Knörer 

Kaju kehrt heim in das Land, das sie nicht kennt. Mit der Videokamera ist sie in Neu-Delhi unterwegs, sie filmt das Sehenswürdige, das Pittoreske, begleitet von ihrer Cousine. Kaju ist hier geboren, von einer Frau adoptiert worden, die sie in die USA mitnahm, als sie drei Jahre alt war. Sie erinnert sich nicht, sie kehrt zurück zu ihren Wurzeln, sie ist neugierig und will alles wissen über diesen Teil ihrer Identität. Dass etwas nicht stimmt an dem Bild, das er so zeichnet, deutet der Film bald an, in Flashbacks, aus denen weder die Heldin, die sie hat, noch wir, die sie sehen, zunächst einmal schlau werden. Es gibt ein Geheimnis um die Herkunft Kajus.

"Amu", der Film, dessen Titel die Lösung des Rätsels benennt, aber nicht verrät, hat die Struktur eines Kriminalromans. Kaju wird zur Detektivin auf der Spur der eigenen Vergangenheit. Dieser Grundstruktur eines Erkenntnisprozesses werden flankierend eine Liebesgeschichte und ein Politszenario zur Seite gestellt. Kabir, der junge Mann aus Delhi, aus bestem Haus und von snobistischen Zügen nicht frei, ist der Einheimische, der Kaju führen und bei der Aufdeckung des Rätsels helfen kann. Das Rätsel ist ein Verbrechen und bald versteht man, dass die ganzen narrativen Manöver dieses Films einzig auf das Verbrechen aus dem Jahr 1984 hinaus wollen, das die Behörden bis heute nicht aufklären wollen.

Im Jahr 1984 wird Indira Gandhi getötet, von zwei Leibwächtern, die der Religionsgemeinschaft der Sikhs angehören. In Delhi kommt es zu Unruhen, Sikhs werden von aufgebrachten und von der Polizei unbehelligten – wenn nicht angestachelten – Hindus geschlagen, gequält, ermordet. Allein durch den Brand in einem Slum kommen mehr als 5000 Sikhs ums Leben. Kaju muss bei ihren Nachforschungen feststellen, dass niemand darüber sprechen will. "Das sind mehr Tote als bei 9/11", sagt sie fassungslos. Zudem hat ihre Mutter nicht die Wahrheit über die Umstände der Adoption erzählt. Das eine hat mit dem anderen zu tun, für das, was wirklich geschehen ist, wird der Film in einer ausgedehnten Rückblende Bilder finden und präsentieren.

Da hat sich beim Betrachter längst ein ungutes Gefühl eingestellt. Weil der Film seine ganze Konstruktion, die Kriminalgeschichte, seine Figuren, Bild für Bild und Zug um Zug nur benutzt, um auf das hinaus zu kommen, worauf er es von Beginn an abgesehen hat: die Darstellung der Geschichte eines schrecklichen Verbrechens. Es ist dies ein Missbrauch des Kinos mit den nobelsten Absichten, aber vom Kino aus geblickt bleibt es ein Missbrauch. Auch weil dem die Idee zugrunde liegt, dass man eine Geschichte süffig verpacken muss, um die Leute dafür zu interessieren. Indem die Didaxe ihren didaktischen Charakter verleugnet und das, worum es ihr zu tun ist, in einen sachfremden Thrill wickeln lässt, verkauft sie nicht nur ihr Anliegen an die Rhetorik der Vermittlung, sondern auch den Betrachter für dumm. Politisch ist das Kino mit den eigenen Mitteln - oder es ist nicht politisch. "Amu" ist eine Soap Opera für die falschen Freunde von Amnesty International.

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